Viele Diesel sind im Winter dreckig
Nach dem klimaschädlichen CO2 sind jetzt die Stickoxide ins Visier von Politik und Bevölkerung gerückt - sind die Dieselmotoren zu dreckig? VW, Daimler und BMW betonen am liebsten den geringen Kraftstoffverbrauch und den geringen CO2-Ausstoß von Dieselmotoren. Und mit der neuen Abgastechnik sei auch „die Stickoxidfrage bei Neufahrzeugen gelöst“, sagte VW-Sprecher Nicolai Laude. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger dürfte der Diesel-Anteil bei Mittel- und Oberklasseautos in Europa aber bis 2030 auf ein Drittel, bei Kleinwagen sogar gegen Null sinken.
Heute ist jeder zweite Neuwagen in Europa ein Diesel. Einen leichten Rückgang erklärte der VW-Sprecher mit der steigenden Nachfrage nach kleinen SUVs, die eher mit Benzinmotoren fahren, und mit der Verunsicherung der Kunden. Laut Umweltbundesamt überschreiten heutige Diesel-Autos den EU-Grenzwert auf der Straße um ein Vielfaches. Die Verkehrsminister der Bundesländer fordern rasch wirksame Gegenmaßnahmen. In Stuttgart und München drohen von 2018 an Fahrverbote für ältere Diesel.
Daimler hat gerade drei Milliarden Euro in die Entwicklung und Produktion neuer Dieselmotoren investiert. „Aus unserer Sicht hat der Diesel definitiv eine Zukunft“, sagte Sprecher Matthias Brock. Der Rückgang der CO2-Belastung sei vor allem dem Diesel zu verdanken, sagte sein BMW-Kollege Michael Rebstock. Die EU-Klimaziele zu erreichen, sei ohne Diesel undenkbar. VW-Sprecher Laude sagte: „Beim Diesel sind in den nächsten Jahren auch noch Verbrauchssenkungen von 10 bis 15 Prozent möglich. Der Volkswagen-Konzern investiert dafür bis 2022 rund zehn Milliarden Euro.“
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Die Deutsche Umwelthilfe fordert, die Autokonzerne müssten alle Euro-5- und Euro-6-Diesel auf eigene Kosten nachbessern. Das koste sie etwa 1000 bis 1500 Euro pro Auto, sagte Geschäftsführer Jürgen Resch dem „Spiegel“ und forderte eine entsprechende Anordnung der Bundesregierung.
Bei den Autokonzernen und Zulieferbetrieben hängen viele Arbeitsplätze am Diesel - allein bei Bosch rund 50.000. „Die Zulieferindustrien sehen die Debatte sehr kritisch“, sagte der Sprecher ihrer Arbeitsgemeinschaft, Christian Vietmeyer. „Das Anprangern der Dieseltechnologie ist für den Umweltschutz nicht hilfreich.“ Privatkunden entschieden oft auch emotional.
„Ungefähr 500 bis 750 Zulieferern droht die Pleite durch neue Techniken - also E-Mobilität, Digitalisierung und neue Mobilitätskonzepte“, schätzt Stefan Randak, Autoexperte der Unternehmensberatung Atreus. „Viele Mittelständler mit einigen 100 Millionen Euro Umsatz kriegen massive Probleme mit ihrem heutigen Produkt-Angebot, wenn sie nicht schnell den Hebel umstellen.“ Der Dieselmotor sei „noch nicht tot“, sein Anteil bei den Neuzulassungen in Europa dürfte aber in den nächsten Jahren auf 25 Prozent sinken. „Der VW-Dieselskandal, die Stickoxid-Belastung - da verlangt die Bevölkerung, dass sich was ändert.“
Bei BMW ist der Diesel-Absatz im ersten Quartal auf 36,3 Prozent weltweit gesunken - ein Prozentpunkt unter dem Marktanteil im Jahr 2016. Es gebe aber auch Länder mit starkem Wachstum des Dieselanteils, zum Beispiel Japan mit einem Plus von 7 Prozent auf 36 Prozent. VW sieht einen leicht rückläufigen Trend in Westeuropa, Mercedes spürt beim Absatz „keine Auswirkungen der aktuellen Dieselthematik“.