Ehemaliger VW-Chefhistoriker Grieger Entsorgung eines Aufklärers

Die Rolle eines Unternehmens in der NS-Zeit aufzuarbeiten bedarf nicht nur mühseliger Recherche, sondern auch zähe Aufklärungsarbeit. Mit der Trennung von Manfred Grieger zeigt VW, dass der Konzern auf Abwegen ist.

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Manfred Grieger Quelle: dpa

Am 21. Oktober überraschte VW mit der Mitteilung, dass man sich vom konzerneigenen Chefhistoriker Dr. Manfred Grieger „in gegenseitigem Einvernehmen“ trennen würde. Der Betriebsrat des Konzerns hat die Trennung von Manfred Grieger als einen Fehler bezeichnet. Dem schließen wir uns an.

Wir begreifen die Trennung, die VW mit einem „unterschiedlichen Verständnis über die Zusammenarbeit“ begründet, als Teil des massiven Glaubwürdigkeitsproblems, das der VW-Konzern seit dem Abgasskandal hat. Zur Vorstellung der VW-Spitze von Kommunikation innerhalb und außerhalb des Konzerns hat jahrelang die systematische Täuschung der Öffentlichkeit, der Kunden und der eigenen Mitarbeiter gehört. Nun ausgerechnet einen Aufklärer zu entsorgen, zeigt deutlich, auf welche Abwege die Kommunikation in der Chefetage des VW-Konzerns geraten ist.

Ein kurzer Blick zurück erklärt die kritische Einordnung: Grieger hatte gemeinsam mit Hans Mommsen 1996 eine Studie über „Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich“ vorgelegt, die methodisch wie unternehmenspolitisch Maßstäbe setzte. Kurz darauf trat Grieger in das Unternehmen ein und baute dort die Historische Kommunikation auf.

Zu den Autoren

Die Studie von Grieger und Mommsen gehörte zum Aufbruch der Unternehmensgeschichte in Deutschland. In den späten 1980er Jahren löste sich die akademische Forschung von dem affirmativen Umgang mit ihrem Gegenstand, aber auch die deutschen Großkonzerne leiteten nach dem Abtritt der letzten belasteten Generation einen neuen Umgang mit ihrer Vergangenheit ein. Bis dahin hatten deutsche Unternehmen zu ihrer Geschichte im Dritten Reich geschwiegen und dafür gesorgt, dass auch andere ihre Stimme nicht erheben konnten.

Daimler legte 1994 eine Studie zur Zwangsarbeit vor

Als etwa Ulrich Herbert Anfang der 1980er Jahre gegen den Rat seines Doktorvaters das schwierige Thema „Fremdarbeiter im Dritten Reich“ wählte und bei westdeutschen Unternehmensarchiven anklopfte, um Quellen für seine Arbeit zu finden, erhielt er keinen oder nur sehr restriktiven Zugang zu den Akten. Daimler-Benz legte zwar 1986 eine von einem Team um den Unternehmenshistoriker Hans Pohl verfasste Studie über die Geschichte des Unternehmens im nationalsozialistischen Deutschland vor. Darin wurde aber der bis dahin – auch in der Forschung – wenig beachtete Einsatz von Zwangsarbeitern kaum und eher unkritisch behandelt.

Erst der öffentliche Druck durch die wissenschaftliche Kontroverse, die sich daraufhin entspann, brachte Daimler-Benz dazu, eine Studie speziell zur „Zwangsarbeit bei Daimler-Benz“ in Auftrag zu geben, die 1994 erschien.

Als erstes deutsches Großunternehmen ging die Deutsche Bank in die Offensive und legte 1995 eine von unabhängigen Historikern verfasste Unternehmensgeschichte vor. Sie behandelte die Geschichte seit der Gründung 1870. Das Geschäftsgebaren des Unternehmens im Dritten Reich wurde darin von dem britischen Wirtschaftshistoriker Harold James ausführlich und ungeschönt seziert. VW zog 1996 mit der Grieger/Mommsen-Studie nach und erhielt dafür ebenso wie die Deutsche Bank wenig Kritik und viel Lob. In den folgenden 15 Jahren entwickelte sich eine regelrechte Konjunktur für die Unternehmensgeschichte im Dritten Reich, die immer wieder mediale Resonanz fand, insbesondere die Diskussion um den Konzern der Familie Quandt 2007.

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