Elektroauto – für viele Menschen ist dieser Begriff synonym zu Tesla. Das kalifornische Unternehmen rund um Elon Musk prägt die Schlagzeilen und das öffentliche Bild der Elektromobilität wie kein anderes. Neben Tesla sind die fehlenden E-Modelle deutscher Hersteller zwar am häufigsten in der Debatte. Den Markt prägt aber ein anderes Unternehmen: Nissan.
Mehr als jedes vierte weltweit verkaufte Elektroauto kommt von den Japanern. Der Leaf, 2010 als erstes Großserien-Elektroauto auf den Markt gekommen, wurde bislang rund 300.000 Mal verkauft. Ein Erfolg, von dem viele nichts wissen – und den viele nicht kommen sahen.
„Als wir vor acht Jahren über die ersten Elektro-Pläne gesprochen haben, wurden wir für verrückt erklärt“, sagt Paul Willcox, Europa-Chef von Nissan. „Die Kritik war hart: Die Kunden wollen das nicht, es sei unverantwortlich, so unausgereifte Technologie zu verkaufen, oder dass wir das Geld unserer Investoren verschwenden würden.“
Heute kann Willcox über diese Zeit schmunzeln, schließlich haben ihm die Zahlen recht gegeben. Jetzt will der Brite aber mehr nach vorne als zurück schauen. Während Volkswagen, Daimler und Co vor wenigen Wochen auf der IAA noch über ihre elektrische Zukunft philosophierten und ihre ersten Elektroautos für den Massenmarkt ankündigten, hatte Nissan abseits der Messe in Japan die zweite Generation des Leaf vorgestellt.
Dass Willcox den Wagen nur in höchsten Tönen lobt („Das fortgeschrittenste Auto, dass wir je gebaut haben“) verwundert bei seinem Job kaum. Doch in einem Punkt kann man Willcox nicht widersprechen, wenn er den Leaf als „etwas Einzigartiges“ bezeichnet: Nicht nur Nissan hat beim Bau von 300.000 Elektroautos dazugelernt. In den neuen Wagen sind auch die Erfahrungen und Wünsche von 300.000 Kunden, die zusammen 85.000 Mal um den Erdball gefahren sind, mit eingeflossen. Ein Erfahrungsschatz, den kein anderes Unternehmen derzeit hat.
Doch wie viel ist dieses Kundenfeedback wert? Wie groß ist der Vorsprung von Nissan?
Geht es nach einigen Mitarbeitern, ist diese Frage erstaunlich trivial zu beantworten. Zehn Jahre sei man vor dem Wettbewerb, heißt es am Rande der Europa-Premiere in Oslo. Der Chef jedoch verbietet sich solche Vergleiche, ihm ist ein anderer Punkt wichtiger. Er will die früheren Kritiker widerlegen. „Unser Produkt hat inzwischen Glaubwürdigkeit“, sagt Willcox. „Wir haben aber inzwischen bewiesen, dass unsere Batterien lange halten und das Auto funktioniert. Das zeigt auch die extrem hohe Kundenzufriedenheit.“
Elektroautos im Kostenvergleich
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
BMW i3 | Strom | 36.150 Euro | 598 Euro | 47,8 Cent |
Mini Cooper S | Super Plus | 26.600 Euro | 542 Euro | 43,4 Cent |
Mini Cooper SD | Diesel | 28.300 Euro | 519 Euro | 41,5 Cent |
Quelle: ADAC
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Citroën C-Zero | Strom | 19.800 Euro | 433 Euro | 34,6 Cent |
Citroën C1 Vti 68 | Super | 13.900 Euro | 388 Euro | 31,0 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Ford Focus Electric | Strom | 34.900 Euro | 665 Euro | 53,2 Cent |
Ford Focus 1.5 EcoBoost | Super | 25.500 Euro | 618 Euro | 49,4 Cent |
Ford Focus 2.0 TDCi | Diesel | 28.100 Euro | 623 Euro | 49,8 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Hyundai IONIQ Elektro | Strom | 33.300 Euro | 587 Euro | 47,0 Cent |
Hyundai i30 1.6 GDI | Super | 22.630 Euro | 562 Euro | 45,0 Cent |
Hyundai i30 1.6 CRDi blue | Diesel | 24.030 Euro | 548 Euro | 43,8 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Kia Soul EV | Strom | 28.890 Euro | 526 Euro | 42,1 Cent |
Kia Soul 1.6 GDI | Super | 19.990 Euro | 529 Euro | 42,3 Cent |
Kia Soul 1.6 CRDi | Diesel | 23.490 Euro | 539 Euro | 43,1 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Mercedes-Benz B250e | Strom | 39.151 Euro | 713 Euro | 57,0 Cent |
Mercedes-Benz B220 4Matic | Super | 34.076 Euro | 773 Euro | 61,8 Cent |
Mercedes-Benz B220d | Diesel | 36.521 Euro | 728 Euro | 58,2 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Nissan Leaf | Strom | 34.385 Euro | 632 Euro | 50,6 Cent |
Nissan Pulsar 1.2 DIG-T | Super | 22.290 Euro | 574 Euro | 45,9 Cent |
Nissan Pulsar 1.5 dCi | Diesel | 22.690 Euro | 535 Euro | 42,8 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Renault Zoë | Strom | 34.700 Euro | 580 Euro | 46,4 Cent |
Renault Clio TCe 90 | Super | 16.790 Euro | 433 Euro | 34,6 Cent |
Renault Clio dCi 90 | Diesel | 20.290 Euro | 454 Euro | 36,3 Cent |
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
Tesla Model S 60 | Strom | 71.020 Euro | 1206 Euro | 96,5 Cent |
Mercedes-Benz CLS 400 | Super | 63.427 Euro | 1198 Euro | 95,8 Cent |
Mercedes-Benz CLS 350d | Diesel | 62.178 Euro | 1156 Euro | 92,5 Cent |
Hinweis: Da Tesla selbst keine Autos mit Diesel- oder Benzinmotor verkauft, hat der ADAC zum Vergleich den Mercedes-Benz CLS herangezogen.
Modell | Kraftstoff | Grundpreis | Kosten pro Monat | Kosten pro Kilometer |
VW e-up! | Strom | 26.900 Euro | 472 Euro | 37,8 Cent |
VW up! 1.0 | Super | 14.255 Euro | 375 Euro | 30,0 Cent |
Wie die Japaner mit dem Feedback der Kunden umgehen, zeigt sich etwa bei einem Blick ins Datenblatt: Für ein Elektroauto, das im Jahr 2017 neu vorgestellt wird, mutet eine Reichweite von 378 Kilometern im europäischen Normverbrauch eher mager an – die letzte Version des Vorgängers brachte es bereits auf 350 Kilometer, bei der Konkurrenz wird eher über 500 Kilometer diskutiert. Die maximale Reichweite sei nicht oberste Priorität der Kunden, so der Tenor, sondern ein niedriger Preis. Anstatt die Batterie unnötig groß und teuer zu machen, habe man sich für eine moderate Reichweite entschieden und den Preis auf dem Niveau des Vorgängers belassen (ab 23.365 Euro). Später aber soll ein stärkeres Modell (220 statt 150 PS) mit größerer Batterie und einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern folgen – ähnlich dem Tesla-Konzept.
Nissan übernimmt das Tesla-Konzept
Stephanie Brinley hält das für einen richtigen Schritt. „Die Ankündigung einer weiteren, stärkeren Version des Leaf erlaubt es, auch Kunden mit einer größeren „Reichweitenangst“ anzusprechen“, sagt die Branchenanalystin von IHS Markit. Sprich: Während das jetzt vorgestellte Modell sich an die aktuelle Kundenbasis richte, könne Nissan mit dem reichweitenstärkeren Modell auch „schwierigere“ Kundschaft ansprechen, wie es Brinley ausdrückt.
Ob diese Strategie aufgeht, wird sich zuerst in Japan zeigen, denn dort ist der Leaf bereits seit dem 2. Oktober im Handel. Die USA, Kanada und Europa werden Anfang 2018 folgen. Japan sei nicht nur als Heimatland die logische Wahl gewesen, so Nissan. Es gebe dort eine gute Infrastruktur mit 7200 Schellladern und 28.000 öffentlichen Ladesäulen. „Nissan hat hohe Erwartungen an die Verkäufe in Japan“, sagt Brinley. „Es deutet sich an, dass man das Doppelte oder Dreifache der ersten Generation erwartet.“
Mit konkreten Prognosen hält sich Willcox zurück. Er freut sich zwar über den positiven Vorverkauf in Norwegen (1600 Leaf in nur drei Wochen), will aber mehr übers große Ganze sprechen. In zehn Jahren rechnet er mit einem Elektroauto-Anteil von mindestens 30 Prozent der Neuzulassungen. „Wir müssen unsere Mobilität umstellen, es liegt aber nicht alleine in der Hand der Autobauer“, sagt Willcox. „Wir brauchen die Städte, Stadtplaner und Unternehmen, um den nächsten Schritt zu gehen.“
Was der Manager meint, lässt sich gut an der Stadt illustrieren, die Nissan für die Europapremiere gewählt hat. Denn in Oslo, Hauptstadt des Elektroauto-Boomlands, bekommen die E-Autos gerade einen Dämpfer verpasst. Sogar die Elektrowagenvereinigung rät derzeit vom Kauf eines Strom-Autos in Oslo ab, wenn man nicht zu Hause nachladen kann. „Im Verhältnis zu der Anzahl der verkauften Autos ist die Kommune mit dem Ausbau von Ladestationen nicht nachgekommen“, sagte der Sprecher der Elbilforening, Petter Haugneland.
50.000 Elektroautos und 30.000 Plug-in-Hybride sind derzeit im Großraum Oslo registriert – es gibt aber nur 1300 kommunale Ladestationen. „Wir geben unser Bestes“, sagt Sture Portvik von der Osloer Stadtverwaltung. „Jedes Jahr installieren wir 26 Prozent mehr Ladestationen, aber die Anzahl der E-Autos hat sich verdoppelt. Die Kluft wird größer und größer.“
Nissan setzt auf die Zuhause-Lader
Die übliche Reaktion der Autoindustrie: Wir brauchen mehr Ladesäulen, wir beteiligen uns gerne, Politik und Energieunternehmen sind aber genauso in der Pflicht. Doch die reine Forderung nach mehr Ladestationen und Schnellladern geht laut der Erfahrung der Nissan-Kunden an der Realität vorbei. Sie geben sich nicht nur mit etwas weniger Reichweite zufrieden, sondern sind auch nicht auf öffentliche Schnellladesäulen angewiesen – weil sie zum Großteil zu Hause laden.
Und auf diese Kundschaft will sich Nissan weiter konzentrieren. Mit zwei neuen Ladeboxen – eine 7-Kilowatt-Box für Privatkunden und eine 22-kW-Box für Flottenbetreiber – soll das Selbstladen attraktiver gemacht werden. Im Januar folgt dann eine dritte Box, die auch einen Energiespeicher enthält. Damit kann – ähnlich der Powerwall von Tesla – der eigene tagsüber produzierte Solarstrom zwischengespeichert und nachts in das Auto geladen werden. Der Clou: Die Akkus in der Box sind sogenannte Second-Life-Batterien – also wiederverwertete Batterien aus älteren Elektroautos.
Sowohl die Akku-Box als auch der Leaf kommen je nach Land mit einer weiteren Funktion: Sie können auch als Zwischenspeicher für das Stromnetz dienen. Ist das Auto mit dem Stromnetz verbunden, können sie auch Strom aus ihrem Energiespeicher in das Netz einspeisen – gegen Bezahlung, versteht sich. So kann, wenn gewünscht, das Auto beim Parken seine späteren Energiekosten wieder verdienen. Der Haken: Die Infrastruktur muss auf den Stromfluss in beide Richtungen vorbereitet sein.
In Dänemark ist es schon soweit, hier hat Nissan in den vergangenen zwölf Monaten einen Praxistest durchgeführt. Mit dem Willen der Regierung und einigen beteiligten Unternehmen ging das – der dänische Automarkt lässt sich aber nur schwer auf Deutschland skalieren. Dennoch hat Willcox, der die Diskussion mit der Politik „harte Arbeit“ nennt, einige Lehren daraus gezogen. „Wenn es die Regierungen ernst meinen, müssen sie viel mehr ganzheitliche Lösungen suchen“, fordert Nissans Europa-Chef. „Da reden das Verkehrs-, Energie- und Finanzministerium und unzählige weitere Behörden mit.“ Wenn man das dann noch von der nationalen auf die regionale Ebene ausweite, werde es ungleich komplexer.
Einen Seitenhieb kann Willcox sich dann doch nicht verkneifen: „Manchmal hängt der Grad der staatlichen Unterstützung auch davon ab, wie weit die einheimischen Hersteller mit ihren Elektroautos sind.“
Glaubt man den Versprechungen der deutschen Industrie, dann müsste die E-Mobilität hierzulande ab dem Jahr 2020 förmlich explodieren. Doch ob sie wirklich so schnell aufholen werden, wird sich erst zeigen, wenn ihre Modelle bei den Händlern stehen.