Es ist ein Absturz in zwei Etappen. Am 29. April 2015 veröffentlicht ElringKlinger, Spezialist für Zylinderkopf- und Spezialdichtungen aus dem schwäbischen Dettingen eine erste Gewinnwarnung. Die Produktion im Schweizer Werk Sevelen ist aus dem Ruder gelaufen. Die Fabrik schafft die bestellten Stückzahlen nicht, muss Personal einstellen und Sonderschichten fahren. Statt 170 bis 180 Millionen Euro erwartet Vorstandschef Stefan Wolf nur noch 165 Millionen Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit).
Kein halbes Jahr später, am 18. September, folgt die zweite Gewinnwarnung: Die Sanierung verschlingt mehr als 30 Millionen Euro zusätzlich, das erwartete Ebit sackt weiter ab, auf 135 bis 145 Millionen Euro. Die Aktie bricht in den Tagen nach der Ad-hoc-Mitteilung um bis zu 20 Prozent ein. Es ist der größte Kurssturz seit Herbst 2008 als die Pleite der US-Investmentbank Lehmann Brothers zur einer weltweiten Finanzkrise führte.
ElringKlinger zählt trotz seiner überschaubaren Größe zu den wichtigsten Zulieferern in der Automobilbranche. Der Betrieb geht auf die 1879 von Paul Lechler und die 1885 von Richard Klinger gegründeten Unternehmungen zurück und entwickelt sich über die Jahrzehnte zum Weltmarktführer für Zylinderkopfdichtungen mit insgesamt 36 Tochterunternehmen und Beteiligungen. Seit 2002 ist ElringKlinger an den Börse in Frankfurt und Stuttgart notiert, 2009 stieg der Zulieferer in den MDax auf. Im Januar 2016 bestellt ElringKlinger mit Thomas Jessulat den ersten Finanzvorstand seiner Geschichte.
zur Person
Thomas Jessulat, 46, arbeitete bei Daimler-Benz Aerospace und Fairchild Dornier, bevor er 2005 zu ElringKlinger kam. 2012 übernahm er die Position als Leiter Finanzen und Beteiligungen. Im Januar 2016 wurde er als Finanzvorstand in den Vorstand der ElringKlinger AG berufen und ist verantwortlich für die Zentralbereiche Finanzen, Controlling sowie IT und den Geschäftsbereich Gewerbeparks.
WirtschaftsWoche: Herr Jessulat, 2015 gab es zwei Gewinnwarnungen, wie viele kommen 2016?
Thomas Jessulat: Keine. Wir rechnen in unserem Schweizer Werk mit einer Belastung von weiteren zehn Millionen Euro im ersten Quartal 2016. Ab dem zweiten Quartal wird Ruhe einkehren.
Bleibt es für 2015 bei den Zusatzkosten von 30 bis 40 Millionen Euro?
Die Zahlen für das vierte Quartal stehen zwar noch aus, aber ich gehe davon aus, dass wir in dieser Größenordnung bleiben.
ElringKlinger auf einen Blick
2014 setzte ElringKlinger 1,3 Milliarden Euro um und erwirtschaftete einen Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) von 154 Millionen Euro. Die Zahlen für 2015 werden am 30 März bekannt gegeben.
Der Zulieferer beschäftigt 7900 Menschen an 45 Standorten rund um den Globus.
ElringKlinger beliefert Autokonzerne mit Original- und Ersatzteilen. Mit 80 Prozent Anteil an den Konzernerlösen ist das Erstausrüstungsgeschäft das bedeutendste. Führend sind die Schwaben im Bereich der Zylinderkopf- und Spezialdichtungen. Der Bereich Abschirmtechnik umfasst thermische und akustische Lösungen. Der Geschäftsbereich Kunststoffgehäusemodule/Elastomertechnik entwickelt und produziert leichte Bauteile aus Polyamid-Kunststoffen und faserverstärkten Organoblechen, wie zum Beispiel Ventilhauben oder Ölsaugrohrmodule. Das Kernprodukt im Geschäftsbereich E-Mobility sind Zellkontaktiersysteme für Lithium-Ionen-Batterien, die sowohl in reinen Elektrofahrzeugen als auch in Hybriden zum Einsatz kommen. Der Geschäftsbereich Abgasnachbehandlung beinhaltet die Hug-Gruppe sowie das Produktionswerk in Thale/Deutschland. Die Werkzeugtechnologie umfasst den internen Werkzeugbau am Standort Dettingen/Erms sowie den Spezialisten für Kunststoffspritzgusswerkzeuge Hummel-Formen am Standort Lenningen/Deutschland.
War Ihr Vorstandschef Wolf schlicht mit der Fülle der Aufgaben überfordert und hat Sie deshalb als Finanzvorstand berufen?
Nein, das war ein strukturelles Thema. Es gab seit längerer Zeit Anregungen aus dem Kapitalmarkt. Der Umsatz hat sich über zehn Jahre verdreifacht. Da sich das Wachstum in allen großen Märkten etwas abschwächen wird, müssen wir uns mehr auf Effizienz sowie das Bestands- und Forderungsmanagement konzentrieren. Da ist es hilfreich, wenn jemand den vertiefenden Blick darauf hat.
Wie kam es zu dem teuren Durcheinander in Ihrem Schweizer Werk?
Wir hatten einen großen Nachfrageschub für bestehende Teile, dazu kam Geschäft für neue Teile. Dafür wurden zu spät Anlagen beschafft – ein Managementthema. Deshalb mussten wir im ersten Halbjahr 2015 Sieben-Tage-Wochen fahren, um genug Teile zu produzieren. Dazu brauchten wir mehr Personal. Im dritten Quartal kamen Logistikprobleme hinzu, und wir mussten zusätzliche Flächen anmieten. Deshalb sind unsere Kosten höher als geplant. Ende 2016/Anfang 2017 wollen wir wieder von unseren eigenen Flächen ausliefern.
Wie wollen Sie die Kosten wieder einfangen?
Wir strukturieren den Standort neu und planen weniger Umsatz – und wir haben Anlagen nach Frankreich verlagert. Zudem wird Ungarn für uns ein wesentlicher Wachstumsstandort für Europa. Wir beginnen dort mit der Produktion von Abschirmtechnik, die hitzeempfindliche Teile vor hohen Temperaturen schützt. Binnen drei Jahren könnten wir dort mit 60 bis 100 Mitarbeitern 15 bis 20 Millionen Euro Umsatz schaffen.
Wie viel Schadensersatz müssen Sie den Autoherstellern leisten?
Bei einigen wenigen Kunden gab es Stillstände am Band. Diese haben Schadensersatzforderungen an uns gestellt. Der weitaus größere Teil hat uns aber lediglich weniger bezahlt, weil wir Teile nicht rechtzeitig geliefert hatten. Da zum Jahresende immer noch Rechnungen gestellt werden, kann ich das nicht beziffern.
"Dem Dieselmotor verdanken wir unsere Wachstumsstory"
Was wird aus Ihrer defizitären Fertigung von Komponenten für Elektroautobatterien?
Wir waren damit 2015 in der Verlustzone und erwarten auch für 2016 Verluste. Die E-Mobilität läuft schleppend, die Nachfrage ist schwach. Wir haben die Sparte restrukturiert und Kosten reduziert.
Was muss passieren, damit die Sparte nachhaltig Gewinne schreibt?
Das Einzige, was helfen könnte, wären Fördermittel der Bundesregierung, um die Nachfrage anzukurbeln, etwa Kaufprämien.
Womit die Zulieferer zu kämpfen haben
Immer mehr Innovationen müssen von den Zulieferern selbst kommen. Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben steigen dadurch stark an. Die Zulieferer müssen stärker in Vorleistung gehen und tragen damit ein höheres unternehmerisches Risiko.
Die Autokonzerne bauen immer mehr Werke in Asien oder Mexiko. Damit steigt der Druck auf die Zulieferer, ebenfalls in neue Standorte zu investieren.
Global agierende Autokonzerne schreiben ihre Aufträge immer öfter für die weltweite Produktion aus. Viele mittelständische Zulieferer können weder die geforderten Stückzahlen herstellen noch den Konzernen einfach ins Ausland nachfolgen.
Autokonzerne wie PSA und GM bilden immer öfter Einkaufsgemeinschaften, gleichzeitig steigt die Zahl von Modulbaukästen für die identische Teile in sehr hoher Stückzahl benötigt werden. Beides führt dazu, dass der Preisdruck steigt. Die Zahl der Zulieferer, die das leisten kann, sinkt.
Was bedeutet das strategisch für Sie?
Die Elektromobilität bleibt eine strategische Option - ebenso wie die Brennstoffzelle und der Leichtbau. Alles spielt für uns eine wichtige Rolle, um die Abhängigkeit vom Verbrennungsmotor über die nächsten 15 bis 20 Jahre zu reduzieren. Mit unserem größten Leichtbau-Auftrag generieren wir allein über die nächsten fünf bis sechs Jahre ein Umsatzvolumen von über 120 Millionen Euro. Im Bereich E-Mobility werden wir versuchen, gemeinsam mit anderen Zellenherstellern, weitere Produkte herzustellen und unser Programm auszubauen. Mit der Zellverbindung allein kommen wir nicht weiter.
Über die Tochter new enerday fertigen Sie Stromerzeuger auf Brennstoffzellenbasis. Wozu?
Da gibt es eine Reihe spannender Applikationen. Sie können damit die autarke Stromversorgung auf Segelbooten, in Reisemobilen oder auch Zuhause sicherstellen. Die Schweizer Polizei betreibt damit zum Beispiel Anlagen zur mobilen Verkehrsüberwachung.
Und damit verdienen Sie Geld?
Noch ist es Startup. Aber in zwei bis drei Jahren wollen wir Erträge realisieren. Der Bereich außerhalb der Automobilindustrie soll unser klassisches Kerngeschäft langfristig ergänzen.
Brauchen wir Deutschland eine eigene Batteriezellenfertigung?
Auf jeden Fall. Wenn es dafür nicht schon zu spät ist. Sowohl in Asien als auch den USA spricht man von Gigafactories. Strategisch gesehen wäre das für Deutschland sehr wichtig.
Viele Zulieferer unterhalten Joint-Venture mit chinesischen Firmen - Sie nicht. Wird sich das in absehbarer Zeit ändern?
Beim Thema Elektromobilität gibt es Überlegungen dazu, wir schauen uns um. Da ist aber noch nichts spruchreif. Man muss sehen, mit wem man kooperiert. China wird zum Leitmarkt für die Elektromobilität und ist daher für uns ein interessanter Markt bei Themen wie Abgasnachbehandlung, Leichtbau und Downsizing von Motoren.
ElringKlinger ist stark in Japan und Südostasien. Ford zieht sich gerade aus Indonesien zurück. Dabei gilt die Region als Wachstumsmarkt. Waren die westlichen Hersteller einfach zu spät dran?
Die ASEAN-Staaten sind ganz klar der Hinterhof der Japaner. Wir sind mit einem japanischen Kunden nach Indonesien und Thailand gegangen, weil die Produktionskosten dort niedriger sind. Wir sprechen auch mit westlichen Herstellern, folgen in erster Linie aber den japanischen. ASEAN wird eine Wachstumsregion bleiben, sich 2016 aber gegenüber 2015 abschwächen. Die Währung hat deutlich gelitten.
Bereits mehr als die Hälfte Ihrer Beschäftigten arbeitet im Ausland. Ein Trend der sich 2016 vorsetzt?
Das Mitarbeiterverhältnis könnte sich etwas stärker in Richtung Ausland verschieben. Aber unsere Neuheiten werden sowohl für westliche als auch ausländische Hersteller interessant sein. Ich würde Westeuropa keineswegs abschreiben.
Volkswagen steht für etwa acht Prozent Ihres Umsatzes. Welche Auswirkungen hat der Diesel-Skandal auf Sie?
Dem Dieselmotor verdanken wir unsere Wachstumsstory. Wir spüren eine leichte Änderung im Produktmix, also hin zu etwas mehr Benzinern. Bei Umsatz und Ergebnis wird uns das aber nicht besonders treffen.
Herr Jessulat, vielen Dank für das Gespräch.