ElringKlinger "Unsere Kosten sind höher als geplant"

Ein Jahr wie 2015 hat ElringKlinger noch nie erlebt. Gleich zweimal musste der Autozulieferer die Gewinnprognose senken. Thomas Jessulat, der erste Finanzchef in der Geschichte des Unternehmens, über die Pläne für 2016.

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Einblick in die Fertigung bei ElringKlinger Quelle: Presse

Es ist ein Absturz in zwei Etappen. Am 29. April 2015 veröffentlicht ElringKlinger, Spezialist für Zylinderkopf- und Spezialdichtungen aus dem schwäbischen Dettingen eine erste Gewinnwarnung. Die Produktion im Schweizer Werk Sevelen ist aus dem Ruder gelaufen. Die Fabrik schafft die bestellten Stückzahlen nicht, muss Personal einstellen und Sonderschichten fahren. Statt 170 bis 180 Millionen Euro erwartet Vorstandschef Stefan Wolf nur noch 165 Millionen Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit).

Kein halbes Jahr später, am 18. September, folgt die zweite Gewinnwarnung: Die Sanierung verschlingt mehr als 30 Millionen Euro zusätzlich, das erwartete Ebit sackt weiter ab, auf 135 bis 145 Millionen Euro. Die Aktie bricht in den Tagen nach der Ad-hoc-Mitteilung um bis zu 20 Prozent ein. Es ist der größte Kurssturz seit Herbst 2008 als die Pleite der US-Investmentbank Lehmann Brothers zur einer weltweiten Finanzkrise führte.

ElringKlinger zählt trotz seiner überschaubaren Größe zu den wichtigsten Zulieferern in der Automobilbranche. Der Betrieb geht auf die 1879 von Paul Lechler und die 1885 von Richard Klinger gegründeten Unternehmungen zurück und entwickelt sich über die Jahrzehnte zum Weltmarktführer für Zylinderkopfdichtungen mit insgesamt 36 Tochterunternehmen und Beteiligungen. Seit 2002 ist ElringKlinger an den Börse in Frankfurt und Stuttgart notiert, 2009 stieg der Zulieferer in den MDax auf. Im Januar 2016 bestellt ElringKlinger mit Thomas Jessulat den ersten Finanzvorstand seiner Geschichte.

zur Person

WirtschaftsWoche: Herr Jessulat, 2015 gab es zwei Gewinnwarnungen, wie viele kommen 2016?

Thomas Jessulat: Keine. Wir rechnen in unserem Schweizer Werk mit einer Belastung von weiteren zehn Millionen Euro im ersten Quartal 2016. Ab dem zweiten Quartal wird Ruhe einkehren.

Bleibt es für 2015 bei den Zusatzkosten von 30 bis 40 Millionen Euro?

Die Zahlen für das vierte Quartal stehen zwar noch aus, aber ich gehe davon aus, dass wir in dieser Größenordnung bleiben.

ElringKlinger auf einen Blick

War Ihr Vorstandschef Wolf schlicht mit der Fülle der Aufgaben überfordert und hat Sie deshalb als Finanzvorstand berufen?

Nein, das war ein strukturelles Thema. Es gab seit längerer Zeit Anregungen aus dem Kapitalmarkt. Der Umsatz hat sich über zehn Jahre verdreifacht. Da sich das Wachstum in allen großen Märkten etwas abschwächen wird, müssen wir uns mehr auf Effizienz sowie das Bestands- und Forderungsmanagement konzentrieren. Da ist es hilfreich, wenn jemand den vertiefenden Blick darauf hat.

Wie kam es zu dem teuren Durcheinander in Ihrem Schweizer Werk?

Wir hatten einen großen Nachfrageschub für bestehende Teile, dazu kam Geschäft für neue Teile. Dafür wurden zu spät Anlagen beschafft – ein Managementthema. Deshalb mussten wir im ersten Halbjahr 2015 Sieben-Tage-Wochen fahren, um genug Teile zu produzieren. Dazu brauchten wir mehr Personal. Im dritten Quartal kamen Logistikprobleme hinzu, und wir mussten zusätzliche Flächen anmieten. Deshalb sind unsere Kosten höher als geplant. Ende 2016/Anfang 2017 wollen wir wieder von unseren eigenen Flächen ausliefern.

Die zehn größten deutschen Autozulieferer
Platz 10: EberspächerUmsatz 2014: 3,60 Milliarden Euro Das aus Esslingen am Neckar kommende Familienunternehmen zählt zu den weltweit führenden Systementwicklern und -lieferanten für Abgastechnik, Fahrzeugheizungen und KlimasystemeQuelle des Rankings: Berylls Stretagy Advisors Quelle: dpa
Platz 9: BroseUmsatz 2014: 5,17 Milliarden Euro Aus Coburg kommen die Sitzsysteme, Türmodule, Fensterheber und Schließsysteme von Brose. 22.000 Menschen arbeiten für das Familienunternehmen, das bereits seit 1908 existiert. Quelle: Presse
Platz 8: HellaUmsatz 2014: 5,18 Milliarden Euro In Lippstadt in Nordrhein-Westfalen produziert Hella mit rund 29.000 Mitarbeitern Licht- und Elektroniksysteme für den Fahrzeugbau, wie hier die LED-Scheinwerfer für eine Mercedes E-Klasse. Das Unternehmen blickt auf eine lange Historie zurück. Der Grundstein wurde bereits 1899 gelegt. Quelle: Presse
Platz 7: Benteler AutomobiltechnikUmsatz 2014: 5,87 Milliarden Euro Fahrwerkteile, Abgassysteme, Umformtechnik und Rohre – das sind die Komponenten, die Benteler Automobiltechnik mit weltweit rund 20.850 Mitarbeitern entwickelt und produziert. Zum 1. September 2014 hat Benteler zwei Teilbetriebe aus der insolventen Wilco Wilken Lasertechnik übernommen, um seine Kompetenz in diesem Bereich zu verstärken. Quelle: Presse
Platz 6: SchaefflerUmsatz 2014: 8,89 Milliarden Euro Von Herzogenaurach aus schickt Schaeffler seine weltberühmten Wälzlager, aber auch Motoren- und Getriebeelemente, sowie Kupplungs- und Antriebstechnik rund um den Globus. Schaeffler übernahm 2008 Continental und bürdete sich damit einen riesigen Schuldenberg auf, den das Unternehmen in den nächsten Jahren nur mühsam abstottern konnte. Die Schaeffler-Gruppe hat rund 76.000 Mitarbeiter. Quelle: REUTERS
Platz 5: ThyssenKruppUmsatz 2014: 9,72 Milliarden Euro Der Stahlkonzern aus Essen verdient an der Automobilindustrie mit dem Verkauf von Karosserieteilen, Fahrwerksmodulen, Antriebssträngen, Lenksystemen und Aufhängungen. Im Bild die Achsmontage an einem Smart Fortwo. Insgesamt arbeiten 157.000 Menschen für ThyssenKrupp. Quelle: Presse
Platz 4: MahleUmsatz 2014: 9,98 Milliarden Euro Die Stuttgarter beliefern Autobauer weltweit mit Kolben, Lagern, Ventiltrieben, Filtersystemen, Turboladern und Klimaanlagen. Rund 65.000 Menschen arbeiten für das Traditionsunternehmen, das 1920 gegründet wurde. 2010 fusionierte Mahle mit dem Klimaanlagenbauer Behr und stieg damit damals unter die Top 4 der größten deutschen Automobilzulieferer auf. Quelle: dpa

Wie wollen Sie die Kosten wieder einfangen?

Wir strukturieren den Standort neu und planen weniger Umsatz – und wir haben Anlagen nach Frankreich verlagert. Zudem wird Ungarn für uns ein wesentlicher Wachstumsstandort für Europa. Wir beginnen dort mit der Produktion von Abschirmtechnik, die hitzeempfindliche Teile vor hohen Temperaturen schützt. Binnen drei Jahren könnten wir dort mit 60 bis 100 Mitarbeitern 15 bis 20 Millionen Euro Umsatz schaffen.

Wie viel Schadensersatz müssen Sie den Autoherstellern leisten?

Bei einigen wenigen Kunden gab es Stillstände am Band. Diese haben Schadensersatzforderungen an uns gestellt. Der weitaus größere Teil hat uns aber lediglich weniger bezahlt, weil wir Teile nicht rechtzeitig geliefert hatten. Da zum Jahresende immer noch Rechnungen gestellt werden, kann ich das nicht beziffern.

"Dem Dieselmotor verdanken wir unsere Wachstumsstory"

Was wird aus Ihrer defizitären Fertigung von Komponenten für Elektroautobatterien?

Wir waren damit 2015 in der Verlustzone und erwarten auch für 2016 Verluste. Die E-Mobilität läuft schleppend, die Nachfrage ist schwach. Wir haben die Sparte restrukturiert und Kosten reduziert.

Was muss passieren, damit die Sparte nachhaltig Gewinne schreibt?

Das Einzige, was helfen könnte, wären Fördermittel der Bundesregierung, um die Nachfrage anzukurbeln, etwa Kaufprämien.

Womit die Zulieferer zu kämpfen haben

Was bedeutet das strategisch für Sie?

Die Elektromobilität bleibt eine strategische Option - ebenso wie die Brennstoffzelle und der Leichtbau. Alles spielt für uns eine wichtige Rolle, um die Abhängigkeit vom Verbrennungsmotor über die nächsten 15 bis 20 Jahre zu reduzieren. Mit unserem größten Leichtbau-Auftrag generieren wir allein über die nächsten fünf bis sechs Jahre ein Umsatzvolumen von über 120 Millionen Euro. Im Bereich E-Mobility werden wir versuchen, gemeinsam mit anderen Zellenherstellern, weitere Produkte herzustellen und unser Programm auszubauen. Mit der Zellverbindung allein kommen wir nicht weiter.

Über die Tochter new enerday fertigen Sie Stromerzeuger auf Brennstoffzellenbasis. Wozu?

Da gibt es eine Reihe spannender Applikationen. Sie können damit die autarke Stromversorgung auf Segelbooten, in Reisemobilen oder auch Zuhause sicherstellen. Die Schweizer Polizei betreibt damit zum Beispiel Anlagen zur mobilen Verkehrsüberwachung.

Die besten deutschen Autozulieferer

Und damit verdienen Sie Geld?

Noch ist es Startup. Aber in zwei bis drei Jahren wollen wir Erträge realisieren. Der Bereich außerhalb der Automobilindustrie soll unser klassisches Kerngeschäft langfristig ergänzen.

Brauchen wir Deutschland eine eigene Batteriezellenfertigung?

Auf jeden Fall. Wenn es dafür nicht schon zu spät ist. Sowohl in Asien als auch den USA spricht man von Gigafactories. Strategisch gesehen wäre das für Deutschland sehr wichtig.

Viele Zulieferer unterhalten Joint-Venture mit chinesischen Firmen - Sie nicht. Wird sich das in absehbarer Zeit ändern?

Beim Thema Elektromobilität gibt es Überlegungen dazu, wir schauen uns um. Da ist aber noch nichts spruchreif. Man muss sehen, mit wem man kooperiert. China wird zum Leitmarkt für die Elektromobilität und ist daher für uns ein interessanter Markt bei Themen wie Abgasnachbehandlung, Leichtbau und Downsizing von Motoren.

ElringKlinger ist stark in Japan und Südostasien. Ford zieht sich gerade aus Indonesien zurück. Dabei gilt die Region als Wachstumsmarkt. Waren die westlichen Hersteller einfach zu spät dran?

Die ASEAN-Staaten sind ganz klar der Hinterhof der Japaner. Wir sind mit einem japanischen Kunden nach Indonesien und Thailand gegangen, weil die Produktionskosten dort niedriger sind. Wir sprechen auch mit westlichen Herstellern, folgen in erster Linie aber den japanischen. ASEAN wird eine Wachstumsregion bleiben, sich 2016 aber gegenüber 2015 abschwächen. Die Währung hat deutlich gelitten.

Bereits mehr als die Hälfte Ihrer Beschäftigten arbeitet im Ausland. Ein Trend der sich 2016 vorsetzt?

Das Mitarbeiterverhältnis könnte sich etwas stärker in Richtung Ausland verschieben. Aber unsere Neuheiten werden sowohl für westliche als auch ausländische Hersteller interessant sein. Ich würde Westeuropa keineswegs abschreiben.

Volkswagen steht für etwa acht Prozent Ihres Umsatzes. Welche Auswirkungen hat der Diesel-Skandal auf Sie?

Dem Dieselmotor verdanken wir unsere Wachstumsstory. Wir spüren eine leichte Änderung im Produktmix, also hin zu etwas mehr Benzinern. Bei Umsatz und Ergebnis wird uns das aber nicht besonders treffen.

Herr Jessulat, vielen Dank für das Gespräch.

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