WirtschaftsWoche: Herr Göschel, mit der Manipulation der Emissionen von Dieselfahrzeugen hat Volkswagen die gesamte Autoindustrie in Misskredit gebracht. Sind die gesetzlichen Grenzwerte eigentlich nur noch mit Tricksereien und Mogeleien zu schaffen?
Burkhard Göschel: Der Diesel schafft auch die strengsten Emissionsgrenzwerte Kaliforniens zuverlässig. Und das nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch auf der Straße. Voraussetzung ist allerdings eine aufwändige und teure Abgasreinigung, die aus drei Komponenten besteht: Abgasrückführung, NOx-Speicherkatalysator und SCR-Katalysator mit der Einspritzung von Harnstoff. Das gilt grundsätzlich natürlich auch für Europa.
Wieso nutzen einige Hersteller dennoch Gesetzeslücken und richten ein so genanntes Thermofenster ein, bei dem die Abgasreinigung ab bestimmten Außentemperaturen bis zur Unwirksamkeit heruntergeregelt wird?
Bei der Abgasrückführung gibt es Temperaturgrenzen nach unten. Dabei bildet sich ein schmieriges Kondensat aus Öl und Ruß, das wichtige Bauteile beeinträchtigen kann. Ab etwa null Grad Celsius wird deshalb die Abgasrückführung stufenweise ausgephast, wie das technisch heißt. Den Herstellern vorzuwerfen, dass sie Thermofenster ausgenutzt haben, ist schlicht Unsinn. Wenn das nicht mehr erlaubt sein soll, muss der Gesetzgeber andere Regeln erstellen. Sowohl die Behörden in Europa als auch in den USA lassen das ausdrücklich zu. Der Speicherkat und der SCR-Kat funktionieren aber bei Temperaturen, die weit über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen.
Zur Person
Burkhard Göschel war nach Führungspositionen im Management von 2000 bis 2006 Entwicklungsvorstand bei BMW. Der promovierte Ingenieur ist ausgewiesener Experte für Verbrennungsmotoren und Fahrzeugtechnik. Als Honorarprofessor der Universität Graz, Ehrendoktor und Senator der Technischen Universität München berät Göschel heute weltweit Firmen zur Zukunft von Antriebstechnologien, die er langfristig im Elektroantrieb mit Batterie oder Brennstoffzelle sieht.
Warum spricht das in der aktuellen Diskussion keiner der Fahrzeughersteller so klar an?
Die Hersteller müssen einräumen, dass sie sich auf Einzeldiskussionen eingelassen haben, zuerst CO2, dann die Anpassung der Auslegungs-und Prüfbedingungen und jetzt die Emissionierung. Nur die gesamthafte Betrachtung macht Sinn. Das Thema berührt die Langfriststrategien und erfordert Antworten zum Thema Elektrifizierung. Das müssen die Hersteller gemeinsam oder über ihre Verbände VDA oder ACEA klarstellen. Die Diskussion läuft in die falsche Richtung und schadet der Autoindustrie. Die Autoindustrie muss konstatieren, dass es nicht mehr ausreicht, alle Gesetzesanforderungen zu erfüllen, wenn deren Relevanz nicht mehr gegeben ist. Oder sie müssen sich um eine Änderung bemühen. Deshalb ist im Laufe der öffentlichen Diskussion der Eindruck entstanden, dass alle Hersteller schummeln.
Aber diese Wahrnehmung ist doch berechtigt: Wenn in der Werbung der Verbrauch eines Autos mit viereinhalb Litern angegeben wird und der Verbrauch im Alltagsbetrieb nicht unter sechseinhalb Liter sinkt, stimmt doch was nicht.
Wie gemessen wird, ist gesetzlich so vereinbart. Entweder nimmt man die Vereinbarung ernst, dann gilt sie. Wenn der Unterschied zwischen Messwert und Realverbrauch zu groß gerät, dann muss man die Vereinbarung zum Messverfahren ändern. Ganz krass ist diese Diskrepanz bei den Hybriden. Da wundert mich, dass die Hersteller nicht von sich aus sagen: Diese Angaben können wir nicht länger vertreten. Wenn ein 350-PS-Hybrid mit einem Verbrauch von 1,5 Litern angegeben wird, ist das für die theoretische CO2 Bilanz erfreulich, aber trotzdem realitätsfern. Hier muss sich was ändern.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Ist unter den Voraussetzungen noch das Ziel zu halten, die CO2-Emissionen von Neuwagen bis 2020 auf im Schnitt 95 Gramm pro Kilometer abzusenken?
Wenn die Auslegungs-und Prüfmethodik geändert wird, dann muss man auch die darauf basierende 95-Gramm-Vereinbarung in Frage stellen. Man kann nicht die Berechnung des Verbrauchs ändern, aber an den 95 Gramm festhalten und alle anderen Größen vergessen.
Kommt die Diskussion um den Diesel dem Elektroauto zugute?
Ganz bestimmt. Es wird sichtbar, dass die Abgas-Thematik schwieriger und teurer wird. Ob das Ganze gleich in die Elektrifizierung mündet oder der Hybrid stärker kommen wird, ist noch offen. Für mich ist der Hybrid jedenfalls nur eine Zwischenlösung. Auch der Hybrid wird unter Druck geraten, wenn die Methodik Richtung Realverbrauch geändert wird. Die im jetzt geltenden offiziellen Verbrauchswert sichtbare Sparsamkeit kann sich dann schnell in Luft auflösen.