Es sind Zahlen, bei denen so mancher Autohersteller feuchte Augen bekommt: Ein Plus von über 100 Prozent. 2014 verkaufte die Geländewagen-Marke Jeep in Europa 42.000 Autos, Ende 2015 waren es sage und schreibe 89.000. Sergio Marchionne, Chef des Fiat-Chrysler-Konzerns, zu dem die Marke Jeep zählt, dürfte gestrahlt haben – und tut es wohl noch, denn die Erfolgsserie reißt nicht ab. Nach den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres hat Jeep nochmal gut 20 Prozent mehr verkauft als im Vorjahreszeitraum.
Und weitere frohe Kunde bahnt sich an: Der koreanische Elektronikkonzern Samsung interessiert sich offenbar für die Zulieferersparte des Fiat-Chrysler-Konzerns. Sie trägt den klangvollen Namen Magneti Marelli und ist auf Lichtsysteme, Telematik und Entertainmentmodule spezialisiert. Rund drei Milliarden Euro könnte der Deal Medienberichten zufolge dem italo-amerikanischen Konzern einbringen.
Geld, dass Chef Marchionne für die Tilgung seiner Schulden (fünf Milliarden Dollar) und Expansionspläne gut gebrauchen kann. Denn der Manager hat sich in seinem Fünf-Jahres-Plan – die Umsetzung begann 2014 – viel vorgenommen. Bis 2019 sollte der Absatz des Volumenherstellers auf sieben Millionen Autos pro Jahr steigern – 59 Prozent mehr als 2014.
Wie Fiat-Chrysler in Deutschland aufgestellt ist
2010: 78.190 Neuzulassungen
2011: 80.125 Neuzulassungen
2012: 72.755 Neuzulassungen
2013: 67.753 Neuzulassungen
2014: 68.103 Neuzulassungen
Quelle: Kraftfartbundesamt KBA
2010: 2.296 Neuzulassungen
2011: 3.992 Neuzulassungen
2012: 6.614 Neuzulassungen
2013: 6.899 Neuzulassungen
2014: 10.268 Neuzulassungen
2010: 8.621 Neuzulassungen
2011: 10.480 Neuzulassungen
2012: 7.502 Neuzulassungen
2013: 3.625 Neuzulassungen
2014: 3.391 Neuzulassungen
2010: 1.463 Neuzulassungen
2011: 2.334 Neuzulassungen
2012: 2.979 Neuzulassungen
2013: 2.979 Neuzulassungen
2014: 1.262 Neuzulassungen
Die Verkaufszahlen der Edelmarke Alfa Romeo sollten sich gar auf 400.000 Stück verfünffachen. Doch Marchionne würde seinem Ruf eines hervorragenden Kaufmanns nicht gerecht, wenn er nicht die eine oder andere Planänderungen – zugunsten besserer Ergebnisse versteht sich vornehmen würde. So sollte die Mittelklasse Limousine Giulia ursprünglich schon Ende 2015 den Auftakt zur großen Modeloffensive von Alfa Romeo geben. Sieben weitere Modelle sollten bis 2018 folgen.
Produziert wird, was Rendite bringt
Doch die Giulia rollte mit einem gutem halben Jahr Verspätung zu den Händlern und Marchionne streckt das Produktprogramm bis zum Jahr 2020. Die nachfrage- und gewinnstarken Gelände- und Pritschenwagen von Jeep und Ram haben Vorrang. Produziert wird, was Rendite bringt.
Ein schlüssiger und notwendiger Plan. Marchionne will seine Braut aufhübschen. Denn, dass der Chef einen gute Partie für den Konzern sucht, ist kein Geheimnis. Voriges Jahr diente er sich GM-Chefin Mary Barra unverhohlen an und kassierte eine Absage. Dem FCA-Chef bleiben wenige Optionen, denn so erfreulich die guten Absatzzahlen sind, sie können nicht über das Grundproblem des Konzerns hinwegtäuschen.
Dem Fiat-Chrysler-Konzern fehlt:
- innovative Technologie
- Geld für nötige Investitionen
Der SUV-Boom ist für die Italo-Amerikaner Segen und Fluch zugleich. "Fiat-Chrysler wurden vom dem sich radikal ändernden Käuferverhalten kalt erwischt. Plötzlich wollten alle große, höherwertige Geländewagen. Das ist gut fürs Geschäft, aber schlecht für die CO2-Bilanz", erklärt Thomas Göttle, Mitglied der Geschäftsleitung bei PA Consulting Group und globaler Chef der Automobilsparte. Bis 2014 entwickelte sich der CO2-Flottendurchschnitt von Fiat-Chrysler in Europa gut, die Werte sanken und der Konzern konnte damit rechnen, die Zielwerte der EU für 2021 zu erreichen. Das ist nun nicht mehr gewiss.
Göttle geht davon aus, dass die beliebten, aber schweren und technologisch-veralteten Jeep-Modelle den bisherigen Flottendurchschnitt um mehrere Gramm nach oben verschieben – deutlich über der bisherigen Prognose. "Der Konzern läuft Gefahr, seine CO2-Flottenziele in der EU 2021 nicht zu erreichen. Das könnte empfindlich hohe Strafzahlungen nach sich ziehen", so Göttle.
Ein Blick auf die vom Hersteller ausgewiesenen CO2-Werte zeigt, wo das Problem liegt. Die Modelle stoßen vergleichsweise viel Kohlenstoffdioxid aus. Je nach Modell und Motoren emittieren Jeep-Fahrzeuge zwischen 15 und 30 Prozent mehr CO2 aus als etwa vergleichbare BMW-Fahrzeuge aus der Geländewagen-Reihe. Das schlägt aufs Kontor. "Fiat-Chrysler ist vom Wettbewerb meilenweit entfernt. Die Motoren hängen der technologischen Entwicklung mindestens eine Dekade hinterher", so Göttle. Doch der Konzern hat kein Geld, um den Rückstand aufzuholen. Die Entwicklung eines neuen Motors verschlingt leicht ein bis zwei Milliarden Euro und fünf Jahre Entwicklungszeit. Marchionne hat weder das eine noch das andere.
"FCA ist vom Wettbewerb meilenweit entfernt"
Um seinem Schicksal zu entgehen, hat der Konzernchef nur zwei Möglichkeiten:
a) er findet einen Kooperationspartner für die Motorenentwicklung
b) er kauft technologisch hochwertige Dieselmotoren oder Hybrid-Systeme zu.
Reine Elektrofahrzeuge sind für Fiat aufgrund der hohen Investitionskosten derzeit außer Reichweite. Wie stark die prekäre finanzielle Lage den Konzern einschränkt zeigt das Innovations-Ranking der Center of Automotive Management unter Leitung von Stefan Bratzel. Der Fiat-Chrysler-Konzern fällt von Rang 12 auf Rang 15. Die schlechteste Platzierung seit 2008. Über eine komplette Dekade hinweg findet sich bei FCA kaum Hightech.
In der Auswertung der besten 100 Innovationen zwischen 2005 und 2015 taucht Fiat nur ein einziges Mal auf. Bei den konventionellen Verbrennungsmotoren machten sich die Italiener 2010 mit dem TwinAir Motor, einem besonders sparsamen Zweizylinder-Motor mit variabler Ventilsteuerung, einen Namen. Er wurde unter anderem mit dem renommierten Fachjournalisten-Preis International Engine of the Year ausgezeichnet. Seither: nichts Herausragendes. Dabei beweisen anderen Volumenhersteller wie Toyota oder VW, das Masse und Klasse durchaus miteinander einhergehen können – wenn das nötige Kleingeld vorhanden ist.
Der technologische Rückstand ist einer der Hauptgründe dafür, dass sich FCA-Chef Sergio Marchionne Google als Partner andient. Gemeinsam arbeiten der Tech-Konzern und der Autobauer an einem Testfahrzeug für autonomes Fahren. Basis ist der Minivan Chrysler Pacifica. 100 von Google umgerüstete Modelle werden auf einem abgegrenzten Gelände selbstfahrend ihre Runden drehen, bevor die Technologie in ein paar Jahren in Serie geht.
Deutsche Unternehmen sträuben sich bisher mit Google zusammen zu arbeiten, weil sei fürchten von den finanzkräftigen Tech-Giganten zum Auftragsfertiger degradiert zu werden. Marchionne sieht in der Kooperation offenbar mehr Chancen als Risiken. Zweifelsohne hätte er mit Google einen hochsolventen Partner, begäbe sich aber auch in enorme Abhängigkeit.
Der FCA-Chef hat jedoch wenig Alternativen, er muss Geld verdienen. Der Konzern schiebt einen Schuldenberg von 5,4 Milliarden Euro vor sich her (industrielle Nettoverschuldung). Im Gegensatz zu anderen Autokonzernen verfügt FCA über keine eigene Finanzsparte, keine "Hausbank", bei der sich der Konzern in Zeiten schwacher Auftragslagen oder hohem Bedarf an Investitionen in neue Technologien günstig Geld besorgen kann.
Marchionne hat eine schlechte Ausgangsposition
Nicht minder wichtig: Die Finanzdienstleister der Autokonzerne wie etwa VW Financial Services oder die Mercedes Benz Bank fungieren als Kreditgeber für Kunden, die sich sonst kein Auto leisten könnten und kurbeln den Absatz so kräftig an. Das Geschäft mit Leasing- und Krediten trägt bei vielen Konzernen mittlerweile in beträchtlichem Umfang zum Gesamtkonzernergebnis bei. FCA ist in diesem Bereich nun in einigen Ländern aktiv, nicht aber etwa im wichtigen Heimat- und Wachstumsmarkt USA.
Kurz um: Marchionne befindet sich im globalen Wettbewerb mit anderen Volumenherstellern wie Toyota, Ford, GM, Hyundai-Kai und VW in einer schlechten Ausgangssituation. "Fiat-Chrysler zählt zu den Low Performern", sagt Stefan Bratzel, der die Leistungskraft der globalen Autokonzerne regelmäßig in einem Performance-Index ermittelt, in den Finanzkraft, Markt und Innovationsleistung einfließen. Im vergangenen Geschäftsjahr rutschte FCA weiter ab. "Trotz der guten Marktentwicklung der amerikanischen Tochter Chrysler, konnte sich FCA nicht mehr im Feld der Medium Performer halten", so Bratzel.
Die drohenden Strafzahlungen im Fall verfehlter CO2 Ziele, wären die nächste Großbaustelle für den Fiat-Chrysler-Chef. Dabei hagelte es in den vergangenen Monaten schon reichlich Negativ-Schlagzeilen:
- Im April musst der Konzern 1,1 Millionen Fahrzeuge zurückrufen. Grund waren Probleme bei der Bedienung des Automatik-Wahlhebels, der bei unter Umständen nicht in die beabsichtigte Parkfunktion schaltet sondern lediglich in die Neutralposition. Einige Fahrzeuge gerieten dadurch ins Rollen. Es kam zu 121 Unfällen und 41 Verletzten. Der Schauspieler und "Enterprise"-Pilot Anton Yelchin, kam durch einen zurückrollenden Jeep zu Tode. Medienberichten zufolge will die Familie des Schauspielers den Konzern verklagen.
- Die amerikanische Börsenaufsicht SEC untersucht den Vorwurf angeblich geschönter Verkaufszahlen in den USA.
- Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt möchte sich mit den italienischen Behörden über die hohen Stickoxid-Werte unterhalten, die der Fiat 500x beim Test der Behörde aufgewiesen hatte.
- Das französischen Umweltministeriums stellte beim Fiat 500x massive Überschreitungen der Grenzwerte für Stickoxide und CO2 fest. Das Modell schnitt unter allen 86 getesteten Diesel-Fahrzeugen mit am schlechtesten ab.
- Die US-Sicherheitsforschern Charlie Miller und Chris Valasek, die mittlerweile für den Fahrdienst Uber arbeiten, ist es erneut gelungen Jeep-Modelle zu hacken. Dafür schlossen sie ein Laptop per Kabel an das im Auto befindliche Onboard Diagnose-Gerät ein. So konnten sie das Lenkrad bei voller Fahrt übernehmen.
Für den 64-jährigen Marchionne, der den Konzern noch bis 2018 führen will, gibt es noch jede Menge zu tun. Fraglich ist, ob er das Unternehmen bis dahin zu einem langfristig überlebensfähigen Autoproduzenten aufstellen kann oder ob FCA doch noch als erster Produzent für Robotaxis im Auftrag eines Tech-Unternehmens wie Google oder Apple in die Geschichte eingeht.