Wenn Karl-Thomas Neumann am Dienstag um 11 Uhr die Bühne in Halle 2 des Genfer Messegeländes betritt, kann er sich wenigstens für kurze Zeit ganz auf das Wesentliche der Automesse konzentrieren . Dann nämlich stellt der Opel-Chef den neuen Insignia vor, das Flaggschiff des Unternehmens.
Und während Neumann über die Vorzüge der Limousine Grand Sport und des Kombis Sports Tourer referiert, hat ein lediges Thema vorübergehend Pause – die Übernahme durch Peugeot-Mutter PSA. Der Deal zwischen der Opel-Mutter General Motors und den Franzosen, der immer noch in der Schwebe hängt, ist eines der prägenden Gesprächsthemen des Genfer Automobilsalons – eigentlich locken jedoch die Neuvorstellungen.
Opels Insignia ist eines der wenigen Vernunft-Autos, das in Genf seine Premiere feiert. BMW zeigt die Kombi-Variante der neuen 5er-Reihe, Ford die achte Generation seines Kleinwagen-Bestsellers Fiesta und Hyundai den Kombi des Golf-Gegners i30. Ansonsten macht die Branche das, was sie immer gemacht hat: Sich selbst und ihre neuen PS-Boliden feiern. Die in den vergangenen Jahren vorgestellten Elektroautos – oder meist noch deren Studien – sind zwar da, im Mittelpunkt stehen aber ganz andere Modelle.
Die wichtigsten Automessen der Welt
Dies ist die Leitmesse für Nordamerika. Vor allem für Pick-ups und SUV-Geländewagen können sich die Besucher hier begeistern. Bei der North American International Auto Show (NAIAS) stehen die schweren Karossen an nahezu jedem Messestand. Detroit eröffnet traditionell das Autojahr. 2017 ist die Messe bereits vorbei, für 2018 ist inklusive Presse- und Fachbesuchertagen der 14. bis 28. Januar als Termin angepeilt.
Hier zeigt vor allem die europäische Autoindustrie neue Modelle. In diesem Jahr werden am Genfer See vom 7. bis zum 19. März knapp 150 Welt- und Europapremieren vorgestellt – mehr als im vergangenen Jahr.
China ist der größte Automarkt der Welt und speziell für deutsche Hersteller von Bedeutung. Die größte Automesse Asiens findet in diesem Jahr vom 19. bis 28. April in Shanghai statt. Von Jahr zu Jahr wechselt die Messe zwischen der chinesischen Hauptstadt und dem „Paris des Ostens“.
Die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt findet im Wechsel mit der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover alle zwei Jahre statt. Hier werden meist besonders viele neue Modelle vorgestellt. In diesem Jahr gibt es vom 12. bis zum 24. September wieder eine IAA in Frankfurt.
Die Schau „Mondial de l'Automobile“ in Paris findet alle zwei Jahre statt. 2018 feiert sie vom 2. bis zum 14. Oktober 120-jähriges Jubiläum. Die Franzosen werben mit dem weltweit größten Besucherandrang bei Automessen – vergangenes Jahr sorgten die Pariser Terroranschläge von November 2015 aber für deutlich weniger Gäste.
Sie ist alle zwei Jahre die große Bühne der japanischen Hersteller wie Toyota, Mitsubishi und Mazda. Die Messe findet im Herbst statt, dieses Jahr vom 25. Oktober bis 5. November.
Der Automobilsalon ist traditionell eine etwas andere Messe: Die Größe der Stände ist wegen der Platzverhältnisse streng limitiert, anders als auf der IAA können Audi, Mercedes und Co. hier keine Auto-Paläste aufbauen.
Nur wenige Modelle erfüllen das CO2-Ziel
In Genf haben auch die kleinen Hersteller ein Forum. Tüftler wie Rinspeed präsentieren Jahr für Jahr ihre Konzepte, Kleinserienhersteller wie Pagani oder McLaren nutzen die Messe, um ihre neuesten Supersportwagen vorzustellen. Auch Ferrari präsentiert in Genf traditionell ein neues Modell – dieses Jahr den Gran Turismo mit dem Namen 812 Superfast – und womöglich noch ein streng limitiertes Sondermodell zum 70-jährigen Bestehen der Marke.
Eines ist 2017 aber anders als in den Vorjahren: Auch die deutschen Autobauer lassen sich vom PS-Fieber anstecken. Weniger als 70 von 900 präsentierten Modellen erfüllen auch die in der EU ab 2021 für Neufahrzeuge vorgeschriebene Ausstoßgrenze von 95 Gramm Kohlendioxid pro gefahrenem Kilometer.
Beispiel Mercedes: Auf dem Messestand der Stuttgarter ist das E-Klasse Cabrio unter den Neuheiten geradezu das Vernunft-Mobil. Die Hingucker werden andere Premieren von Mercedes-Benz und den Sub-Marken Maybach und AMG sein.
In Europa selten, aber auffällig ist etwa das große SUV GLS. Trotzdem stellen die Stuttgarter die neue Generation ihres Fünf-Meter-Geländewagens nicht in den USA, sondern in Genf vor. Wohl auch, weil das dortige Publikum dem Luxus durchaus zugeneigt ist. Und mit dem prasst das größte SUV der Marke. Auf den Markt kommt die Symbiose aus den Geländeeigenschaften der G-Klasse und dem Flair der S-Klasse im Lauf des Jahres.
Doch gegen das zweite neue SUV sieht selbst ein GLS klein aus: Das Gelände-Halbcabrio Mercedes-Maybach G650 Landaulet übertrifft den GLS locker – bei Größe, Preis und Exklusivität. Der spektakuläre Wagen wird nur 99 Mal gebaut, zu Stückpreisen jenseits der halben Million Euro. Dagegen erscheint das Mercedes-AMG E63 T-Modell geradezu vernünftig – schließlich ist es ein Kombi. Wenn auch einer mit bis zu 612 PS.
Spekuliert wird auch über eine Studie: Mercedes-AMG könnte zeigen, wie sie sich eine viertürige Variante des Sportwagens AMG GT vorstellt. Gerüchte über einen AMG-Viertürer auf E-Klasse-Basis gibt es bereits länger. Bekannt ist aber bislang nichts – auch wie seriennah oder futuristisch das Concept Car ausfallen könnte.
Alfa Romeo versucht wieder den Neuanfang
Auch Audi stellt in Genf vor allem die PS-starken Modelle in den Vordergrund. Der frisch überarbeitete RS3 Sportback bringt es auf 400 PS (in einem Auto der Golf-Klasse wohlgemerkt), das komplett neue RS5 Coupé sogar auf 450 PS.
Das Highlight wird die zweite Auflage des Q8 Concept, das Audi bereits Anfang des Jahres in Detroit präsentiert hatte. Das Konzept-SUV gibt einen Ausblick auf die Serienversion eines SUV-Coupés auf Basis des Q7 – und soll den kompletten Design-Neustart bei den Ingolstädtern anstoßen. Im Zusammenhang mit einem avantgardistischen SUV-Coupé der Fünf-Meter-Klasse sollte das Wort „Vernunft“ jedoch nur sparsam verwendet werden.
Doch über die reine PS-Protzerei hinaus gibt es in Genf einige interessante Modelle und Projekte zu sehen, die einen genaueren Blick verdient haben.
Da ist etwa Alfa Romeo, die – mal wieder – einen Hoffnungsträger vorstellen. Nachdem die Mittelklasse-Limousine zwar in Vergleichstests gut abschneidet, auf dem Markt aber nicht so recht Anklang fand, soll es jetzt ein SUV richten. Der Stelvio ist optisch und technisch verwandt mit der Giulia, auch das 510 PS starke Top-Triebwerk, ein V6-Turbo, stammt aus der Limousine.
Das für Deutschland interessanteste Modell dürfte der 2,2-Liter-Diesel mit 210 PS sein. Basispreis: 47.500 Euro. Später soll ein Ableger mit Heckantrieb folgen, der etwas günstiger ausfallen dürfte. Für Alfa ist der Stelvio entscheidend für die Zukunft: Wenn es den Italienern nicht einmal gelingt, in dem boomenden SUV-Segment erfolgreich zu sein, sieht es düster aus.
Volvo zeigt ein neues Kompakt-SUV
Das kann Volvo derzeit nicht von sich behaupten. Die Schweden treiben weiter erfolgreich ihren Neustart voran, der 2014 mit dem XC90 angefangen hat. In Genf bringt Volvo den neuen Baukasten SPA (skalierbare Produkt-Architektur) von der Ober- in die Mittelklasse. Mit großem Erfolg haben die Schweden nach dem XC90 auch die Limousine S90, den Kombi V90 und den Gelände-Kombi V90 Cross Country auf Basis der SPA gebracht.
In Genf kommt jetzt die zweite Stufe nach ähnlichem Muster: zuerst das SUV – in diesem Fall der XC60 – dann Limousine und Kombi. Die 60er Baureihe ist für die Stückzahlen deutlich wichtiger – und ihr Erfolg entscheidend, wenn Volvo-Chef Hakan Samuelsson sein Ziel von 800.000 Autos pro Jahr erreichen will.
Wenn der XC60 auf den Markt kommt, wird er sich nicht nur gegen den Mercedes-Benz GLC, BMW X3 oder Audi Q5 behaupten müssen – auch der DS7 Crossback will künftig in dem heiß umkämpften Segment der Mittelklasse-Premium-SUV mitmischen.
DS wandelt sich zur eigenständigen Marke
DS? Das war bislang die Bezeichnung für aufgehübschte Ableger von Citroën-Modellen. Jetzt wollen die Franzosen DS stärker emanzipieren und als dritte Marke des PSA-Konzerns neben Peugeot und Citroën aufbauen – nicht nur mit Blick auf China. Zur Feier der Eigenständigkeit gönnt sich DS ein Mittelklasse-SUV, das auf der konzerneigenen EMP2-Plattform aufbaut – ungeachtet des Opel-Deals soll übrigens auch der kommende Opel Grandland X auf dieser Plattform basieren. Zumindest in Deutschland könnte der Grandland X den DS7 übertreffen: Die Franzosen halten weiterhin an dem auffälligen Design der DS-Modelle fest, was sicher nicht jedem gefallen wird.
Das Design hebt auch den Kia Stinger aus der Masse hervor. Eine Sport-Limousine mit Breitreifen und vier Endrohren hat man von der koreanischen Marke in dieser Form noch nicht gesehen – zumindest in Europa. Auch wenn sich die Kias wie der Picanto (in Genf ebenfalls neu), Cee’d oder Sportage oft durch ihr dynamisches Design abgehoben haben, war es ihr Antrieb bislang nicht. Damit macht der Stinger GT Schluss, er leistet bis zu 370 PS. Ob das reicht, um die Marke in Europa bekannter zu machen oder für mehr Emotionen zu sorgen, muss sich noch zeigen. Alleine der Versuch aber, ähnlich wie die größere Schwester Hyundai mit der Genesis-Submarke, aus dem üblichen Konzept auszubrechen, ist aller Achtung wert.
Außerhalb der angestammten Modellpalette – allerdings nicht so extrem wie bei Kia – liegt auch die Messepremiere von Volkswagen. Der Arteon soll das neue Topmodell der Wolfsburger werden – über den Passat platziert, aber unterhalb des eingestellten Phaetons. Den Versuch, eine eigene Luxuslimousine im Stile des Audi A8 oder der Mercedes S-Klasse zu etablieren, hat Volkswagen (vorerst) abgesagt. Der coupéhaft geschnittene Viertürer ist so etwas wie der Nachfolger des Passat-Ablegers CC, tritt aber deutlich eigenständiger auf.
Ein wichtiges neues Element ist eine große und weit nach oben öffnende Heckklappe, die einen guten Zugang zum großen Gepäckraum ermöglicht. Zu den Konkurrenten zählen Modelle wie der Audi A5 Sportback und der BMW 4er GT. Zweite wichtige Neuheit der Wolfsburger ist der bereits Anfang des Jahres in der US-Version präsentierte Tiguan Allspace, die siebensitzige Langversion des Kompakt-SUVs. Darüber hinaus soll eine weitere Studie die Elektroauto-Pläne der Marke unterstreichen.
Mit der Elektro-Premiere dürfte Volkswagen viel Aufmerksamkeit beim Thema Nachhaltigkeit erzielen. Aber nicht, weil die Studie so herausragend ist. Sondern einfach, weil kaum ein anderer in Genf etwas vergleichbar Neues zeigt. An den Ständen der etablierten Autobauer wird in Sachen Elektromobilität nur Bekanntes gezeigt – ob als Serienauto oder Studie wie Jaguar den I-Pace.
Und selbst das gefeiertste Unternehmen der Elektroauto-Welt ist keine Gefahr für Volkswagen: Tesla bleibt in diesem Jahr dem Genfer Autosalon fern. „Wir schauen uns jedes Event an, ob wir uns dort präsentieren wollen. Wir sind kein traditioneller Autobauer, der überall dabei sein muss“, sagte Tesla-Deutschland-Chef Jochen Rudat der „Automobilwoche“.