Zwischen der Daimlerstraße und der Dieselstraße läuft es dieser Tage nicht so gut. Vor den Autohäusern, die sich hier im Osten Frankfurts Haus an Haus reihen, stauen sich die Autos und beim Gebrauchtwagenhändler am Eck herrscht auch dicke Luft. Dabei hat die Verkäuferin den Kunden schon fast überzeugt von dem Audi A3, der „phantomschwarz mit Perleffekt“ neben ihr steht. Doch dann kommen die Fragen nach dem Motor: Wie lange darf man mit dem Diesel denn noch in Stuttgart und München fahren? Und steckt da auch sicher keine Betrugssoftware unter der Haube? Die Verkäuferin hört die Fragen offenbar nicht zum ersten Mal. „Das ist doch alles nur Panikmache“, gibt sie barsch zurück. Und überhaupt: „München ist BMW-Land. Da kommt doch kein Fahrverbot für Diesel!“ Und wenn doch? „Dann fahren Sie eben außen herum.“
Außen herum fahren? Der Diesel, einst Star der deutschen Autobranche und Liebling sparsamer Lenker, fällt rasant in seinem Ansehen. In Verruf geraten durch die Schummel-Software, die Volkswagen und möglicherweise andere Autohersteller in ihre Autos eingebaut hatten, um die Messung des Schadstoffausstoßes zu manipulieren, droht dem Selbstzünder nun auch noch Unheil in deutschen Städten. Nachdem Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) im Juni ein Dieselfahrverbot für seine Stadt erwogen hat, könnte Stuttgart nun ernst machen.
So verhandelt das Verwaltungsgericht Stuttgart am Mittwoch über ein mögliches Diesel-Fahrverbot für Baden-Württembergs Hauptstadt. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe wegen der Belastung der Luft durch Dieselabgase. Kommt der Verein mit seiner Forderung nach einem generellen Diesel-Fahrverbot für Stuttgart durch, könnte das den Anstoß für massenhafte Diesel-Fahrverbote geben. Es wäre wohl der Beginn vom endgültigen Ende des Selbstzünders.
In den Zulassungszahlen hat sich der Imageverlust bereits manifestiert: Von 47 auf 40 Prozent ist der Anteil der Diesel-Neuwagen innerhalb von 12 Monaten gefallen. Doch wie gehen jene mit dem neuen Risikofall Diesel um, die ihn täglich bewerben und verkaufen sollen, die Autohändler? Wie gut ist der Diesel bei den Kunden noch angeschrieben und welche Folgen hätte das Stuttgarter Urteil? Bekommt man beim Kauf von Dieselfahrzeugen bereits Rabatte? Als Testkäufer hat sich die WirtschaftsWoche bei Frankfurter Autohändlern umgehört.
An einer Ausfallstraße von Frankfurt findet sich der Glaspalast eines Händlers von Volkswagen. Neben den glänzenden Neuwagen reihen sich die gläsernen Büros der Verkäufer. Freundlich schüttelt mir der Mann mit dem gestutzten Bart beim Eintreten die Hand. Die Farben in seinem Glaskasten scheinen mit den Lacken der ausgestellten Autos abgestimmt: Vom Hemd bis zum Ventilator scheint alles in weiß, schwarz oder metallisch gehalten.
Die Story, die ich dem Verkäufer erzähle, ist so einfach wie kompliziert: Mein Vertrauen in den Selbstzünder sei nach all den Skandalen erschüttert. Dennoch bräuchte ich etwas Sparsames für die Langstrecke. Ob er mir denn bei den drohenden Fahrverboten überhaupt noch zu einem Diesel raten könne, will ich wissen. Und haben andere Kunden denn auch solche Probleme beim Dieselkauf?
Ladenhüter VW
Der Verkäufer begleitet meine Ausführungen mit einem verständnisvollen Nicken. Dass die Diesel-Verkäufe dramatisch eingebrochen seien, sei trotz aller Befürchtungen nicht passiert, versichert er mir. Und auch meine Sorge um die Fahrverbote will er mir nehmen: Die Diesel-Neuwagen von VW erfüllen allesamt die strenge Abgasnorm Euro 6. Damit könne ich in jeder Stadt fahren.
Euro 6, das werden mir an diesem Tag auch noch andere Händler als Beruhigungspille für den Diesel verkaufen. Dass die Abgasnorm allerdings nur ein Placebo ist, sagt mir kaum einer. Denn die Stuttgarter Richter verhandeln über ein generelles Diesel-Fahrverbot für Baden-Württembergs Hauptstadt, worunter auch Euro 6 fallen würde – und das womöglich ganzjährig, nicht nur an Tagen mit hoher Feinstaubbelastung.
Doch so schnell lasse ich mich ohnehin nicht vom Diesel überzeugen. Ich will Alternativen. Wäre so viel Geld in ein Elektroauto nicht vielleicht besser investiert? „Das Elektroauto ist ein größeres Risiko als der Diesel“, sagt der Verkäufer. Die Technik werde ständig überholt und wer jetzt kauft, kaufe wahrscheinlich zu früh. Sehen kann man die E-Version vom Golf hier ohnehin nicht. Der Wagen sei gerade auf Testfahrt und erst morgen wieder zurück.
Bei einem anderen Händler in Frankfurt, hinter dessen Glasfassade gebrauchte Volkswagen glänzen, gibt sich der Verkäufer gegenüber dem fingierten Kunden schon etwas offener: „Natürlich gab es Einbrüche beim Verkauf und wir sind mit dem Preis auch runtergegangen. Um gut 600 Euro haben wir die Diesel im letzten Dreivierteljahr herabgesetzt.“
Und das Image des Diesels? Färbt der Skandal um die Schummelsoftware nicht auch auf den Fahrer ab, gebe ich mich besorgt. Der Verkäufer lächelt: „Getrickst haben doch alle. VW hat es eben zuerst zugegeben.“
Am Rand von Frankfurt, wo die graue Mainzer Landstraße ins Grüne ausläuft, turnt Mehmet Öztürk zwischen seinen Gebrauchtwagen herum. Glasfassaden und Verkäufer in Anzügen findet man an Frankfurts Peripherie nicht mehr. Zentimeterknapp parken die Wagen aller Marken aneinander, damit auch alle auf der Verkaufsfläche unterkommen.
Doch manche der Autos stehen schon länger dort, als Öztürk lieb ist. Der Verkäufer zeigt auf zwei VW Golfs und mehrere Tiguan von VW. „Die stehen schon seit Monaten hier“, sagt Öztürk, „und stehendes Geld ist schlafendes Geld.“
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Was Öztürk aber richtig auf Trab hält, sind die vielen Kunden, die wegen der Diesel-Abgasnormen anrufen. Der Verkäufer steht neben einem Diesel von Audi, dessen grüne Plakette an der Windschutzscheibe ihn mit als Abgasnorm Euro 4 einstuft. „Für Frankfurt reicht das. Aber es weiß eben niemand, wie das in anderen Städten weitergeht und ob man dann nicht schon Euro 6 braucht und ob das reichen wird“, sagt Öztürk.
An Dieselfahrverbote in Stuttgart oder München will er trotzdem nicht glauben: „Dann kann doch nur noch die Oberschicht Auto fahren. Was ist denn mit den Leuten, die jetzt einen Diesel haben? Und was soll man dann mit all den Diesel-Autos machen?“ Verkaufen werden Öztürk und seine Kollegen sie dann jedenfalls kaum noch können.