Als es im Saal 2709 des Landgerichts Berlin spannend wird, lehnt sich Jürgen Resch leicht nach vorne. Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sitzt an der Seite der Richterbank, neben ihm seine beiden Anwälte in schwarzen Roben. Er hat Angst von ihnen verdeckt zu werden, also hebt er seine Hand. „Frau Vorsitzende...“ beginnt Resch. Doch Richterin Klinger hört ihn nicht. Dann etwas lauter: „Frau Vorsitzende, darf ich dazu.“ Kopfnicken auf der Richterbank.
Resch hat das Wort. Seit Jahren, sagt er, werde er jetzt verklagt. Ein Plastiktütenhersteller etwa fordere 2,7 Millionen Euro von ihm persönlich für entgangene Gewinne. „Ich habe schon einige Bedrohungen erlebt. Aber wenn Daimler in dieser Klage siegen würde, hätte dies weitreichende negative Folgen für die Arbeit von Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden.“
Eigentlich sollte an diesem Tag nur über eine Einstweilige Verfügung entschieden werden, mit der ein Anwalt des Autobauers verhindern wollte, dass Resch ein Schreiben des Konzerns öffentlich macht.
DUH: Reschs größte Kampagnen
Verbot des Pestizids Endrin.
Einführung schwefelfreier Kraftstoffe.
Dosenpfand
Dieselpartikelfilter
Einrichtung von Umweltzonen in den Städten.
Ab sofort aber geht es im dunkel-holzgetäfelten Saal 2709 um viel mehr - um die Rechte von 80 Millionen Deutschen nämlich, deren Interessen Reschs Umwelthilfe gerne zu vertreten vorgibt und die er durch die Konzerne in Gefahr wähnt.
Es ist Reschs übliche Vorgehensweise. Er muss sich und seine DUH aufladen mit Bedeutung, sie größer und mächtiger machen, als sie eigentlich ist. Zu einem Scheinriesen gewissermaßen. Nur so nämlich, glaubt Resch, kann er gegen die anderen Riesen bestehen, die er bekämpft: die deutsche Autoindustrie. Am vorvergangenen Donnerstag erst konnte er verkünden, auch Opel benutze sogenannte Abschalteinrichtungen, also Anlagen, die dazu führen, dass die Abgasreinigung nur eingeschränkt funktioniert. Bisher hatte Opel bei dem betreffenden Modell gesagt, die Abgasreinigung funktioniere im Bereich von 20 bis 30 Grad vollumfänglich.
Reschs Messungen nun zeigen Ausnahmen. Er nennt sowas: „skandalisieren“. Seine Gegner sagen, er brauche „eine Drohkulisse für seinen Lobbyismus“.
Jürgen Resch ist sowas wie der Berufskläger der Republik. Seit 1986 ist er Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. In 30 Jahren hat er aus dem Ökoverein aus Radolfzell am Bodensee die wohl mächtigste Umweltlobby der Republik geformt. Als Verbraucherschutzorganisation darf sie Konzerne und Firmen direkt abmahnen, wenn sie Rechte der Konsumenten in Gefahr wähnt. Über zwei Millionen Euro nimmt sie allein dadurch jedes Jahr ein. Die DUH ist zwar nur eine von 78 eingetragenen Verbraucherschutzverbänden beim Bundesjustizministerium. Doch kaum ein Verein klagt häufiger: 1500 Rechtsverfahren strengen Resch und seine Truppe jährlich an, 400 davon landen tatsächlich vor Gericht. Lediglich vier Prozent der Fälle, sagt Resch, gingen verloren.
Verbraucherschützer gegen Industriekonzern
Verbraucherschützer gegen Industriekonzern, diesen Kampf führt er seit Anfang der 80er Jahre. Damals entdeckte Resch am Bodensee sterbende Vögel, untersuchte die Kadaver, fand eine Verbindung zum Pflanzengift Endrin, das damals im Obstbau eingesetzt wurde. Kurzentschlossen fuhr er zur Expertensitzung der biologischen Bundesanstalt, knallte jedem Gutachter einen gefrorenen Mäusebussard in einer Plastiktüte auf den Tisch, daneben eine Flasche des Pestizids. Resch sagte: „Das genügt, um 300 Menschen umzubringen“. Wenig später war Endrin verboten – und Resch hatte seine Lebensaufgabe gefunden.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Immer wieder nahm er es in den folgenden Jahren mit den Großen auf: mit BASF und Lidl, mit der Atomindustrie und den Ölkonzernen. Natürlich mit Volkswagen, Porsche und Daimler.
Dabei war Resch einst gar gern gesehener Partner der Autoindustrie. Ende der 1990er Jahre etwa organisierte er mit den deutschen Herstellern eine Kampagne für bleifreies Benzin gegen die Ölmultis. Prompt erhielt die DUH von 1995 bis 2005 den Auftrag, den Umweltbericht des DaimlerChrysler-Konzerns zu kommentieren. 6500 Euro zahlte der Autobauer dafür laut Resch jährlich, zuzüglich 40.000 Euro Sponsoring für Naturschutz-Camps für Daimler-Mitarbeiter. Tatsächlich dürfte es wohl etwas mehr gewesen sein. Etwas über eine halbe Million soll Daimler allein für „Beratungsleistungen“ zwischen 2000 und 2006 an die „Umweltschutz Service GmbH“ gezahlt haben, dazu Spenden an Reschs Global Nature Fund in gleicher Höhe.
Vor etwa zehn Jahren aber endete die Zusammenarbeit abrupt. Offizieller Grund: der Konzern habe die unzensierte Kommentierung des Umweltberichts durch die DUH verhindern wollen, habe außerdem die Kooperation als "Payroll-Beschäftigung" bewertet. Deshalb „beendete die DUH die Kooperation zum Jahresende“, sagt Resch.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Zumindest inoffiziell dürfte auch Reschs damals frisch gestartete Kampagne für Rußpartikelfilter in Dieselfahrzeugen keine unwesentliche Rolle gespielt haben. Daimler-Chrysler jedenfalls kommentierte das Ende der Zusammenarbeit schlicht mit Reschs „irreführender“ Kritik am Umweltbericht des Unternehmens.
Danach: Funkstille. Es sollte beinahe zehn Jahre dauern, bis sich beide Seiten wieder wahrnahmen. Es war der 18. September 2015, als die Welt vom VW-Skandal erfuhr – und Jürgen Resch eine neue Schlagzeile schuf: Den „industriell-politischen Komplex“, wie er es nennt. Für ihn unterlaufen die Autokonzerne seit Jahren absichtlich Abgasvorgaben, machen falsche Angaben zum Spritverbrauch und rüsten ihre Pkw mit Schummelsoftware für die Kontrollen auf dem Prüfstand. Gleichzeitig hätte der Staat die Gesetze und Vorschriften, um eben das zu unterbinden – tut aber nichts, aus Rücksicht auf die allzu mächtige Industrie, die auch die Medien im Griff hat. Leidtragender dieser Verschwörung: die Verbraucher.
Die kürzlich bekannt gewordenen Messergebnisse des Kraftfahrt-Bundesamtes bekräftigen Resch darin. Kaum war öffentlich, dass nahezu alle deutschen Hersteller Modelle mit zu hohen Abgaswerten produzieren und hunderttausendfach Wagen zurückrufen müssen, verschickte Resch auch schon eine harsche Pressemitteilung. Ziel der Attacke diesmal: die Bundesregierung. Er forderte: „ein Ende des Schmusekurses und eine harte und konsequente Durchsetzung des geltenden Rechts.“ Und so vergeht seither kaum eine Woche, in der er nicht in irgendeiner Talkshow oder Radiosendung sitzt, zu einer Pressekonferenz lädt oder in einem Auditorium steht.
Wahrheitsfindung oder Kampagne?
So wie in Friedrichshafen am Bodensee an einem Donnerstag im April. Resch trägt die Ergebnisse von sieben Monaten Dieselgate-Kampagne. Der 56-Jährige steht in einem schwarz angestrichenen Raum der örtlichen Zeppelin-Universität. „Wie Umweltrecht von Wirtschaft und Staat unterlaufen wird … und was Umweltverbände dagegen tun können!“, hat er seinen Vortrag betitelt. Resch findet an diesem Abend mal wieder markige Worte für die Branche. Daimler-Chef Dieter Zetsche etwa bezichtigt er der „tausendfachen Körperverletzung mit Todesfolge“, weil dessen Autos bei unter zehn Grad Außentemperatur ihre Abgasreinigung weitgehend einstellten.
Die gesamte deutsche Autoindustrie agiere „weitgehend außerhalb des Rechtssystems“. Der Staat sei ein „Mittäter“, der aus Rücksicht auf die Industrieinteressen die Rechte der Verbraucher nicht durchsetze.
Die deutsche Autoindustrie ist von solchen Tönen natürlich wenig begeistert. Sie wähnt ihren Ruf durch die populären Aktionen der DUH in Gefahr. Und so suchten die Konzerne – allen voran Daimler – Kontakt zum umtriebigen Umweltschützer am Bodensee. Am 2. Dezember 2015 kam es tatsächlich zu einem Treffen. Auf Betreiben von Wolfgang Scheunemann, bis 2004 Technologie- und Umweltkommunikator bei Daimler, dann unterwegs in Sachen Nachhaltigkeit, Gründer des „Deutschen CSR-Forums“, trafen sich Daimler-Konzernsprecher Jörg Howe und Jürgen Resch in Radolfzell. Man unterhielt sich über Abgaswerte und die Messungen der Umwelthilfe, Resch referierte seine Geschichte, Ex-Daimler Sprecher Scheunemann, den Resch als „jahrzehntelangen engen Freund“ beschreibt, sekundierte. Am Ende verabrede man sich, die Gespräche fortzusetzen, diesmal mit Daimler Forschungsvorstand Thomas Weber. Scheunemann sollte alles einfädeln.
Doch zu dem Treffen kam es nie.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Der Autobauer und die Umwelthilfe hatten unterschiedliche Interessen über den Inhalt des Gesprächs. Daimler wollte seine neueste Dieseltechnologie präsentieren, Resch über die Fehler der Vergangenheit reden. Nach einigem Hin- und her wurde der Termin schließlich abgesetzt. Seither „ist das Tischtuch zerschnitten“, sagt Gesprächsvermittler Scheunemann.
„Ich kam zu Herrn Resch als Zeichen des Dialogs. Ich dachte nach dem Gespräch wirklich, wir hätten eine konstruktive Basis gefunden“, sagt Howe dazu heute. Es gibt Leute, die glauben: In Wahrheit habe Resch den Anschlusstermin doch gar nicht wahrnehmen, sondern nur testen wollen, wie weit Daimler gegangen wäre. „Der Ton von Herrn Resch war von Anfang an so, dass auch wir irgendwann den Ton verschärft haben“, sagt Howe. Eines jedenfalls, meint er, sei ja klar: „Vieles von dem, was Resch sagt, ist Interpretation. Wir kennen die Rahmendaten seiner Tests nicht. Uns würde man sowas um die Ohren hauen.“
Auch bei den anderen Autokonzernen ist man auf Resch nicht gut zu sprechen. „Es wird Sie nicht verwundern, dass wir die von Ihnen zitierten Einschätzungen von Herrn Resch nicht teilen“, schreibt ein BMW-Sprecher auf Anfrage. „Plakative Zuspitzungen“ seien für eine sachliche Diskussion nicht hilfreich. Von anderen Vertretern der Branche heißt es, die DUH versuche, die Branche unter Generalverdacht zu stellen, arbeite dabei aber mit nicht-belegbaren Daten. „Da stellt man sich schon die Frage: geht es um Wahrheitsfindung oder ist das eine Kampagne?“ Es sei ja legitim, wenn Lobbygruppen um öffentliche Aufmerksamkeit kämpften. „Aber Herrn Resch fehlt Maß und Mitte.“
"Wir sind Lobby, wir sind Partei"
Ein Kenner der Fahrzeugindustrie bezeichnet das Verhältnis zu Resch als „belastet“, seine Wortwahl hält er für gefährlich: der „industriell-politische-Komplex“ etwa sei an den Sprachduktus der RAF angelehnt, die von einem „militärisch-industriellen-Komplex“ gesprochen habe. Er empfiehlt Resch daher, sprachlich „abzurüsten“. Überhaupt sei die DUH ja eine „Aktivistentruppe“, die Abmahnungen von Konzernen zu ihrem Geschäftsmodell gemacht habe. „Und was Herr Resch da über Dieter Zetsche gesagt hat – da kann man einfach nur noch den Kopf schütteln“, sagt ein Insider, der nicht in Stuttgart arbeitet, aber den Ruf der Branche insgesamt in Gefahr wähnt.
Wenn es um ihn selbst geht, ist Resch übrigens ziemlich ideologiefrei:
Dienstags fliegt er schon mal von Zürich zur Geschäftsstelle nach Berlin, zum Wochenende wieder zu seiner Familie an den Bodensee, er nimmt auch mal ein Taxi, wenns schnell gehen muss und lässt sich von Springers Auto-Bild für das „Grüne Lenkrad“ einspannen. Und auch die Umwelthilfe agiert durchaus pragmatisch, wo es ihr nützt. Um seine Finanzierung zu sichern und Projekte anzuschieben, geht Resch immer öfter Kooperationen mit der Industrie ein. Mit den Deutschen Mineralwasserbrunnen etwa stritt er für das Dosenpfand, mit Herstellern von Rußpartikel-Filtern kämpfte er für die Einführung von Umweltzonen. „Wir sind Lobby, wir sind Partei und wir schließen Zweckbündnisse“, sagte er dazu mal. Auf der Homepage der DUH heißt es: „Im Dialog mit Unternehmen und Umweltpolitikern entwickeln wir Chancen für nachhaltige Wirtschaftsweisen und umweltfreundliche Produkte“.
Ein Drittel seines 9-Millionen-Euro-Budgets kommt mittlerweile durch Partnerschaften zustande, ein weiteres Drittel machen Spenden aus, auch solche der Konzerne, die die DUH abgemahnt hat. Der Rest kommt von Stiftungen und öffentlichen Institutionen. Gut 80 Mitarbeiter werden davon bezahlt. Eine Mannschaft, mehr als doppelt so groß wie noch vor zehn Jahren. Und eine bundesweite Kampagnenmaschinerie, die Resch nüchtern-routiniert steuert. Nur dann und wann unterstützt von der tief-melancholischen Stimme von Tom Waits, den sich Resch immer dann auflegt, wenn er am Schreibtisch nicht weiterkommt.
Beim Verband der deutschen Automobilindustrie reagiert man inzwischen deutlich gelassener auf den Namen Resch. Noch vor zehn Jahren hatte der damalige VDA-Chef Bernd Gottschalk im Handelsblatt zu Protokoll gegeben: „Herrn Resch ist aus unserer Sicht eine bemerkenswerte Fähigkeit zu attestieren, die große Neigung in unserem Land zur Hysterie für seine politischen Ziele zu nutzen.
Dabei ist er, wie wir wiederholt festgestellt haben, in der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich.“
Heute redet VDA-Sprecher Eckehart Rotter von einem „Kulturwandel“, den es beim Verband gegeben habe. „Die Zeit der ideologischen Grabenkämpfe ist vorbei. Wir sind da in keiner Art von Konfrontation.“ Tatsächlich treffen sich Autoverband und Umwelthilfe regelmäßig. Neulich erst diskutierte Resch eineinhalb Stunden lang im Deutschlandfunk mit einem VDA-Vertreter.
Noch einmal zurück in den Saal 2709 des Berliner Landgerichts in dem diese Geschichte ihren Anfang nahm. Ein paar Stunden nach Reschs Plädoyer fällt die Kammer ihr Urteil über den Brief des Daimler-Anwalts an die Umwelthilfe. Richterin Klinger verkündet: „Die Einstweilige Verfügung vom 15. Januar 2016 wird aufgehoben und ihr Erlass zurückgewiesen.“ Resch hat gesiegt, der Autokonzern hat verloren. Jedenfalls in diesem Fall. Die Hauptsache nämlich, das verrät Resch erst später am Telefon, ist noch anhängig. Doch darum geht es ihm momentan nicht: „Ich werde den Brief sofort wieder ins Internet stellen“ flötet er stattdessen. Und schiebt hinterher, ganz berauscht von seinem Erfolg: „Das war ein ganz wichtiger Sieg. Nicht nur für mich persönlich und für meinen Verband - sondern für die Gesellschaft.“
Was auch sonst. Kleiner hat es Jürgen Resch nicht mehr.