Gute Zahlen trotz Dieselkrise VW darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen

Volkswagen-Chef Matthias Müller Quelle: REUTERS

VW verdient wieder Milliarden, der Blick in die Zukunft scheint rosig. Das liegt aber vor allem daran, dass die Dieselkrise sich im Portemonnaie des Kunden niederschlägt, statt in der Milliarden-Bilanz des Konzerns.

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Den Umsatz um 6,2 Prozent auf 230,7 Milliarden Euro gesteigert. Den Gewinn mehr als verdoppelt – auf rund 11,4 Milliarden Euro. 2017 war wahrlich kein schlechtes Jahr für Volkswagen. Blickt man auf die Eckdaten der Jahresbilanz, scheint es fast als hätte es nie eine Krise im Wolfsburger Riesenreich gegeben. Selbst der Gewinn war höher als 2014, der letzten Bilanz vor Ausbruch des Dieselskandals. „Einmal Krise und zurück. Das war etwas salopp ausgedrückt unsere Reise seit September 2015“, sagt auch VW-Chef Matthias Müller bei der Vorlage der Jahreszahlen in Berlin am Dienstag.

Müller könnte also zufrieden sein. Das Geschäft läuft und der Skandal um millionenfach manipulierte Abgaswerte hat dem Konzern an einigen Stellen auch gutgetan, wie der Vorstandsvorsitzende immer wieder betonte: Die Krise als „nicht zu überhörender Weckruf“. Weg vom teilweise arroganten Festhalten an der bewährten deutschen Ingenieurskunst, hin zu einer neuen und offeneren Kultur, die die Geschwindigkeit des Wandels in der Auto- und Mobilitätswelt aufgreift. Das hatte VW zuvor über Jahre unterschätzt und vernachlässigt.

Ja, in einigen Punkten steht Volkswagen heute besser da als 2014. Der Konzern wird agiler geführt und handelt schneller als unter der alten Konzernspitze Martin Winterkorn und Ferdinand Piëch. Das hat auch damit zu tun, dass sich die Familien Porsche und Piëch im Hintergrund für neue Gedanken öffnen. Jüngstes Beispiel: Der Plan zum Börsengang der Nutzfahrzeug-Sparte wäre früher wohl unter Verschluss im Konzernarchiv gelandet. Heute wird er ernsthaft diskutiert.

Auch die Zeiten, in denen kein Platz für ein Elektroauto in der VW-Garage war, sind vorbei. Der e-Golf wird in Dresden künftig in zwei Schichten gefertigt, in Zwickau wird die Fabrik zu einem reinen Elektro-Werk umgebaut. Bis Ende 2022 sollen in weltweit 16 VW-Werken E-Autos gebaut werden. Das hätte es unter Winterkorn wohl nicht gegeben. Wozu Milliarden in eine ungewisse Elektro-Zukunft stecken, wenn man doch die europäischen CO2-Ziele auch mit einem Diesel erreichen kann? Gerade in China investiert Volkswagen kräftig in Zukunftstechnologien, die Volksrepublik schwingt sich zum Leitmarkt auf und VW will den Trend nicht verpassen. Wovon auch Europa profitieren kann, versteht sich.

Dennoch: So rosig der Blick in die Zukunft nach dem heftigen Diesel-Gewitter global wieder ist, darf sich der Konzern nicht vor der schmerzhaften Aufarbeitung der Vergangenheit drücken. Wer war verantwortlich für den Abgasskandal? Viele Manager und Entwickler wurden beurlaubt oder entlassen, aus der Top-Riege sitzt aber bislang nur ein Manager in U-Haft. Aus der angekündigten schonungslosen Aufklärung ist nichts geworden: Den internen Bericht der Kanzlei Jones Day hält der Konzern weiter unter Verschluss.

Und dann ist da noch der Kunde. Volkswagen verdient schon wieder prächtig, speist aber die deutschen und europäischen VW-Fahrer mit Software-Updates ab. Hardware-Nachrüstungen oder Entschädigungen? Fehlanzeige. Stattdessen lässt der Konzern den Kunden mit seinem Verlust alleine – der gesunkene Wiederverkaufswert der Schummeldiesel wird im Portemonnaie des einfachen Kunden sichtbar und nicht in der Milliarden-Bilanz des Unternehmens. In der aus dem VW-Abgasskandal entstandenen Debatte um Stickoxidwerte drohen zusätzlich Nicht-VW-Fahrern Fahrverbote und Restwertverluste bei allen älteren Diesel-Autos.

Auch bei den Neuwagen tut sich VW schwer mit dem Thema Diesel. Die Konzerntochter Audi hat offenbar selbst nach dem Ausbruch der Krise weiterhin Autos mit fragwürdiger Software verkauft, selbst jene mit Abgasnorm Euro 6 – eine gelungene Aufarbeitung sieht anders aus. Die andere Konzerntochter Porsche hat die von Audi zugelieferten Selbstzünder komplett aus dem Programm genommen, selbst bei den beliebten SUV-Modellen Macan und Cayenne. Das Image des Diesels ist angekratzt, das von VW und Audi gleich dazu.

In diesem Punkt steht VW-Chef Müller vor einem Dilemma: Dass der Diesel nicht die Zukunft ist, ist inzwischen auch in Wolfsburg klar. Dass es wegen der europäischen CO2-Ziele kurzfristig nicht ohne einen (jetzt wirklich garantiert) sauberen Diesel geht, weiß Müller auch. Der verbale Schlingerkurs Müllers, der mal nach Abgesang auf den Selbstzünder klingt, Monate später eine „Renaissance des Diesels“ sieht, wird die Verwirrung der Kunden nicht vermindern. Im Gegenteil, sie kaufen immer mehr Benziner – mit höherem CO2-Ausstoß.

Die Lösung ist klar: Global spielte der Diesel noch nie eine wichtige Rolle, selbst in Europa sinkt nun die Nachfrage. Die Zukunft der Autoindustrie entscheidet sich in der Frage der Elektrifizierung und Digitalisierung. Diesen Weg muss VW konsequenter gehen – und das Thema Diesel so schnell wie möglich abschließen.

Eines der hoffentlich letzten Kapitel wird ab September in Braunschweig geschrieben. Dann wird über die Musterklage verhandelt, in der Anleger Schadensersatz für den Absturz des Aktienkurses im September 2015 verlangen. Im schlimmsten Fall könnte das bis zu neun Milliarden Euro kosten. In der von Müller ausgerufenen „Transformation von Volkswagen“, in der Vollgas auf Zukunft geschaltet werden soll, ein vergleichsweiser geringer Betrag. Gerade, wenn man damit ein solches Kapitel aufrichtig schließen kann. Und sich nicht leise aus der Verantwortung stehlen.

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