IAA Nutzfahrzeuge VW-Truck & Bus startet Digitalisierungs-Offensive

Fahrzeuge bauen reicht nicht mehr. Mit der neuen offenen Software Plattform Rio will der Münchener Lkw-Bauer MAN alle Beteiligten der Lieferkette vernetzen und selbst zum Dienstleister werden.

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MAN IAA-Nutzfahrzeuge Quelle: dpa

Die Vorabendveranstaltungen der IAA in Frankfurt sind legendär. Dieses Jahr ist die Ausstellung den Nutzfahrzeugen gewidmet und findet traditionell in Hannover statt. Lumpen lassen, wollen sich die Großen der Branche aber nicht. So könnte es für VW-Truck&Bus-Chef Andreas Renschler keinen besseren Ort und Zeitpunkt geben um den Journalisten sein „neuestes Baby“ vorzustellen.

Es ist kein Lkw, kein Müllkipper, kein Bus und auch kein Baustellenfahrzeug. Was Renschler als Zukunft des Unternehmens preist, hat noch nicht mal Räder – und ist trotzdem revolutionär. Die Software-Plattform Rio soll bei VW Truck Bus den Wandel vom Hersteller zum digitalen Transport-Dienstleister einläuten. Initiator des Projekts ist der Münchener Lkw-Bauer MAN, der beim Projekt Rio den Hut auf hat.

Über Rio will der Lkw-Bauer, der seit 2015 mehrheitlich zu VW gehört, sämtliche Beteiligten der Lieferkette vom Versender über Spediteur, Verlader, Disponent und Fahrer bis zum Empfänger in Echtzeit vernetzen. Von den dabei gesammelten Informationen sollen anschließend alle profitieren. MAN winken stabile Erträge, die Spediteure soll vor allem die Aussicht auf geringere Kosten zum Mitmachen motivieren.

Das Projekt steht stellvertretend für eine Zeitenwende in der Truck-Branche. Die Hersteller werden sich künftig nicht mehr nur über leistungsfähige Motoren, sondern vor allem über digitale Zusatzangebote im Wettbewerb differenzieren. Die Beratung Accenture Strategy erwartet hieraus solide Gewinne für die Lkw-Bauer. „Eine realistische Größe für 2020 sind rund fünf Prozent des Gewinns vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen“, sagt Geschäftsführer Andreas Gissler.

Zahl der Leerfahrten halbieren

MAN-Chef Joachim Drees preist Rio als „erstes cloudbasiertes Betriebssystem für die gesamte Transportbranche“. Eine stattliche Zahl externer Partner hat er mit an Bord. Neben der Konzernschwester Scania zählen dazu der Zulieferer Continental, die Kipper-, Anhänger- und Aufliegerproduzenten Krone, Schmitz Cargobull und Meiller, der Navigationsgerätehersteller TomTom sowie diverse Software- und Telematikspezialisten. Jeder Partner bietet über Rio eigene Dienste an, die Kunden zu einem Paket zusammenstellen können. Zum Start gibt es etwa 25 verschiedene Angebote, Grundfunktionen wie Ortungsdienste kosten einen niedrigen zweistelligen Euro-Betrag pro Monat, sagt Rio-Chef Markus Lipinsky.

Den Digital-Experten hat Drees von Daimler abgeworben, seit November leitet er die rund 70 Mitarbeiter starke MAN-Abteilung „Digital Solutions“. Rio gehe weit über das bisher übliche Sammeln von Bewegungsdaten hinaus, betont Lipinsky. So sollen Spediteure zum Beispiel in Echtzeit einsehen können, wo sich ihre Wagen gerade befinden, wie lange der Fahrer noch am Steuer sitzen darf und wie seine Verbrauchsdaten aussehen. Das alles sei aber nur der Anfang, verspricht der Chief Digital Officer.

Das System läuft für Lastkraftwagen aller Marken. Das ist wichtig, weil viele Spediteure gemischte Fuhrparks haben. Auch alte Modelle lassen sich mit der „Rio-Box“ nachrüsten. Die Kosten für Hard- und Software sollen sich innerhalb eines halben Jahres amortisieren, verspricht Lipinsky.

Dazu beitragen soll etwa die „Load-Fox“-Funktion. Ergibt sich kurzfristig mehr Ladung als erwartet, können Nutzer des Dienstes überschüssige Fracht an andere Transporteure vermitteln, die so wiederum ungenutzte Kapazitäten nutzen können. Der Markt hat Potenzial, rein rechnerisch fährt jeder fünfte Lkw leer. „Load-Fox“ könne die Zahl der Leerkilometer innerhalb der nächsten fünf Jahre halbieren und die Marge der Spediteure von ein bis zwei auf „deutlich über zwei Prozent“ erhöhen, verspricht Drees. Locken will er vor allem mittelständische Betriebe mit sechs bis sieben Lkw.

Vom neuen Angebot profitieren will auch der MAN-Chef. 2015 sank das operative Ergebnis von MAN von 384 auf 92 Millionen Euro. 40 Millionen investiert MAN in die digitalen Lösungen. Ab 2017 liefert das Unternehmen nur noch voll vernetzte Trucks aus. Anderswo hat die Zukunft schon begonnen: Die VW-Konzerntochter Scania hat bereits 200 000 vernetzte Lkw auf der Straße.

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