Interview mit Pirelli-Chef "Wir sind kein Billiganbieter"

Der Chef des Reifenherstellers will Pirelli als Premiummarke etablieren. Die Formel 1 und ein Modegeschäft helfen dabei.

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Marco Tronchetti Provera Quelle: AP

WirtschaftsWoche: Herr Tronchetti, wie groß sind die Auswirkungen der Eurokrise auf Ihr Geschäft?

Tronchetti: Der Effekt ist nicht so groß, dass wir uns Sorgen machen müssten. Von unserem Umsatz entfallen beispielsweise nur noch neun Prozent auf Italien. Dafür wachsen wir in anderen Märkten außerhalb des EU-Raums kräftig. Im Mittleren Osten und in Russland sehen wir noch gute Wachstumschancen, die wir heute erst zum Teil nutzen. 2011 war alles in allem jedenfalls ein sehr gutes Jahr für uns: Wir haben alle unsere Ziele erreicht und liegen nun schon ein Jahr vor unserem Zeitplan.

Wenn der italienische Markt nur noch geringe Bedeutung hat, könnten Sie das Hauptquartier von Pirelli ja verlegen.

So einfach ist das nicht: In Italien sitzen immer noch der Kopf und das Herz des Unternehmens. Und so schnell gibt man seine Heimat nicht auf.

Welches ist derzeit der wichtigste Markt für Pirelli?

Der ist derzeit noch Europa, aber unser Geschäft in Lateinamerika läuft fast genauso gut. Und in China wachsen wir ebenfalls kräftig wie in USA: Zehn Prozent unseres Verkäufe entfallen mittlerweile auf die Vereinigten Staaten. Wir sind heute weltweit gut ausbalanciert.

Nach Umsatz steht Pirelli auf Position 5 der weltgrößten Reifenhersteller. Wie lange werden Sie die Position noch halten können? Sumitomo und Hankook rücken schnell nach.

Solche Positionen verteidigen wir nicht. Wir kämpfen zwar jeden Tag mit dem Markt, aber wir messen uns nicht mit anderen Herstellern nach Stückzahlen oder Volumen. Wir sind in einer anderen Liga unterwegs.

In welcher?

Wir sind ein Technologieunternehmen, fokussieren uns auf das obere Ende der Produktpalette: Pirelli ist kein Billiganbieter, sondern ein Hersteller von Premiumreifen. In diesem Marktsegment sind wir derzeit weltweit die Nummer 3.

Hinter Michelin und Continental.

Ja, aber in einem Punkt sind wir heute schon die Nummer 1 – als Erstlieferant von Reifen für Prestigeautos wie Porsche, Ferrari, Bentley. Hier sehen wir unsere Zukunft. Wir wollen in den nächsten drei Jahren unser Unternehmen umbauen und Pirelli zur führenden Premiummarke im Reifenmarkt entwickeln – weltweit.

Führt die Strategie nicht in eine Nische?

Wir zielen mit unseren Produkten auf einen Teil des weltweiten Reifenmarkts, in dem nur etwa fünf Prozent der Gesamtproduktion abgesetzt werden. Das kann man als Nische bezeichnen. Aber ich kann Ihnen versichern: Das ist eine sehr schöne und lukrative Nische.

Beim Reifen bleiben

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In einem Flagship Store in Mailand verkaufen Sie unter dem Namen PZero Schuhe und Jacken. Wird Pirelli zur Lifestyle-Marke?

Regenmäntel, Gummistiefel und Angelausrüstungen hat Pirelli schon in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verkauft. Wir kehren also zu den Wurzeln der Gesellschaft zurück, um die Marke zu stärken: Pirelli steht für Technologie, Innovation, für Qualität. Und da gibt es natürlich Berührungspunkte zu Mode und auch Glamour. Mal sehen, was daraus noch wird. Es ist ein Experiment.

Ihre Vorgänger wollten in den 80er Jahren Continental übernehmen. Ist das für Sie immer noch eine Option?

Seit den 80er Jahren hat sich der weltweite Reifenmarkt dramatisch gewandelt. Damals brauchte man wenigstens 15 Prozent des Weltmarktes, um profitabel arbeiten zu können. Heute kann man auch als vergleichsweise kleiner Player erfolgreich sein – wenn man sich wie wir auf den Highend-Markt fokussiert.

Continental erweitert sein Portfolio um Technik rund ums Rad. Ein Vorbild?

Nein, wir bleiben bei Reifen und wachsen lieber mit neuen Produkten und dem Ausbau der Aktivitäten in neuen Märkten.

Würden Sie zugreifen, wenn sich Schaeffler doch noch entscheiden sollte, das Reifengeschäft von Conti zu verkaufen?

Continental hat ein sehr gutes, sehr profitables, auch sehr gut geführtes Reifengeschäft. Warum sollten sie es verkaufen? Das Thema ist so weit weg, dass es keine Überlegung wert ist.

Deutschland bleibt als Produktionsstandort erhalten

Ein Formel 1-Wagen mit Pirelli-Reifen Quelle: dpa

Sie wollen das Produktionsnetzwerk von Pirelli unter globalen Gesichtspunkten optimieren. Müssen sich Ihre Beschäftigten in Europa Sorge um ihre Job machen?

In den vergangenen Jahren haben wir bereits Fabriken in Spanien und Italien geschlossen, dafür in Italien eine Fabrik für Highend-Produkte neu eröffnet. Unser größter Produktionsstandort in Europa ist heute Deutschland – den wir, um Ihrer Frage zuvorzukommen, halten werden.

Breuberg ist sicher?

Ja. Der Standort ist schon wegen der Nähe zur deutschen Autoindustrie, der höchstentwickelten in der Welt, sehr wichtig für uns. Deshalb haben wir in Hessen ein großes Forschungs- und Entwicklungszentrum. Wir werden auch in Zukunft in diesen Standort investieren, der eine Schlüsselrolle für uns spielt. Investieren werden wir aber in erster Linie in Märkte mit Wachstumsperspektiven. Etwa in Rumänien, etwa in der Türkei, in Russland und China und wahrscheinlich auch bald schon in Indien. Die Produktion wird in Zukunft dort sein, wo der Markt ist. Je mehr wir lokal produzieren, desto stärker können wir auf die Anforderungen der Märkte eingehen.

Die Autoindustrie erhofft sich von den Reifen einen Beitrag zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs.

Grüne Reifen, leicht und mit wenig Rollwiderstand, können den Kraftstoffverbrauch eines Autos bis zu zehn Prozent senken. Zudem unternehmen wir große Anstrengungen, die Geräuschemissionen zu reduzieren. Und gleichzeitig müssen die Reifen Halt bieten. Die Reifenindustrie ist deshalb so stark technologiegetrieben wie nie zuvor.

Ist Pirelli deshalb in der Formel 1?

In der Formel 1 sind die Anforderungen an die Reifen um ein Vielfaches höher als im normalen Straßenverkehr, es geht hier um Haftung, Benzinverbrauch.

Nur leider halten die Reifen dort nur wenige Runden – dann bilden sich Blasen.

Das ist nicht unsere Schuld, wir liefern nur, was bestellt wurde. Die Organisatoren der Formel 1 haben uns beauftragt, Hochleistungsreifen zu bauen, die sicher sind und eine Lebensdauer von 20 bis 24 Runden haben. Sie sollen dazu beitragen, die Show zu verbessern und die Spannung zu erhöhen. Und ich denke, das ist uns gut gelungen – im vergangenen Jahr zählten wir klar zu den Gewinnern.

Weil alle Rennwagen Pirelli fuhren.

Das macht die Sache ja so knifflig: Jedes Team, jedes Auto und jeder Fahrer sollte mit unseren Reifen gut zurechtkommen. Ich denke, die Mission haben wir im ersten Jahr, nach nur zehn Monaten Vorbereitungszeit, sehr gut erfüllt. Es gab jedenfalls keine Beschwerden.

Was hat das Engagement Pirelli gebracht?

Jede Menge Speed – bei der Entwicklung neuer Gummimischungen, Reifenstrukturen – von denen auch die Reifen für Serienautos profitieren werden. Die Entwicklung neuer Produkte wird durch die Formel 1 stark beschleunigt. Die Berichterstattung in den Medien über unsere Reifen hilft unserem Marketing. Und auch intern haben wir dadurch neuen Schwung bekommen. Alles in allem ist das eine lohnende Sache für uns.

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