In den Milk Studios am Rande von Hollywood finden normalerweise Modeschauen statt. Der britische Premiumautohersteller Jaguar hat sie am Montagabend kalifornischer Zeit in eine virtuelle Erlebniswelt umgebaut, den Auto-Show-Room der Zukunft. Gezeigt wird der I-PACE, der allererste elektrifizierte Jaguar. In der realen Welt gibt es nur ein einziges Modell des Stromers. In der virtuellen wird die Konzeptstudie des Mix aus Gelände-und Sportwagen zeitgleich zur Europa-Premiere nach London gebeamt.
Beim Überstülpen der HTC Vive Datenbrille baut sich zunächst das Lenkrad auf, dann das Cockpit mit seinem 12-Zoll-Touchscreen, die Karosserie – durch die Scheiben sieht man die Szenerie, der berühmte Strand von Venice Beach.
In Los Angeles, ganz real vor Ort, schwärmt sein Initiator, der deutsche Ingenieur Wolfgang Ziebart, ganz klassisch über die technischen Werte des I-PACE. Das Luxus-SUV mit dem großzügigen Panoramaglasdach sprintet raubkatzenwürdig mittels zweier Elektromotoren mit 400 PS innerhalb von vier Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h.
Sowohl Elektromotoren als auch die 90 Kilowattstunden (kWh) Lithium-Ionen Batterie hat Jaguar Land Rover (JLR) selbst entwickelt. „Nur so mussten wir keine Kompromisse eingehen“, behauptet Ziebart, der Leiter der technischen Entwicklung von JLR und preist das verzögerungsfreie Ansprechen der Motoren an sowie die mindestens 500 Kilometer Reichweite nach dem neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ). „Wir haben das Auto auf einem weißen Blatt Papier konzipiert.“
Serienmodell kommt frühestens 2018
Im April vergangenen Jahres war Ziebart als Technikvorstand von JLR zurückgetreten. Doch dem Unternehmen blieb der 66-jährige Manager erhalten, arbeitete unter größter Geheimhaltung von seinem Wohnort Starnberg aus mit Jaguar Designdirektor Ian Callum und Baureihenleiter Ian Hoban an dem elektrischen Geländewagen.
An dessen Vorder-und Hinterachse sind je ein Elektromotor angebracht. Ihre 400 PS erzeugen im Duett ein Drehmoment von 700 Nm, genau wie der Sportwagen Jaguar F-Type SVR. Der hat noch 175 PS mehr und schafft es aus dem Stand innerhalb von 3,7 Sekunden auf 100 km/h, kaum merkliche 0,3 Sekunden schneller. Der I-PACE wird ab 70.000 Euro erhältlich sein – den stärksten F-Type gibt es ab 138.400 Euro.
Bis der erste elektrische Jaguar über die Straßen rollt, werden jedoch noch mindestens anderthalb Jahre ins Land gehen. Das Serienmodell des I-PACE soll im nächsten Jahr vorgestellt werden. Die Markteinführung des fünfsitzigen Wagens ist für 2018 geplant, wahrscheinlich in der zweiten Jahreshälfte.
Eine Menge Zeit also für Tesla Motors, mit dessen wesentlich größerem SUV Tesla X die Briten konkurrieren. Dessen Model 90D wird im NEFZ mit einer Reichweite von 489 Kilometer angegeben. Das Topmodel von Tesla, der P100D, schafft die 100 km/h ebenfalls in vier Sekunden, mit Beschleunigungsupgrade sogar innerhalb von 3,4 Sekunden.
Auch bei Jaguar bleibt die Ladezeit die Schwachstelle
Ziebarts Ehrgeiz war es, ein echtes Langstreckenauto zu entwickeln. Doch auch der I-PACE leidet an der derzeit größten Schwachstelle von Lithium-Ionen-Akkus. Je höher die Reichweite ist, desto länger die Ladezeit. Um auf 500 Kilometer Reichweite zu kommen, muss das Auto mindestens zwei Stunden Strom tanken. Allerdings wird diese Zeit nur an einer öffentlichen Säule mit 50-kW-Gleichstrom erreicht.
In der Realität wird der Wagen eher in der heimischen Garage über Nacht an der Steckdose hängen. Ziebart sieht das nicht als Problem. Denn im Alltag, so erwartet er, werden die meisten Besitzer in der Regel nur 50 Kilometer pro Tag zurücklegen. Das Auto müsste also nur einmal in der Woche aufgeladen werden.
Jaguar braucht mehr elektrifizierte Modelle. Nicht nur, um Elon Musk und den traditionellen Konkurrenten BMW, Audi und Mercedes Paroli zu bieten.
Sondern auch um die Auflagen der EU beim CO2-Flottenausstoß zu erfüllen und damit die ab 2021 fälligen Strafabgaben zumindest zu minimieren. Bislang kommt nur der Jaguar XE in der Einstiegsversion dem von Brüssel verordneten Ziel von 95 Gramm pro Kilometer mit 99 Gramm nahe. Alle anderen Modelle liegen weit darüber, der Flottenverbrauch von JLR beträgt derzeit 178 Gramm pro Kilometer, selbst die deutsche Premium-Konkurrenz liegt dank kleinerer Modelle deutlich darunter.
Und das sind nur die offiziellen Werte, an denen Prüfer bereits zweifeln, nicht nur an denen von JLR, sondern quer durch die Branche. Der Leichtbau in Aluminium, wo die Briten Vorreiter sind, hilft etwas. Da Kleinwagen in der Marke derzeit keine Option sind, bleibt nur der Ausgleich der Schadstoffwerte durch Elektrofahrzeuge.
Britische Autos und ihr unrühmliches Ende
Der P5 ging als "Elefant" in die Rover-Geschichte ein, die 1884 begann und 2008 mit der Insolvenz endete.
Hillman war die Einstiegsmarke der Rootes-Gruppe, zu der auch Sunbeam und Singer zählten. 1967 wurde sie Teil von Chrysler.
Der britische Rennfahrer Donald Healey baute zwischen 1952 und 1972 nach ihm benannte puristische Sportwagen.
Die deutsche Gründung überlebte als Motorradmarke, Triumph Cars endete 1984. Aber auch die Motorradmarke wird inzwischen von einem anderen Eigentümer geführt.
Wem ein Bentley zu teuer und ein Jaguar zu vulgär war, wählte in den Fünfzigerjahren die Nobelmarke Alvis, die danach vom Markt verschwand.
Die Ölkrise 1976 beendete die Geschichte des Sportwagensbauers Jensen nach über 40 Jahren.
Bis auf das Manko mit dem Flottenverbrauch, als Luxus-und Sportwagenhersteller unvermeidlich, läuft bei JLR momentan alles rund. Acht Jahre ist es her, seit Ford notgedrungen den britischen Autohersteller für 2,3 Milliarden Dollar an den indischen Tata-Konzern verscherbeln musste. Mit einem weinenden Auge zwar. Doch den Amerikanern ging es damals finanziell sehr schlecht. Tata hat davon profitiert.
Unter der Führung des deutschen Automanagers Ralf Speth haben die Briten vieles richtig gemacht. Die Nachfrage nach Jaguar und Land Rover ist so hoch wie nie. Das Unternehmen ist nach der globalen Finanzkrise regelreicht aufgeblüht. Seit 2009 hat sich der Absatz mehr als verdoppelt.
Jaguar Land Rover in Zahlen
2013 war für Jaguar Land Rover das beste Verkaufsjahr weltweit, in 38 Ländern konnten die Briten Rekordergebnisse erzielen. Insgesamt fanden 425.006 Neuwagen der Marken Jaguar, Land Rover und Range Rover einen Besitzer, was einem Plus von 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Von 2011 (274.280 Autos) auf 2012 (357.773 Fahrzeuge) war der Zuwachs mit 30 Prozent noch größer. Auch im laufenden Jahr gehen die Geschäfte bei JLR gut: Im ersten Halbjahr wurden 240.372 Autos verkauft – ein Plus von weiteren 14 Prozent.
Am 31. März endete das Geschäftsjahr 2013/2014 mit einem Umsatz von 19,4 Milliarden Pfund. Vor Steuern blieb ein Gewinn von rund 2,5 Milliarden Pfund (umgerechnet 3,15 Milliarden Euro) beim Unternehmen übrig.
Gesamt: 80.000 Fahrzeuge
Jaguar XK: 3000 Fahrzeuge
Jaguar XJ: 20.000 Fahrzeuge
Jaguar XF: 49.000 Fahrzeuge
Jaguar F-Type: 9000 Fahrzeuge
Gesamt: 118.000 Fahrzeuge
Defender: 17.000 Fahrzeuge
Discovery: 45.000 Fahrzeuge
Freelander: 56.000 Fahrzeuge
Gesamt: 236.000 Fahrzeuge
Range Rover: 46.000 Fahrzeuge
Range Rover Sport: 67.000 Fahrzeuge
Evoque: 123.000 Fahrzeuge
Seit 2009 hat sich die Zahl der Beschäftigten mit 30.000 mehr als verdoppelt. Allein in den vergangenen zwei Jahren wurden 12.000 neue Stellen geschaffen.
Jaguar ist zwar eine Nischenmarke geblieben, mit maximal vier Prozent Marktanteil im Premiumsegment. Die niedrigen Stückzahlen und damit verbundenen Kostennachteile in der Produktion haben die Briten bislang jedoch nicht gebremst. Mit dem im Mai vorgestellten F-PACE, dem allerersten Geländewagen von Jaguar, haben sie einen weiteren Bestseller im Programm. Weltweit wurde der SUV bereits mehr als 50.000 Mal verkauft. Mittlerweile gibt es Wartezeiten von sechs Monaten, weil die Produktionskapazitäten im englischen Solihull nicht ausreichen.
Speth ist bereits dabei, die Fertigung auszuweiten – nicht zuletzt um ab 2018 die Nachfrage nach dem I-Pace befriedigen zu können. Denn nur wenn der elektrifizierte Luxus-SUV auch ausgeliefert wird, kann er zum Senken des Flottenverbrauchs zum Stichjahr 2021 beitragen.