Die Nachricht kam aus heiterem Himmel: Der Mutterkonzern General Motors verhandelt mit der französischen PSA über eine mögliche Übernahme von Opel. Die Rüsselsheimer, nach problemreichen Jahren gerade wieder im Aufwind, stürzen über Nacht in die Krise zurück.
Pikant: Die GM-Zentrale in Detroit verhandelt bereits länger mit den Franzosen über mehrere „strategische Optionen“, hinter dem Rücken von Opel. Selbst Firmenchef Karl-Thomas Neumann wurde offenbar erst vor wenigen Tagen informiert. Am Mittwoch informierte GM-Chefin Mary Barra in Rüsselsheim die restliche Opel-Führung über die Gespräche. Eine öffentliche Stellungnahme gab es nicht.
Wie die „Allgemeine Zeitung“ aus Mainz berichtet, wirbt Barra in einem Brief an die Opel-Mitarbeiter um Zustimmung für den möglichen Verkauf. Der Deal würde „die PSA-Gruppe sowie Opel/Vauxhall aufgrund der sich ergänzenden Stärken beider Unternehmen in die Lage versetzen, ihre Position auf dem sich rasch verändernden europäischen Markt zu verbessern“, so Barra in dem Schreiben. „Wir würden alles daran setzen, bei der Transaktion sicherzustellen, dass die Interessen aller Beteiligten gewahrt werden.“
Hintergründe zur PSA Group
Der vom Staat gestützte französische Autobauer PSA Peugeot Citroën hat im vergangenen Jahr weltweit über 3,1 Millionen Fahrzeuge abgesetzt. Der französische VW-Konkurrent mit den Marken „Peugeot“, „Citroën“ und „DS“ sieht sich in Europa schon länger als Branchenzweiter.
Konzernchef Carlos Tavares fuhr in den vergangenen Jahren einen harten Sanierungskurs unter anderem mit Werkschließungen und Jobabbau. Um das vor drei Jahren stark angeschlagene Unternehmen zu retten, schoss unter anderem der französische Staat Geld zu und hielt zuletzt rund 14 Prozent der Anteile.
Auch der staatlich kontrollierte chinesische Hersteller Dongfeng stieg 2014 bei dem Traditionsunternehmen mit 14 Prozent ein. Der Einfluss der Peugeot-Familie sank im Zuge der Sanierung hingegen beträchtlich.
Der Umsatz betrug im vorvergangenen Jahr 54,7 Milliarden Euro; neuere Jahreszahlen liegen nicht vor. Der Konzern beschäftigte 184.000 Mitarbeiter.
Unlängst schaltete die französische Antibetrugsbehörde nach Untersuchungen zu Diesel-Abgasen bei PSA die Justiz ein. Ein entsprechendes Dossier ging an die Staatsanwaltschaft. Es liegt nun an der Justiz, über eventuelle Folgen zu entscheiden. Der Konzern betonte, er habe seine Fahrzeuge niemals mit Betrugs-Software ausgestattet.
Das ist aber leichter gesagt als getan. Die folgenden vier Bereiche zeigen, vor welchen Herausforderungen das GM-Management um Barra und die PSA-Gruppe unter Konzernchef Carlos Tavares stehen.
Punkt 1: Die Verhandlungen selbst
Als die weit fortgeschrittenen Gespräche bekannt wurden, zeigten sich besonders Arbeitnehmervertreter und Politiker wenig erfreut — und sahen sich zu spät informiert. Abseits von Wortbekundungen dürfte ihre Kritik jedoch wenig Einfluss auf die tatsächlichen Verhandlungen haben, glaubt Christopher Kummer, Präsident des „Institute for Mergers, Acquisitions and Alliances“. „Am Ende haben die Kartellbehörden als einzige wirklich die Möglichkeit, die Übernahmen zu erschweren. Bei den Marktanteilen von Peugeot und Opel sehe ich da kein Problem.“
Opels Produktionsstandorte in Europa
Am Opel-Hauptsitz arbeiten 14.850 Beschäftigte, davon gut die Hälfte im Entwicklungszentrum. Die Produktion hat rund 3000 Arbeitnehmer. Sie bauen den Mittelklassewagen Insignia in mehreren Varianten, den Zafira sowie Getriebe und Komponenten.
Quelle: Reuters, Stand: 19. April 2018
Der Standort in Rheinland-Pfalz hat 2130 Beschäftigte. Sie produzieren Motoren und Fahrwerkskomponenten.
In Thüringen laufen die Kleinwagen Corsa und Adam vom Band. Im Werk Eisenach arbeiten 1790 Menschen.
In dem polnischen Werk sind knapp 3050 Mitarbeiter beschäftigt. Sie bauen den Kompaktwagen Astra und das Cabrio Cascada und den Sportwagen Opel GTC. In Tychy stellen 400 Beschäftigte Motoren her.
In dem spanischen Standort bei Saragossa laufen Corsa, Meriva, der SUV Mokka und der Stadtgeländewagen Crossland X vom Band. Der Standort hat 5170 Arbeitsplätze.
Im Werk Ellesmere Port arbeiten 1470 Beschäftigte. Hier werden ebenfalls Astra-Modelle produziert.
Der Standort Luton nördlich von London hat 1240 Arbeitnehmer und baut den Kleintransporter Vivaro.
In dem österreichischen Werk nahe Wien arbeiten 1330 Menschen. Dort werden Motoren und Getriebe hergestellt.
Die Fabrik in Ungarn produziert mit 1160 Arbeitnehmern Motoren und Komponenten.
Auch wenn die Art, wie die Verhandlungen an die Öffentlichkeit gekommen sind, etwas holprig wirkt, sieht Übernahme-Experte Kummer in dem Vorgehen keine Besonderheit. „Es kann natürlich sein, dass Verhandlungsteilnehmer hier ein strategisches Interesse verfolgen. Oft sollen durch solche Leaks der Prozess verkürzt und Entscheidungen erzwungen werden“, erklärt er.
Außerdem könnten Übernahmeverhandlungen zu ganz verschiedenen Zeitpunkten an die Öffentlichkeit gelangen. Kummer erinnert an die Verhandlungen zwischen Linde und Praxair: Diese waren im September vergangenen Jahres an Unstimmigkeiten über den zukünftigen Firmensitz gescheitert. Im Dezember nahmen beide Unternehmen die Verhandlungen dann wieder auf.
Ob es also, wie am Dienstag angekündigt, bereits in den kommenden Tagen zu einer Einigung kommt, ist noch nicht klar.
Punkt 2: Die Märkte
In Europa würden sich Opel, Peugeot und Citroën gut ergänzen. Die Franzosen sind in Südeuropa stark vertreten, Opel vor allem in Deutschland und im Vereinigten Königreich (mit Vauxhall). Trotz ähnlicher Modelle wären die Überschneidungen gering: Peugeot hat 2016 in Deutschland knapp 57.000 Autos verkauft – das erreicht Opel alleine mit dem Corsa, der Astra liegt nochmals darüber.
Doch außerhalb Europas bringt sowohl Opel als auch PSA ein Zusammenschluss wenig. Opel wurde von GM bewusst auf Europa beschränkt, aus Russland haben sich die Rüsselsheimer wegen der schwierigen Geschäftsaussichten freiwillig zurückgezogen.
Die Fahrzeuge von Opel haben sicher das Zeug, auch außerhalb Europas für Kunden interessant zu sein, nur existieren in anderen Ländern keine Logistik- und Vertriebsstrukturen für Opel – von einer Markenbekanntheit ganz zu schweigen.
PSA und Opel sind außerhalb Europas schwach
Auch Peugeot und Citroën verkaufen den überwiegenden Teil ihrer Autos in Europa. Trotz der jahrelangen Partnerschaft mit dem chinesischen Großunternehmen Dongfeng, das seit 2014 auch 14 Prozent an der PSA Group hält, ist den Franzosen der Durchbruch in China noch nicht gelungen. Seit 1992 bauen Dongfeng und PSA in Wuhan zusammen Autos:
- zum Teil angepasste europäische Autos (wie etwa der Citroën C4 als Stufenheck-Limousine)
- in Europa bereits eingestellte Baureihen (der 2012 eingestellte Peugeot 206 wird in weiterentwickelter Form als Citroën C2 verkauft)
- eigene Entwicklungen für den chinesischen Markt (wie der DS 5LS)
- als Citroën vermarktete chinesische Autos (wie der seit 2016 angebotene Citroën C6, der technisch ein Fengshen A9 ist)
Zum Erfolg hat diese Misch-Strategie noch nicht geführt. Aber immerhin ist PSA in China vertreten – auf anderen wichtigen Wachstumsmärkten jedoch nicht. Sowohl in Nord- als auch Südamerika sind weder Peugeot, Citroën oder die Nobelmarke DS aktiv. Hier könnte, wie von einigen Experten ins Spiel gebracht, eine Überkreuzbeteiligung von General Motors und PSA Sinn ergeben. Sprich: PSA nimmt GM die Europa-Baustelle Opel ab, dafür spielen die Amerikaner den Türöffner in den amerikanischen Märkten.
Punkt 3: Die Werke
Hier ist die Lage schwieriger. PSA hat unter Tavares und dessen Vorgänger Philippe Varin eine harte Sanierung mit Jobverlusten und Werkschließungen durchlaufen. Zusammen mit einem zurechtgestutzten Modellprogramm hat es PSA 2016 zurück in die Gewinnzone geschafft – nach drei Jahren mit roten Zahlen.
Alleine im Werk Aulnay-sous-Bois, nördlich von Paris gelegen, sind bei der Schließung 2014 rund 3600 Jobs weggefallen. Mit der in Frankreich unpopulären Maßnahme hat es Tavares jedoch geschafft, die Auslastung in den verbliebenen Werken wieder zu erhöhen – einen Erfolg, den er sich durch neu hinzugewonnene Opel-Werke nicht schmälern lassen wird.
Opel kämpft derweil mit Überkapazitäten. Im Branchenschnitt sind die Auto-Fabriken zu 70 Prozent ausgelastet, Opel kommt nur auf 65 Prozent. Als sich das UK-Geschäft nach dem Brexit-Votum erschwerte, musste Opel in den Werken Rüsselsheim und Eisenach Kurzarbeit anmelden – für die dort produzierten Insignia und Corsa ist das Vereinigte Königreich ein wichtiger Absatzmarkt. Den dortigen Absatzrückgang konnte Opel nicht andersweitig kompensieren.
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer geht davon aus, dass bei einer Übernahme die Opel-Produktion in den PSA-Autobau eingegliedert würde. „Es gibt keine Markenwerke, sondern nur Konzernwerke, in denen alle Markenprodukte gefertigt werden“, betonte der Direktor des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen. Die vorhandenen Kapazitäten seien eher zu groß, so dass die Lage für die Opel-Werke in Eisenach und Kaiserslautern über Nacht schlechter geworden sei.
Damit stünden tausende Jobs auf dem Spiel. Vor allem am Stammsitz Rüsselsheim könnten zentrale Einheiten verkleinert oder ganz abgebaut werden, weil ihre Aufgaben im Konzern übernommen würden, betonte Dudenhöffer. Betroffen wären etwa der Einkauf, der Vertrieb, das Marketing sowie Teile des Entwicklungszentrums. Mindestens ein Drittel der rund 15.000 Jobs in Rüsselsheim stünde bei einer Übernahme zur Disposition.
Was bei dem deutschen Blick auf Opel nicht vergessen werden darf: In England betreibt Vauxhall die Werke Ellesmere Port (Opel und Vauxhall Astra) und Luton (Opel Vivaro). Das ist für PSA interessant, da die Franzosen bislang nicht in Großbritannien fertigen – nach dem Brexit sind Werke vor Ort ein großer Vorteil.
Wie löst man Opel aus GM heraus?
Punkt 4: Die Modelle
Bei den Verhandlungen stehen General Motors und PSA vor einer großen Herausforderung: Wie löst man einen Autobauer, dessen Produkte und Werke tief in einen Konzern integriert sind, aus den bestehenden Strukturen heraus?
Im Fall Opel lässt sich das an einigen konkreten Modellen und Bauteilen festmachen: Das Navigations- und Infotainmentsystem „OnStar“, das vom kleinen Adam bis zum großen Insignia eingesetzt wird, stammt aus dem GM-Regal. Doch während die Software samt den Computern und Steuergeräten noch zu ersetzen wäre, sieht es bei vielen Baureihen der Rüsselsheimer schlechter aus:
- Das in Deutschland meistverkaufte Modell, der Astra, basiert auf der von Opel entwickelten D2XX-Plattform. Darauf bauen auch andere GM-Modelle wie der Chevrolet Equinox, GMC Terrain oder der Buick Verano für den chinesischen Markt auf. Das wird GM nicht aus der Hand geben wollen. Zudem wird der Astra nicht mehr in den Opel-Werken gefertigt, sondern in den GM-Fabriken Ellesmere Port (UK) und Gliwice (Polen).
- Der beliebte Opel Mokka und der kleine Karl basieren auf der GM-Gamma-Plattform. Entwickelt wurde die konzernweite Kleinwagen-Plattform von GM Korea, dem früheren Daewoo. Der Mokka wird auch zum Teil in Südkorea gebaut – und im spanischen Saragossa.
- Der Insignia, der in wenigen Wochen auf dem Genfer Autosalon als Limousine (Grand Sport) und Kombi (Sports Tourer) vorgestellt wird, teilt sich die sogenannte Epsilon-II-Plattform mit Modellen wie dem Buick Regal und Chevrolet Malibu.
- Die große Hoffnung von Opel, das Elektroauto Ampera-e, ist ebenfalls eine GM-Entwicklung. Im Kern ist der Wagen, der auf eine elektrische Reichweite von 520 Kilometern kommen soll, ein Chevrolet Bolt mit angepasstem Fahrwerk und anderem Logo. Der Ampera-e basiert auf der eigens von GM Korea für Elektroautos entwickelten BEV-II-Plattform und wird zusammen mit dem Bolt in Michigan gebaut. Die Batterien kommen von LG aus Korea.
Im Klartext: Die meisten Opel-Modelle bauen auf GM-Konzern-Technologie auf, die sich nicht ohne weiteres ersetzen lässt. Somit müssen die Verhandlungen auch mittelfristige Lizenzvereinbarungen beinhalten, damit Opel die GM-Technologie weiter nutzen könnte. Für Modelle wie den Astra müsste auch eine Lösung für die Fertigung gefunden werden – denkbar ist auch eine Auftragsfertigung von General Motors für PSA.
Andere Modelle von Opel basieren wegen der aktuellen Zusammenarbeit bereits auf PSA-Technik. Der Meriva-Nachfolger Crossland X, der wie der Insignia in Genf seine Premiere feiert, übernimmt viele Teile vom Peugeot 2008. Der größere Grandland X, der noch in diesem Jahr vorgestellt werden soll, basiert auf dem Peugeot 3008. Wie es um die Zukunft des Opel Zafira steht, dessen Produktion laut den ursprünglichen Vereinbarungen mit dem nächsten Modellwechsel vom Opel-Stammwerk Rüsselsheim in das PSA-Werk Sochaux umziehen sollte, ist noch unklar.
Bereits heute zeichnet sich aber ab: Bis alle Baureihen nach der möglichen Übernahme auf eine gemeinsame Basis umgestellt wären, würden Jahre vergehen. Erst dann kommen aber die Einsparungen voll zum Tragen – davor kosten die Parallel-Strukturen und Neuentwicklungen viel Geld. Und sowohl PSA als auch Opel sind nicht auf finanziellen Rosen gebettet.