Konkurrenz für den öffentlichen Nahverkehr Fördert Carsharing klimaschädliches Autofahren?

Unter Carsharing leiden Busse und Taxis. Deshalb ist fraglich, ob durch das Teilen von Autos die Emissionen von Kohlendioxid wirklich sinken. Die Politik will trotzdem mehr davon – und plant strittige Privilegien.

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Carsharing statt Bus und Bahn Quelle: dpa, Montage

Ein Gedankenspiel: Angenommen, Sie haben sich mit Freunden in der Stadt zum Sonntagsbrunch verabredet. Sie gehen aus dem Haus und wollen in die Straßenbahn um die Ecke steigen, das Ticket kostet Sie 2,70 Euro. Die Fahrt würde eine Viertelstunde dauern, danach müssten Sie noch fünf Minuten laufen. Vor Ihrem Haus parkt ein blau-weißer Smart von Car2Go. Der Mitgliedsausweis für das Carsharing steckt in Ihrem Portemonnaie. Eine Fahrt zum vier Kilometer entfernten Lokal würde rund sechs Euro kosten. Es beginnt zu nieseln. Nehmen Sie das Car2Go-Auto oder fahren Sie Bahn?

Vielleicht entscheiden Sie sich aus Prinzip für die ökologische Straßenbahn. Doch Sie könnten auch das Auto wählen – vor allem dann, wenn Sie wüssten, dass neben ihrem Brunch-Lokal ein freier Stellplatz für Carsharing-Autos reserviert ist. Und das könnte bald passieren.

Ob Carsharing die Emissionen senkt ist fraglich

Anhängern des Klimaschutzes bereitet dieser Gedanke Kopfschmerzen. Zwar hat sich Carsharing in den Großstädten schon längst einen Platz im Nahverkehr erobert. Doch fraglich ist, ob durch das Teilen von Autos die Emissionen von Kohlendioxid wirklich sinken, weil die Leute weniger fahren. Oder ob Carsharing das klimaschädliche Autofahren sogar fördert, weil die Nutzer gerade dazu animiert werden. Eine Studie, die der WirtschaftsWoche vorliegt, rechnet mit Mehrverkehr und unerwünschten Verdrängungseffekten. Sie rückt das Carsharing in eine Rechtfertigungsecke, just zu einer Zeit, in der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt neue Privilegien für Carsharing-Modelle plant.

Wie sich Carsharing auf die Nutzung anderer Verkehrsmittel auswirkt

Neben den klassischen Anbietern wie Cambio, Stattauto und Flinkster, bei denen die Mitglieder feste Stationen ansteuern, locken Autohersteller wie BMW (DriveNow), Daimler (Car2Go) und Citroën (Multicity) zur One-Way-Fahrt, nach der die Autos überall im Stadtgebiet abgestellt werden können. Deutschland gilt bereits als der differenzierteste Carsharing-Markt der Welt mit mehr als 150 Anbietern und mehr als einer Million Nutzern. Täglich kommen 1000 Neukunden hinzu.

Doch die ökologischen Effekte sind durchaus zwiespältig. Die Experten der Münchner Beratungen Berylls Strategy Advisors und MM Customer Strategy haben 1900 Führerscheinbesitzer nach ihrem Nutzungsverhalten befragt. „Carsharing hat negative Auswirkungen auf alle Mobilitätsanbieter“, sagt Markus Müller-Martini, Geschäftsführender Gesellschafter bei MM und Autor der Studie. Taxis, Autovermietungen, Busse und Bahnen geraten unter Druck.

Die Carsharing-Angebote im Überblick

Wachstum geht zulasten staatlich subventionierter Verkehrsmittel

Heikel ist vor allem, dass das Wachstum im Carsharing zulasten des mit mehreren Milliarden Euro subventionierten Nahverkehrs geht. Zwar fahren sieben Prozent der befragten Carsharing-Nutzer häufiger mit Bus und Bahn als vorher, doch 22 Prozent geben an, weniger mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Auch das Taxigewerbe leidet. „Es drohen deutliche Kannibalisierungseffekte auch zulasten des öffentlichen Nahverkehrs“, sagt Müller-Martini. „Das birgt Sprengstoff für die Diskussion auf kommunaler Ebene, ob eine Stärkung von Carsharing wünschenswert ist.“

Die Städte beobachten das Vorhaben des Verkehrsministers, Carsharing zu privilegieren, daher kritisch. Grundsätzlich begrüßen sie zwar, dass der Minister endlich Rechtsklarheit schafft. Die aktuelle Gesetzeslage etwa verbietet Vorteile für private Autos im öffentlichen Raum. Dobrindt will das ändern und den Kommunen die Möglichkeit geben, separate Carsharing-Parkplätze auszuweisen und die Autos von Parkgebühren zu befreien. Ein Entwurf zum Carsharing-Gesetz werde derzeit „finalisiert“, heißt es im Verkehrsministerium.

Stationäres Carsharing ist umstritten

Doch wie so oft liegt der Teufel im Detail. Nach Informationen der WirtschaftsWoche sieht der Entwurf vor, Sonderparkplätze für Carsharing anzubieten, ohne sie bestimmten Anbietern zuzuordnen. Das würde Konzernen wie Daimler und BMW mit ihren flexiblen Systemen Car2Go und DriveNow entgegenkommen, heißt es bei den Städten. Nötig wäre hingegen eine Regulierung, die den Kommunen erlaubt, auch stationsbasierten Anbietern eigene Flächen anzubieten.

Denn der ökologische Vorteil des stationären Carsharings ist unstrittig. „Zahlreiche Studien haben belegt, dass das stationsbasierte Carsharing einen positiven Beitrag für das Klima leistet“, sagt Willi Loose, Chef des Bundesverbands Carsharing, der die meisten Anbieter in Deutschland vertritt. „Der Beleg für die Vorteile der flexiblen Carsharing-Systeme steht noch aus.“

Nutzer wollen unabhängig vom öffentlichen Nahverkerh sein

Den Minister könnte das in Bedrängnis bringen. Denn Ziel des neuen Carsharing-Gesetzes ist eine „Verringerung insbesondere von klima- und umweltschädlichen Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs“, heißt es in dem Gesetzesentwurf. Fraglich ist also, ob die geplanten Privilegien für alle Carsharing-Anbieter sinnvoll sind.

Auch die Berater von MM und Berylls mahnen zur Vorsicht. „Die flexiblen Carsharing-Systeme führen eher dazu, dass die Leute mehr fahren als vorher“, sagt Matthias Kempf, Partner bei Berylls und Mitautor der Studie. Die Angebote von Car2Go und DriveNow hätten das Carsharing zwar erfolgreich aus der Nische geholt. „Aber die neuen Kundengruppen nutzen die Autos vor allem als ergänzendes Mobilitätsangebot, auch ohne ihren eigenen Pkw abzuschaffen“, sagt Kempf. Das belege auch die Studie. Befragt nach den Hauptmotiven für das Carsharing geben die Nutzer an, sie wollten sich in erster Linie vom öffentlichen Nahverkehr unabhängiger machen und Zeit sparen. Erst an dritter Stelle folgt Umweltfreundlichkeit als Motiv.

Effektive tägliche Nutzung eines Carsharing-Fahrzeugs

Die Städte überlegen nun, wie sie urbane Mobilität dennoch nachhaltig verbessern können. Als Vorbild gilt Bremen mit seinen 14 Mobilitätsstationen. An den Knoten treffen sich U-Bahn, Bus, Taxis, Mietfahrräder und Carsharing-Autos. Jedes Carsharing-Auto schafft inzwischen rund elf private Pkws ab, heißt es in einem Senatsbericht. „Insgesamt wurden so bereits mehr als 2200 Pkws im Bremer Straßenraum durch Carsharing-Angebote ersetzt.“

Den hanseatischen Weg schlagen inzwischen auch andere Städte ein. München eröffnete im November 2014 die erste Mobilitätsstation, weitere Dutzend sollen folgen. Ziel sei es, Multimodalität „erlebbar zu machen“, sagt Martin Schreiner, Strategieleiter der Verkehrsabteilung, „dann werden Stadtbewohner zunehmend auf das eigene Auto verzichten“.

Privilegien an Ökoziele koppeln

„Die Verschmelzung aller Mobilitätsangebote an Knotenpunkten ist sinnvoll, bürgernah und nachhaltig“, sagt Müller-Martini. Um den ökologischen Beitrag des Carsharings zu maximieren, empfiehlt der Berater dem Minister, die Privilegierung von Carsharing „an Ökoziele wie etwa den CO2-Verbrauch zu koppeln“.

München hat das vor. DriveNow und Car2Go zahlen 1800 Euro pro Fahrzeug und Jahr an Parkgebühren. Die Anbieter könnten zukünftig Rabatte fürs Parken erhalten, wenn sie Auflagen erfüllen, etwa Elektrofahrzeuge einsetzen, mit dem öffentlichen Verkehr kooperieren oder nachhaltige Tarifmodelle anbieten.

Davon profitierten auch Bus und Bahn. In den Behörden beginnt deshalb eine kreative Phase. In den nächsten fünf bis zehn Jahren, ist Kempf überzeugt, stehe ein Dammbruch bevor. Selbstfahrende Autos könnten einen Teil der Mobilität übernehmen. „Dann erlebt Carsharing einen unglaublichen Wachtsumsschub.“

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