Mit einem satten Klacken rastet die Stoßstange ein. Im nächsten Handgriff dreht der Arbeiter noch zwei Schrauben ein, und schon fährt das Band den Kia cee’d auf der Fertigungslinie eine Station weiter. Alles wie immer im slowakischen Kia-Werk Zilina, fast alles. Eines ist an diesem Tag Mitte Mai anders: An der Stoßstange ist bereits ein Kennzeichen montiert: „1 million cee’d“.
Acht Jahre nach dem Produktionsbeginn der ersten Generation des Kompaktwagens in Zilina haben die Arbeiter jetzt das einmillionste Exemplar gefertigt. Der weiße pro_cee’d GT, das Topmodell mit 204 PS, wird später ins Vereinigte Königreich ausgeliefert – sofern es die Qualitätskontrollen übersteht.
Neuzulassungen in Deutschland 2014
Neuzulassungen: 227.835 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 7,5 Prozent
Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt KBA
Neuzulassungen: 457.633 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 15,1 Prozent
Neuzulassungen: 801.441 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 26,4 Prozent
Neuzulassungen: 380.263 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 12,5 Prozent
Neuzulassungen: 121.998 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 4,0 Prozent
Neuzulassungen: 29.861 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 1,0 Prozent
Neuzulassungen: 296.714 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 9,8 Prozent
Neuzulassungen: 232.230 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 7,8 Prozent
Neuzulassungen: 36.888 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 1,2 Prozent
Neuzulassungen: 291.599 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 9,6 Prozent
Neuzulassungen: 123.296 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 4,1 Prozent
Neuzulassungen: 25.746 Fahrzeuge
Anteil der Neuzulassungen: 0,8 Prozent
Das Werk in Zilina läuft auf Hochtouren. Im vergangenen Jahr liefen in der Slowakei insgesamt 323.000 Kia vom Band, so viel wie noch nie. Im Vergleich zum Vorjahr legte die Produktion um drei Prozent zu. Mehr als die Hälfte der in Europa verkauften Kia kommen aus der Slowakei. „Vor zehn Jahren kam noch kein Kia aus Europa, heute sind es 56 Prozent“, sagt Artur Martins, Marketing-Chef von Kia Motors Europe. „Wir sind stolz, das in dieser Zeit erreicht zu haben.“ Die Kia-Fahrzeuge aus Zilina gehen in alle Regionen Europas. Die größten Absatzmärkte des Werks waren 2014 Russland (18 Prozent der Jahresproduktion), Deutschland liegt auf Rang drei.
Unsicherheitsfaktor Russland
2013 gingen noch 30 Prozent der Fahrzeuge nach Russland, doch die Absatzkrise nach den politischen Unsicherheiten und EU-Sanktionen hinterließ auch bei Kia Spuren. „Wir senken unsere Produktion aber nicht, wir verteilen sie anders“, sagt Eek-Hee Lee, Präsident und CEO von Kia Motors Slovakia. „Jetzt geht ein größerer Teil unserer Produktion nach Westeuropa.“
Rund jeder dritte Wagen, der das Werk verlässt, ist eines der Kompaktmodelle der cee’d-Familie. Mehr als die Hälfte des Gesamtvolumens entfällt auf das Kompakt-SUV Kia Sportage, der Van Venga spielt nur eine untergeordnete Rolle. Angesichts einer Reihe neuer Modelle werde man auch 2015 die Produktionskapazität in dem 2006 in Betrieb gegangenen Werk voll ausschöpfen, sagt Lee.
Nicht nur die Fabrik in Zilina ist ausgelastet. In Mexiko ziehen die Koreaner derzeit sogar eine neue Fabrik hoch, um die steigende Nachfrage in Nord- und Südamerika bedienen zu können. Ab 2016 sollten im Nordosten des Landes bis zu 300.000 Autos pro Jahr gebaut werden. Die Kosten für das Werk belaufen sich auf über eine Milliarde Dollar.
Kia wuchs rasant – und stagniert heute
Dass Kia-Werke ausgelastet sind oder gar neue Kapazitäten aufgebaut werden, ist eines der spektakulärsten Comebacks der Autobranche. Vor nicht einmal 20 Jahren geriet Kia wegen der hohen Schulden im Zuge der Asienkrise in Schieflage – und musste Insolvenz anmelden. Der damalige Konkurrent Hyundai rettete den ältesten koreanischen Autobauer. Die Allianz hält bis heute: Der Mutterkonzern hält immer noch 34 Prozent der Kia-Anteile.
Seit dem hat sich Kia zu einer der am stärksten wachsenden Autobauern weltweit entwickelt. Alleine zwischen 2004 und 2009 hat Kia die Verkäufe in der EU mehr als verdoppelt. Aber noch spielen die Koreaner nicht in der Champions League der globalen Autoindustrie. Toyota, Volkswagen und GM haben im vergangenen Jahr jeweils zehn Millionen Autos oder knapp darunter verkauft. Hyundai Kia kam auf acht Millionen – davon entfallen rund drei Millionen auf Kia – und ist damit derzeit hinter Renault-Nissan der fünftgrößte Automobilhersteller.
Mit dem Erfolg kam dann die weitere Expansion: 2006 eröffneten die Koreaner in der Slowakei ein eigenes Werk in Europa. Mit den Autos aus Zilina, die speziell auf den europäischen Markt zugeschnitten sind, legten die Verkaufe nochmals zu. Vor 2006 lag der Marktanteil der Koreaner in Europa bei unter einem Prozent. Mit neuen Modellen aus Korea wie den Kleinwagen Picanto und Rio sowei den europäischen Wagen aus Zilina kommt Kia heute auf 2,8 Prozent.
„Das Werk in der Slowakei hat eine zentrale Rolle im nachhaltigen Wachstum von Kia in Europa im vergangenen Jahrzehnt gespielt“, sagt Martins. „Der cee’d wird ausschließlich in Zilina gebaut und bildet mit 20 Prozent des Absatzes in Europa einen Eckpfeiler unseres Erfolgs.“ Eine kluge Entscheidung, wie der einmillionste cee’d unterstreicht.
Neuer Deutschland-Chef soll Wachstum bringen
Doch mit dem Erfolg nahmen auch die Probleme zu – auch in Deutschland. Nach Jahren des rasanten Wachstums schwächelte Kia auf dem deutschen Automarkt. Martin van Vugt, seit 2011 Geschäftsführer von Kia Motors Deutschland, hatte im vergangenen Sommer das Unternehmen verlassen. Offiziell zwar „auf eigenen Wunsch“, hinter den Kulissen war aber klar: Er hatte die selbst gesteckten Wachstumsziele deutlich verfehlt. Statt der angepeilten 70.000 Fahrzeuge im Jahr 2013 setzte er nur 55.654 Autos ab. Das Ziel, 2016 mehr als 100.000 Fahrzeuge zu verkaufen, ist in weite Ferne gerückt: 2014 ging der Absatz hierzulande sogar leicht zurück.
Über die genauen Gründe des Abgangs schweigt Kia bis heute. Schnell war aber aus Konzernkreisen zu hören, dass van Vugt nicht mit der koreanischen Unternehmenskultur zurecht kam: Probleme werden nicht offen angesprochen und diskutiert, den Anordnungen aus Korea ist ohne Widerstand folge zu leisten. Der offene und kommunikative Holländer van Vugt sah demnach in diesem Umfeld keine Chance, seine Pläne umzusetzen, die Motivation war dahin.
Wie sehr das Management unter Druck stand, zeigt auch eine andere Personalie: Wenige Wochen vor van Vugt musste Deutschland-Finanzchef Hyeong Yeob Bae gehen.
Zweistelliges Wachstum war gestern
Auch 2015 läuft es nicht besser, aktuell liegt Kia in Deutschland 4,4 Prozent unter den Vorjahresverkäufen. Nach acht Monaten ist wenigstens die Vakanz an der Spitze von Kia Deutschland beendet: Seit März leitet Steffen Cost die Geschäfte des Importeurs in Frankfurt. Der 48-Jährige war zuvor Vertriebschef von Nissan Deutschland. Die Aufgabe für Cost ist bereits klar formuliert: Kia wolle in Deutschland „sowohl qualitativ als auch quantitativ wachsen“, sagte Costs Co-Geschäftsführer Jin Ha Kim. 60.000 Autos sollen es dieses Jahr werden, 2018 dann 80.000 Fahrzeuge. Von den Zahlen eines Martin van Vugt will Steffen Cost vorerst nicht sprechen.
In einem anderen Punkt setzt Cost allerdings die Strategie seines Vorgängers fort: bei den Händlern. Dieser hatte 2012 im Vertriebsnetz kräftig aufgeräumt, 130 Partner bekamen keine weiteren Verträge mit Kia. Um zu wachsen, braucht Kia aber mehr Verkaufspunkte: Im laufenden Jahr sollen daher 40 neue Händler zu den zu Jahresbeginn 245 Betrieben dazukommen, später sollen 80 weitere folgen. Ohne diese könnten die Absatzpläne von Cost wackeln.
Doch nicht nur auf dem hart umkämpften deutschen Markt häufen sich die Probleme, auch international ist von zweistelligen Wachstumsraten nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil: Im Januar musste Kia weltweit sogar einen Absatzrückgang von 2,2 Prozent verkraften. Nur der starke Heimatmarkt (+ 8,2 Prozent) hat ein noch größeres Minus verhindert.
Selbst die Experten des Analysehauses IHS waren von dem Rückgang verwundert, sie hatten lediglich ein abgeschwächtes Wachstum erwartet. Eine der wesentlichen Ursachen sei das Währungsumfeld. Der starke Won drückt auf die Export-Gewinne, Kia hatte deshalb bereits die Gewinnerwartung nach unten geschraubt. Kia ist in Korea vom Export abhängig, rund 70 Prozent der 1,6 Millionen der dort produzierten Autos gehen ins Ausland.
Schadet Hyundai der Tochter Kia?
Verzögerungen in der koreanischen Produktion schlagen sich deshalb nicht nur im lokalen Absatz, sondern in zahlreichen Märkten nieder. Zeitverluste, die sich Kia nicht erlauben kann. Doch genau das ist im vergangenen Jahr mehrfach passiert: An 96 Tagen streikten die Mitarbeiter, was dem Hersteller einen Produktionsausfall von rund 70.000 Fahrzeugen bescherte. Firmenchef Lee Sam-Wong konnte sich in den starken Gewerkschaften nicht auf einen neuen Lohnabschluss einigen. Sein großes Projekt, eine Reform der Verhandlungskultur mit den kampfbereiten Arbeitnehmervertretern, war gescheitert. Im vergangenen November trat er zurück. Damit übernehme er die Verantwortung für die durch den Arbeitskampf entstandenen Produktionsausfälle, zudem wolle er bei der Suche nach einer Lösung im Tarifstreit nicht im Wege stehen, hieß es seitens Kia in Korea.
Neben der Währung und den internen Querelen bremst noch ein weiterer Faktor das Wachstum von Kia: der einstige Retter Hyundai. Zu dieser These kommt zumindest Kim Pil-Soo, Professor für Automobilingenieruswesen des Daelim-Universitätskollegs. „Seit Hyundai Kia übernommen hat, verhält sich Hyundai wie ein Eroberer oder großer Bruder statt als gleichberechtigter Partner“, sagte der Professor dem „Wall Street Journal“.
Hyundai hat den Vorrang
Sein Schluss: Kia könnte noch erfolgreicher sein, wenn Hyundai nicht in die Quere käme. Technisch arbeiten beide Unternehmen eng zusammen. Bei nahezu jedem Kia-Modell gibt es ein Gegenstück von Hyundai: Beim Kompaktwagen cee’d ist das der Hyundai i30, die SUV Kia Sportage und Hyundai iX35 teilen sich eine Basis, ebenso die Kleinwagen Rio und i20. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Auch ein beträchtlicher Teil der 493.000 in Zilina gefertigten Motoren geht an die hausinterne Konkurrenz – in das europäische Hyundai-Werk in Tschechien.
Das Problem dabei: Hyundai bekommt Neuheiten stets zuerst, Kia darf erst mit mehreren Monaten Abstand nachziehen. Bei den wichtigsten Modellen gibt es in zahlreichen Märkten Überschneidungen, abgesehen von anderen Design werden sie zu einem ähnlichen Preis angeboten. Und im Ringen um dieselbe Kundschaft hat der Nachzügler oft das Nachsehen.
„Kunden warten nicht sechs Monate oder mehr, um ein neues Auto zu kaufen, wenn ein ähnliches Fahrzeug bereits verfügbar ist“, sagt auch Hong Jin-Ho, Analyst bei IBK Investment & Securities. Und selbst wenn der Kunde die Wahl zwischen beiden Marken habe, würde Kia unter der größeren Strahlkraft der Marke Hyundai leiden.
An der Strahlkraft will auch der neue Deutschlands-Geschäftsführer Cost arbeiten. Neben dem Ausbau des Händlernetzes will er vor allem die Marketingaktivitäten ausbauen. Aus dem Konzern heißt es zwar stets, jedes Produkt habe „seine einzigartigen Charakteristiken und eine eigene Marktpositionierung“. Doch diese Unterschiede müssen beim Kunden auch ankommen – damit nicht ein Marken-Einerlei droht.
Von Markenpolitik und Händlernetzen ist in Zilina wenig zu spüren. Sollten aber alle Maßnahmen greifen und die Nachfrage steigen, ist man in der Slowakei vorbereitet. „Derzeit sind keine weiteren Kia-Werke in Europa geplant“, sagt Lee. „Sollte die Nachfrage unsere Kapazitäten in der Slowakei übersteigen, können wir das Werk mit einer neuen Halle erweitern. Noch ist Platz auf dem Gelände.“