Krankes System Die brutalen Methoden der Autokonzerne gegen Zulieferer

Auto-Zulieferer geraten zunehmend unter Druck Quelle: dpa Picture-Alliance

Ausbooten, austricksen, ausnehmen – noch nie waren die Methoden der Autokonzerne gegenüber kleinen und mittelgroßen Subunternehmern so brutal. Und die Umgangsformen drohen weiter zu verrohen, weil Volkswagen, BMW und Co. sparen wollen.

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Seit neun Uhr morgens sitzt Ralf Berger in einem Hotelzimmer bei Frankfurt. Er schwitzt, behält das Jackett aber an und ringt um Haltung. Denn gleich ist es zwölf Uhr. Und jeden Moment kann der Einkaufschef des großen deutschen Automobilherstellers hereinkommen und ihm das Angebot eines anderen Zulieferers präsentieren – eines Wettbewerbers, der sich im Zimmer nebenan einquartieren musste.

Berger weiß genau, was ihm dann blüht. Der Einkäufer wird ihm erklären, dass der Konkurrent einige Tausend Euro preiswerter anbietet – so wie er das auch vor einer Stunde erklärte. Dann wird der Einkäufer ihn wieder auffordern, den Preis des Angebots zu reduzieren. Und wieder wird Berger hinnehmen müssen, dass sein Gewinn noch schärfer gegen null tendiert. Doch die Tür zuzuwerfen und aus dem Hotel zu stürmen, das kann er sich nicht erlauben. Wenn er jetzt aussteigt, kann er von diesem Autobauer keine Aufträge mehr erwarten. Das hat ihm der Einkäufer gleich gesagt.

Das bizarre Pingpong im Taunus ist eine Versteigerung, nur dass die Teilnehmer sich nicht über-, sondern unterbieten müssen. Branchenintern heißt das gegenseitige Ausbooten „Mehrraumverhandlungen“. Deutschlands Autohersteller lassen Manager mittelständischer Zulieferer regelmäßig auf diese Weise gegeneinander antreten, wenn sie Aufträge für ein neues Modell vergeben. Das Prozedere gilt als vertrauliche Verschlusssache, von der kein Beteiligter etwas verlauten lassen darf. Auch Berger heißt in Wirklichkeit anders, muss sich auf derartige Hotelrunden jedoch einlassen, um im Geschäft zu bleiben.

Die zehn größten deutschen Autozulieferer
Platz 10: EberspächerUmsatz 2014: 3,60 Milliarden Euro Das aus Esslingen am Neckar kommende Familienunternehmen zählt zu den weltweit führenden Systementwicklern und -lieferanten für Abgastechnik, Fahrzeugheizungen und KlimasystemeQuelle des Rankings: Berylls Stretagy Advisors Quelle: dpa
Platz 9: BroseUmsatz 2014: 5,17 Milliarden Euro Aus Coburg kommen die Sitzsysteme, Türmodule, Fensterheber und Schließsysteme von Brose. 22.000 Menschen arbeiten für das Familienunternehmen, das bereits seit 1908 existiert. Quelle: Presse
Platz 8: HellaUmsatz 2014: 5,18 Milliarden Euro In Lippstadt in Nordrhein-Westfalen produziert Hella mit rund 29.000 Mitarbeitern Licht- und Elektroniksysteme für den Fahrzeugbau, wie hier die LED-Scheinwerfer für eine Mercedes E-Klasse. Das Unternehmen blickt auf eine lange Historie zurück. Der Grundstein wurde bereits 1899 gelegt. Quelle: Presse
Platz 7: Benteler AutomobiltechnikUmsatz 2014: 5,87 Milliarden Euro Fahrwerkteile, Abgassysteme, Umformtechnik und Rohre – das sind die Komponenten, die Benteler Automobiltechnik mit weltweit rund 20.850 Mitarbeitern entwickelt und produziert. Zum 1. September 2014 hat Benteler zwei Teilbetriebe aus der insolventen Wilco Wilken Lasertechnik übernommen, um seine Kompetenz in diesem Bereich zu verstärken. Quelle: Presse
Platz 6: SchaefflerUmsatz 2014: 8,89 Milliarden Euro Von Herzogenaurach aus schickt Schaeffler seine weltberühmten Wälzlager, aber auch Motoren- und Getriebeelemente, sowie Kupplungs- und Antriebstechnik rund um den Globus. Schaeffler übernahm 2008 Continental und bürdete sich damit einen riesigen Schuldenberg auf, den das Unternehmen in den nächsten Jahren nur mühsam abstottern konnte. Die Schaeffler-Gruppe hat rund 76.000 Mitarbeiter. Quelle: REUTERS
Platz 5: ThyssenKruppUmsatz 2014: 9,72 Milliarden Euro Der Stahlkonzern aus Essen verdient an der Automobilindustrie mit dem Verkauf von Karosserieteilen, Fahrwerksmodulen, Antriebssträngen, Lenksystemen und Aufhängungen. Im Bild die Achsmontage an einem Smart Fortwo. Insgesamt arbeiten 157.000 Menschen für ThyssenKrupp. Quelle: Presse
Platz 4: MahleUmsatz 2014: 9,98 Milliarden Euro Die Stuttgarter beliefern Autobauer weltweit mit Kolben, Lagern, Ventiltrieben, Filtersystemen, Turboladern und Klimaanlagen. Rund 65.000 Menschen arbeiten für das Traditionsunternehmen, das 1920 gegründet wurde. 2010 fusionierte Mahle mit dem Klimaanlagenbauer Behr und stieg damit damals unter die Top 4 der größten deutschen Automobilzulieferer auf. Quelle: dpa

Ohne Anstand und Respekt

Die „Mehrraumverhandlungen“ sind eine gängige, aber längst nicht die einzige Strategie, mit der Autokonzerne mittelgroßen und kleinen Zulieferern den letzten Cent abpressen – und das mit zunehmender Schärfe. „Partnerschaft gab es noch in den Achtzigerjahren“, sagt Harald Schatz, der nach 27 Jahren von der Zuliefererindustrie in die Beratung wechselte. „Anstand und Respekt sind verloren gegangen.“

Gleiches beobachtet sein Kollege Harald Klein von der Consultingfirma Peter Schreiber & Partner in Ilsfeld-Auenstein bei Heilbronn, die mittelständische Autozulieferer berät. Die „Ideenvielfalt“ der Hersteller, ihre Ausstatter auszuquetschen, sei groß, der Fantasie keine Grenze gesetzt, „um den psychischen Druck auf die Zulieferer unablässig zu erhöhen“.

Für Branchenkenner wie Klein und Schatz erreicht der Umgang der Konzerne mit kleinen und mittleren Zulieferern eine beunruhigende Qualität. Was Betroffene unter dem Mantel der Verschwiegenheit berichten, wirft ein erschreckendes Licht auf das Gebaren der Autobauer gegenüber ihren unterlegenen Subunternehmern. Während Zulieferriesen wie Bosch und Continental den PS-Protzen auf Augenhöhe begegnen können, vermissen Komponentenhersteller aus der zweiten Reihe oft jede Fairness bis hin zur Gesetzestreue.

Unisono beklagen die Zulieferer eine Verrohung der Sitten, manche sogar „erpresserische Zustände“ in der Branche. „Wer sich den Vorgaben der Hersteller nicht beugt, verschwindet sofort von der Anbieterliste“, sagt Berater Schatz.

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