Kritik nach Dieselgipfel "Offensichtlich hat Müller den Schuss nicht gehört"

Nach dem Dieselgipfel hagelt es massive Kritik - und zwar nicht nur von der Opposition. Zudem ist strittig, was überhaupt die nun geplanten Software-Updates wirklich bringen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Quelle: dpa

Grünen-Chef Cem Özdemir hat VW-Chef Matthias Müller wegen seiner Verweigerungshaltung gegen Umrüstungen von Diesel-Autos zur Schadstoffminderung, sogenannten Hardware-Lösungen, scharf kritisiert. "Das grenzt schon an eine Unverschämtheit", sagte Ödemir dem Deutschlandfunk. Er bezog sich auf Äußerungen von Müller nach dem Dieselgipfel in Berlin. "Offensichtlich hat er den Schuss nicht gehört", sagte Özdemir. Offenbar glaubten Teile der Branche immer noch, billig davonkommen zu können bei der Diesel-Abgasreinigung. Was beim Diesel-Abgasskandal vereinbart worden sei, reiche jedenfalls nicht aus, sagte Özdemir.

Der Gipfel habe die Chance verpasst, wirklich etwas für bessere Luft in den Städten zu tun, sagte der Politiker. Das Instrument der Fahrverbote in Städten "steht nach wie vor auf der Tagesordnung". Linke-Chef Bernd Riexinger nannte den Gipfel eine Farce. Statt klare Kante zu zeigen, habe man sich mit der freiwilligen Zusage von Softwareupdates abspeisen lassen.

Aber die Ergebnisse des Dieselgipfels sind nicht nur der Opposition zu wenig. „Die Automobilbranche muss von ihrem hohen Ross herunter und wieder mehr ihrer Verantwortung für die Gesellschaft und für ihre Kunden gerecht werden“, sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) der „Passauer Neuen Presse“. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte der „Bild“-Zeitung, für die Industrie beginne nun die Bewährungszeit. „Weitere Maßnahmen müssen folgen.“ Mit Blick auf möglicherweise drohende Fahrverbote in mehreren Städten betonte er: „Die gesetzlichen Vorgaben zur Luftreinhaltung gelten.“

Beim Dieselgipfel hatten die deutschen Hersteller neue Abgas-Software für rund 5,3 Millionen Autos zugesagt, um den Ausstoß des Atemgiftes Stickoxid zu verringern. Darunter sind auch 2,5 Millionen Fahrzeuge von Volkswagen, für die nach dem Skandal um manipulierte Abgaswerte schon Nachrüstungen angeordnet wurden.

Zusätzliche Umbauten am Motor, die wesentlich teurer wären, lehnte die Branche allerdings ab. Die Hersteller wollen den Kauf neuer, sauberer Autos mit Prämien ankurbeln, die sie selber zahlen. An diesem Donnerstag sollen die Obleute mehrerer Bundestagsausschüsse von der Bundesregierung über die Gipfel-Ergebnisse informiert werden.

Die SPD forderte mehr Tempo bei der Entwicklung neuer Antriebe. „Damit es endlich mehr Elektrofahrzeuge gibt, brauchen wir eine feste Quote für die Hersteller, wie viele Elektrofahrzeuge sie anteilig an der Gesamtflotte produzieren müssen“, sagte Fraktionsvize Sören Bartol. Für kleine und mittelständische Firmen sollte es steuerliche Sonderabschreibungen für Flotten-Umrüstungen auf E-Fahrzeuge geben.

Was die nun beschlossen Software-Updates wirklich bringen bleit strittig. Neue Diesel werden nach Einschätzung von Verkehrsexperte Peter Mock auf der Straße auch mit Software-Update die Grenzwerte für gesundheitsschädliche Stickoxide um ein Vielfaches überschreiten. Laut Umweltbundesamt stoßen Euro-6-Diesel mit 507 Milligramm auf der Straße mehr als sechsmal so viel NOx pro Kilometer aus, wie auf dem Prüfstand im Labor erlaubt ist - nämlich 80 Milligramm. „Wenn man nun annimmt, dass das Software-Update tatsächlich bei allen Fahrzeugen 30 Prozent bringen würde, dann wären wir bei 355 Milligramm pro Kilometer“, sagte Mock der Deutschen Presse-Agentur nach dem Dieselgipfel. „Das ist immer noch mehr als viermal so hoch wie das gesetzliche Euro-6-Limit.“

Der Experte vom Forscherverbund ICCT, der die Diesel-Affäre bei VW mit ins Rollen brachte, bezweifelt, dass sich alleine mit den Updates für neue Autos Fahrverbote wegen zu hoher Stickoxid-Werte in der Luft vermeiden lassen. An die Bauteile älterer Autos selbst ran zu gehen, wie viele Umwelt- und Verbraucherschützer fordern, sei „auf jeden Fall sehr aufwendig und deutlich teurer“ - und bei einigen Modellen „schlicht nicht möglich“. Wo sie gelänge, sei diese Nachrüstung aber recht effektiv, sagte Mock. „Diese Fahrzeuge sind dann nahezu so sauber wie die neueste Generation an Dieselmotoren.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%