Machtkampf bei Renault-Nissan Warum die erfolgreiche Auto-Allianz so zerrissen ist

Mit Machtkampf und Abgasskandal hat Volkswagen die Auto-Schlagzeilen des Jahres beherrscht. Der Streit um den Führungsanspruch in der Renault-Nissan-Allianz geriet dabei in den Hintergrund - ist aber weiterhin ungeklärt.

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Der Nissan Qashqai soll dem Renault Kadjar auf die Sprünge helfen. Quelle: Pressebild, Montage

Sie galt als eines der seltenen Beispiele für eine erfolgreiche Partnerschaft über Kulturen hinweg in einer globalisierten Industrie. 16 Jahre lang prallten japanische Disziplin und französische Denkweise aufeinander – und am Ende stand ein gutes Ergebnis. Doch seit 2015 knirscht es gewaltig im Getriebe der Renault-Nissan-Allianz, zusammen einer der fünf größten Autobauer der Welt.

Im April, als ganz Auto-Deutschland über den zu Martin Winterkorn auf Distanz gegangenen Ferdinand Piëch diskutierte, braute sich über Paris ein weiteres Auto-Gewitter zusammen. Da hatte der französische Staat gerade überraschend seinen Anteil an Renault von 15 auf 19,7 Prozent erhöht – und sich so dank eines jüngst verabschiedeten Gesetzes doppelte Stimmrechte gesichert. Somit hätte die Regierung Hollande – allen voran Wirtschaftsminister und Ex-Investmentbanker Emmanuel Macron – mit dem Inkrafttreten des Gesetzes im kommenden Jahr auch beim Partner Nissan ein Wörtchen mitreden können. Die Franzosen sind größter Einzelaktionär bei Nissan. Das stieß in Japan auf Ablehnung, Nissan drohte mit dem Ausstieg aus dem Bündnis. Mit einer Aktion war die jahrelang aufgebaute Harmonie dahin.

Die Verbindung zwischen Renault und Nissan

Der Vorstoß hatte auch viele in der Allianz überrascht. „Das Florange-Gesetz war dazu gedacht, Heuschrecken zu stoppen“, sagte eine der Renault-Nissan nahestehende Person der „Financial Times“. „Als Banker spielte Macron mit dem Geld anderer Leute. Jetzt spielt er mit dem Geld der Steuerzahler.“

Öffentlicher Rüffel für den Renault-Nissan-Chef

Auch Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn stellte den Sinn der Transaktion und deren Art und Weise in Frage. „Wir hatten viele harte Entscheidungen, Krisen und Herausforderungen“, so Ghosn. „Intern, extern, es gab viele – aber man hat nie etwas davon gehört. Warum? Weil wir es bislang in einem partnerschaftlichen Stil gelöst haben.“

Zwischenzeitlich wollte man in Japan den Spieß sogar umdrehen: Laut einem Bericht der Zeitung „Nikkei Asian Review“ plante Nissan offenbar seinerseits aktiv zu werden und seinen Anteil an Renault auf mindestens 25 Prozent zu erhöhen. Somit hätten die Franzosen nach japanischem Unternehmensrecht Stimmrechte bei Nissan verloren. Der Machtkampf war kurz vor dem Überkochen, als Macron öffentlich gegen Ghosn austeilte und ihn über die Medien daran erinnerte, dass er „nur ein Angestellter und kein Anteilseigner“ sei.

Inzwischen sind die Wogen zwischen Paris und Yokohama zwar wieder geglättet, ganz aus der Welt ist der Streit aber noch nicht. Mitte Dezember einigten sich alle Parteien darauf, den Einfluss des Staats bei beiden Autobauern klar zu begrenzen. Der Staat sicherte zu, sich im normalen operativen Geschäft mit dem bisherigen Stimmrecht zu begnügen und das doppelte Stimmrecht „nicht zu aktivieren“. Noch sind es aber nur Versprechungen, ein entsprechender Vertrag wird im Frühjahr ausgearbeitet – mit erneutem Konfliktpotenzial.

Einige Details der neuen Übereinkunft müssten noch festgezurrt werden, teilte Renault selbst mit. Dem Vernehmen nach müssen die Franzosen ihrem Partner zusagen, nie die Mehrheit in dem neunköpfigen Nissan-Führungsgremium anzustreben. Bislang hat Renault dort zwei Sitze. Kurze Zeit später legte Macron aber nochmals nach: Vor der Nationalversammlung betonte er, dass der Staat entschlossen sei, bei „strukturellen“ Entscheidungen von seinem vollen Einfluss Gebrauch zu machen. Dazu zählt er etwa Übernahmen, Verkäufe oder Fusionen.

Vorher
Nachher
Quelle: PR (2)

Auf dem Höhepunkt des Machtkampfes kursierten unzählige Gerüchte – von der Trennung bis zur vollständigen Fusion der beiden Autobauer. An der Börse sorgte die vorläufige Einigung aber für eine Enttäuschung. Die Renault-Aktie gab mehr als fünf Prozent nach. Anleger hatten gehofft, Ghosn würde die Gelegenheit nutzen, um die Allianz der beiden Auto-Hersteller zu vertiefen. Die Lage war angespannt: Selbst das sonst gut informierte Analysehaus IHS Automotive wagte zwischenzeitlich keine Prognose über die nahe Zukunft der Allianz.

Jetzt soll Nissan Renault helfen

Auto-Experte Ferdinand-Dudenhöffer glaubt jedoch nicht an ein Auseinanderbrechen. „Sie sind zu stark aneinander gebunden, dass es ein schnelles Ende geben könnte“, sagt der Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. „Frankreich hat große ökonomische Probleme und versucht, mit diesem Machtkampf Stärke vorzuspielen. Spätestens wenn Hollande und die Sozialisten abgewählt werden, wird sich die Lage wieder beruhigen.“

Der Staat will seinen Einfluss sichern, um etwa Arbeitsplätze in Frankreich zu erhalten. Schließlich haben sich die Vorzeichen innerhalb der Allianz geändert: 1999 hatte Renault Nissan vor der Pleite bewahrt. Mittlerweile ist Nissan aber der stärkere Partner und trägt etwa zwei Drittel des gemeinsamen Absatzes und einen größeren Gewinnanteil bei.

Was Renault und Smart in die Kleinwagen-Kooperation einbringen

„Renault ist derzeit schwach, weil der europäische Automarkt schwach ist“, sagt Dudenhöffer. „In Nordafrika, dem Iran und Russland ist Renault auch gut vertreten. Wenn all diese Märkte anziehen, werden die Franzosen in einigen Jahren wieder deutlich stärker sein.“

Im Länderportfolio stehe die Renault-Nissan aber gut da, viel besser etwa als der PSA-Konzern. „Wo Renault schwächer ist, ist Nissan stark und umgekehrt. Renault ohne Nissan ist aber schwer darstellbar, das ist auch der französischen Regierung bewusst.“

70 Prozent der Modelle auf gemeinsamen Plattformen

Bei Renaults Aufholjagd soll auch Technik aus Japan helfen. Die Nachfrage nach SUVs zum Beispiel boomt weltweit. Nissan gilt in diesem Segment als Vorreiter und ist von kleinen bis großen SUV gut aufgestellt – mit dem Bestseller Qashqai haben sie die kompakten Stadt-SUVs entscheidend geprägt. Renault hingegen hat den SUV-Trend vollkommen verschlafen. Auf den halbherzig zusammengeschusterten und nur mäßig erfolgreichen Koleos folgte nichts. Jetzt soll unter anderem der Kadjar den Markt von hinten aufrollen. Weite Teile der Technik liefert der einst kleinere Partner Nissan.

Bis 2020 sollen 70 Prozent der Modelle von Renault und Nissan auf gemeinsamen Plattformen basieren. Eine Gefahr der Verwässerung der beiden Marken bei so vielen gleichen oder ähnlichen Modellen sehen Auto-Experten allerdings nicht. „Zwei Marken mit ähnlichen oder technisch zum Teil gleichen Produkten zu differenzieren ist die Kunst der Markenbildung“, sagt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management an der Hochschule Bergisch-Gladbach. „Das trifft innerhalb von Konzernen zu, aber auch zwischen den Konzernen.“

Deshalb ist es für Bratzel kein Problem, dass sich Qashqai und Kadjar viele Komponenten teilen. Das gilt auch für den Daimler-Konzern, der eng mit der Allianz kooperiert – etwa bei den Schwestermodellen Renault Twingo und Smart oder Mercedes-A-Klasse und dem Q30 von Nissans Nobelmarke Infiniti.

Auch laut Dudenhöffers Analyse ergänzen sich das französisch-japanische Bündnis und der Stuttgarter Autobauer gut. „Die Zusammenarbeit mit Daimler ist stark, man kann im Prinzip auch von zweieinhalb Allianz-Partnern reden“, so der Professor. „Dieter Zetsche und Carlos Ghosn verstehen sich gut, sind aber in der Sache hart und verteilen keine Geschenke. Die engen Verflechtungen helfen beiden Seiten.“

Sollte der Machtkampf bei Renault-Nissan wegen der Verhandlungen um den Vertrag auch im kommenden Jahr erneut aufflammen, wären trotz der Bindungen die Risiken für Daimler überschaubar. „Wenn man sich an einen Partner bindet, der eine andere Dynamik erfährt, steigt das Risiko“, sagt Bratzel. „In der Welt gibt es aber nichts ohne Risiko, deshalb haben beide Seiten diese Bindung sehr wohl kalkuliert.“

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