„Das Präsidium des Aufsichtsrates der Volkswagen AG stellt fest, dass Professor Dr. Martin Winterkorn der bestmögliche Vorsitzende des Vorstands für Volkswagen ist.“ Mit diesem Satz beendet das mächtige Gremium den Machtpoker bei Europas größtem Autobauer. Winterkorn bleibt nicht nur, sein Vertrag soll sogar verlängert werden. Für VW-Patriarch Ferdinand Piëch, der mit seinem Zitat „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“ gegenüber „Spiegel Online“ die Führungskrise ausgelöst hatte, ist das eine herbe Niederlage.
Wie herb, das zeigt sich erst am Tag nach der entscheidenden Präsidiumssitzung am Donnerstag in Salzburg. Fünf von sechs Mitgliedern im sechsköpfigen Gremium hätten sich für den Konzernchef ausgesprochen und sich damit gegen Piëch gestellt, sagten zwei mit den Vorgängen vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. In der öffentlichen Erklärung kam der sonst bei solchen Gelegenheiten verwendete Begriff der Einstimmigkeit nicht vor. Soll heißen: Piëch war innerhalb seiner eigenen Führungsmannschaft isoliert.
Es war keine beiläufige Bemerkung, die der 78-Jährige über seinen Vorstandsvorsitzenden fallen ließ. Als sich die Print-Version des „Spiegel“ mit der VW-Story ohne das betreffende Zitat bereits im Druck befand, rief Piëch nochmals in Hamburg an und diktierte der Redaktion den folgenschweren Satz direkt in den Block.
Auch Piëchs Cousin stellt sich gegen ihn
Öffentliche Äußerungen des einflussreichen Managers sind selten und wenn sie kommen, sind sie wohl überlegt. Piëch hatte bereits andere Führungskräfte mit ähnlichen Zitaten aus dem Amt gefegt.
Nicht so im aktuellen Fall. Bereits vor der entscheidenden Sitzung hatten sich die Präsidiumsmitglieder Bernd Osterloh (Betriebsratschef) und Stephan Weil (Ministerpräsident Niedersachsens) für einen Verbleib Winterkorns ausgesprochen. Osterlohs Vize Stephan Wolf, IG-Metall-Vertreter Berthold Huber und Piëchs Cousin Wolfgang Porsche folgten dem Vernehmen nach.
Welche Intention Piëch verfolgte, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Es sei denn, er erklärt sich bald in einem Interview, wie er es einst nach der Causa Pischetsrieder tat. „Zu spät“, habe er erkannt, dass er auf den Falschen gesetzt habe – was er „nur mit Mühe“ habe korrigieren können.
Angeknackste Autoritäten
Mit der Erklärung des Präsidiums und den bislang bekannten Informationen steht Piëch in keinem guten Licht da. „Das ist ein Teilsieg für Winterkorn“, sagt Branchenexperte Stefan Bratzel. „Beide Autoritäten sind angeknackst. Piëch hat eine Schlacht verloren, aber der Krieg um die Macht im Konzern dauert an.“
Die Frage der Nachfolge ist mit den aktuellen Entwicklungen offener denn je. Dass Winterkorn eines Tages Piëch an der Aufsichtsratsspitze beerben könnte – wie lange Zeit angedacht –, war mit dem Vertrauensentzug Piëchs bereits unwahrscheinlich geworden. Mit dem kolportierten 5:1-Votum dürfte das Verhältnis Piëch-Winterkorn weiter gelitten haben. Ob Winterkorn nach seiner Zeit im Vorstand in den Aufsichtsrat wechseln soll, blieb zunächst offen.
Piëch und seine Figuren
Auf dem Weg des Ferdinand Piëch vom Audi-Manager auf den Aufsichtsratschefsessel des größten Autokonzerns Europas, blieb so mancher Top-Manager auf der Strecke. Die wichtigsten Stationen zusammengefasst.
Nach fünf Jahren als Vize übernimmt Piëch bei Audi den Chefsessel von Wolfgang Habbel und baut die Marke mit den vier Ringen zur Premiummarke um. In die Ära des Vollblutingenieurs fällt die Entwicklung des Super-Diesels TDI sowie des Allradantriebs Quattro.
Als neuer VW-Chef wirbt Piëch den Einkaufschef José Ignacio López vom Konkurrenten General Motors (GM) ab, der die Preise der Zulieferer drücken soll. Wegen des Verdachts, GM-Betriebsgeheimnisse an VW verraten zu haben, muss Piëch 1996 López fallen lassen.
Piëch heuert das IG-Metall- und SPD-Mitglied Peter Hartz als VW-Personalchef an. Der führt die Vier-Tage-Woche ein und spart so 500 Millionen Euro Lohnkosten. Nachdem auffliegt, dass VW unter ihm Luxusreisen und Bordellbesuche für Betriebsräte finanzierte, muss Hartz gehen.
Als Piëch 2002 VW-Aufsichtsratschef wird, installiert er Ex-BMW-Chef Bernd Pischetsrieder als VW-Lenker. Der agiert eigenständig, macht Piëch-Ideen rückgängig. Fünf Jahre später schweigt Piëch demonstrativ, als er gefragt wird, ob Pischetsrieder im Amt bleibt. Kurz darauf holt er Winterkorn.
Jahrelang versuchte Porsche-Chef Wendelin Wiedeking unter der Aufsicht von Piëch VW zu übernehmen. Als dies scheitert, sagt Piëch auf die Frage von Journalisten, ob Wiedeking sein Vertrauen genieße: „Zurzeit noch. Das ,Noch‘ können Sie streichen.“ Wiedeking muss gehen.
Was nach einer Niederlage mit Seltenheitswert aussieht, reiht sich in eine Liste von Rückschlägen für Ferdinand Piëch ein – der es aber Zeit seines Lebens perfekt verstand, vermeintliche Niederlagen als Siege zu verkaufen.
Teil dieser Strategie: Nicht er selbst macht sich die Hände schmutzig. Stattdessen bedient er sich auserlesener Figuren, die für ihn das unschöne Geschäft übernehmen.