Die Atempause für die Automobilindustrie zwischen den Jahren ist kurz. Die Elektronikmesse CES in Las Vegas ist über die Jahre zu einem wichtigen Schauplatz für die Autobauer und zur Präsentationsfläche ihrer Zukunftsvisionen geworden.
Vom 11. bis 24. Januar ist nun Detroit der Nabel der internationalen Autowelt. Nicht nur, weil die „North American International Auto Show“ (NAIAS) die älteste und größte amerikanische Automesse ist. Sondern auch, weil in Detroit nicht nur exotische Concept Cars, sondern auch die neuesten Serienmodelle des Modelljahrs 2016 präsentiert werden.
Die neue E-Klasse
In Detroit feiert die E-Klasse-Limousine Premiere. Der Kombi T-Modell folgt Mitte des Jahres, Coupé und Cabriolet stehen für 2017 auf der Agenda.
Interessenten müssen sich bis April gedulden. Dann beginnt die Auslieferung der neuen E-Klasse. Zum Marktstart treten der E 200 mit 184 PS und der E 220d mit 195 PS an.
Eine der wichtigsten Premieren in Detroit wird – nicht nur aus deutscher Sicht – die neue E-Klasse von Mercedes. Die Limousine, die wie wohl kein anderes Modell den Markenkern von Mercedes verkörpert, löst nach sieben Jahren Bauzeit seinen Vorgänger ab. Die rasanten Entwicklungen der vergangenen Jahre bei den Motoren, der Vernetzung und dem autonomen Fahren machen aus der Premiere mehr als einen gewöhnlichen Modellwechsel.
Die intern W213 genannte Generation der E-Klasse steht für einen technologischen Quantensprung. Aktuell lässt Mercedes sie bereits testweise im Bundesstaat Nevada autonom im Alltagsverkehr fahren.
Auf allen Interstates und State Highways kann das Steuergerät Drive Pilot die Autos lenken. Lediglich beim Auf- und Abfahren müssen die Testfahrer selbst steuern.
WirtschaftsWoche Online hat mit Michael Kelz, dem Chefingenieur der E-Klasse, und Michael Hafner, Leiter Fahrerassistenzsysteme, über das neue Modell und die Technologie gesprochen.
Zu den Personen
Michael Kelz ist Chief Engineer E-/CLS- und GLC-Klasse in der Entwicklung bei Mercedes-Benz.
Michael Hafner ist Leiter Fahrerassistenzsysteme und Aktive Sicherheit in der Entwicklung von Mercedes-Benz.
Das autonome Fahren ist eines der großen Trendthemen der Autobranche. Die neue E-Klasse kann in diesem Bereich mehr als heute per Gesetz erlaubt ist. Wieso?
Michael Hafner: Als Innovationsführer muss man natürlich grundsätzlich der Zeit etwas voraus sein - das war von je her der Anspruch von Mercedes-Benz. Davon angespornt haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder neue Akzente beim teilautomatisierten Fahren setzen können, so dass wir mit dem nun in der neuen E-Klasse erreichten Level an Assistenzsystemen technisch an der Schwelle zum autonomen Fahren stehen. Will man diese Schwelle im nächsten Schritt überschreiten, müssen neben technischen Herausforderungen unter anderem auch Zulassungs- und Haftungsfragen geklärt werden. Mit der neuen E-Klasse wollen wir in diesem Zusammenhang zwei Dinge unterstreichen: Erstens, wie viel wir heute bereits technisch können und wie zuverlässig die Systeme im Alltag funktionieren. Das wird der Gesetzgebung bei der Einschätzung der technischen Machbarkeit des autonomen Fahrens helfen und den Gesetzgebungsprozess unterstützen. Zweitens sind wir aber auch vorbereitet, bei neuen Gesetzeslagen im Laufe des Produktzyklus der E-Klasse noch nachlegen zu können.
Wenn in den kommenden Jahren die Gesetzgebung angepasst wird, können dann neue Funktionen einfach per Update „freigeschaltet“ werden?
Hafner: Ja, genau in diese Richtung wird die Reise gehen. Wir verbauen in der E-Klasse die modernsten Sensoren und haben noch etwas Rechenleistung reserviert, um hier noch nachlegen zu können. Wichtig bleibt natürlich, dass neue Funktionen dann auch bezüglich ihrer Alltagsfähigkeit vollumfänglich abgesichert sind. Wenn eine neue Gesetzeslage aber entsprechende neue Funktionalitäten erlaubt, werden wir hier handlungsfähig sein.
Warum zunächst die Vierzylinder kommen
Wenn es in verschiedenen Ländern oder US-Bundesstaaten verschiedene Regelungen zum autonomen Fahren gibt, wird es dann auch lokal unterschiedliche Versionen des Drive Pilot geben?
Hafner: Unser primäres Ziel ist es, dass die Regelungen zum autonomen Fahren möglichst übergreifend einheitlich gestaltet werden. Für den Kunden würde es ansonsten zunehmend unübersichtlich, was er im jeweiligen Staat alles beachten muss. Sollte das Gesetzgebungsgefälle aber zu groß werden und bestimmte Länder oder Staaten in der Gesetzgebung weit voraus gehen, dann würden wir uns natürlich genau dort mit spezifischen Angeboten engagieren, wo die Musik spielt.
Noch viele Hürden für selbstfahrende Autos
Autopiloten sind in Flugzeugen Standard. Auch in Schiffen übernimmt zumindest außerhalb der Häfen oft der Computer das Ruder. Am Ende geht es auch beim autonomen Fahren um einen Autopiloten, der das Fahrzeug steuert. Doch der Autoverkehr ist komplex. Auf der Autobahn können die Prototypen der Industrie bereits ohne größere Probleme ohne Eingriffe des Fahrers unterwegs sein. Im Stadtverkehr wird es schon schwieriger. Halbautomatische Funktionen sind allerdings inzwischen Alltag. Ob Tempomaten, Einparkhilfen, Stauassistenten oder Abstandsregler - viele Funktionen entlasten den Fahrer bereits. Auch etwa Mähdrescher können längst eigenständig über das Feld fahren.
Eins der wichtigsten Argumente ist die Sicherheit. Die meisten Unfälle gehen auf Fahrfehler zurück. Weit oben in der Statistik: zu hohe Geschwindigkeit, zu geringer Abstand oder Abbiegefehler. Automatisch gesteuerte Autos würden solche Fehler minimieren. Denn Risikofreude, Spaß an der Geschwindigkeit und Selbstüberschätzung kennt ein Computer nicht. Er bremst, wenn der Abstand zu gering wird und nimmt nicht aus Unachtsamkeit anderen die Vorfahrt.
Die Entwicklung ist recht weit fortgeschritten. BMW etwa testet seit Jahren automatisch fahrende Autos, auch auf deutschen Autobahnen. Die Fahrzeuge können auch eigenständig überholen. Solche Tests müssen sich die Hersteller aber von Behörden genehmigen lassen. Audi ließ jüngst zur US-Technikmesse CES einen Wagen „autonom“ rund 900 Kilometer aus dem Silicon Valley nach Las Vegas fahren. Auch Daimler präsentierte auf der CES seine Vision für ein selbstfahrendes Auto der Zukunft. Der silberne Mercedes-Prototyp fuhr autonom auf die Bühne nach einer Tour durch die Wüste und die Hotel-Meile der Glücksspiel-Stadt. Zumindest für die Autobahn können sich manche Hersteller pilotiertes Fahren bereits in fünf bis sieben Jahren vorstellen.
Hier beginnen die Schwierigkeiten jenseits der Technik. Die erste Hürde ist das „Wiener Übereinkommen für den Straßenverkehr“ von 1968, das die Basis für die meisten Verkehrsregelungen ist. Darin gibt es zwar Hinweise zu Zugtieren, aber von selbstfahrenden Autos ist nicht die Rede. Dafür aber davon, dass jedes Auto einen Fahrer braucht, der am Ende verantwortlich ist. Dass Autofahrer am Ende Verantwortung und Kontrolle völlig abgeben werden, gilt eher als unwahrscheinlich. Noch fehlen dafür aber Regeln und Gesetze. Bei den bisher fahrenden Prototypen auf normalen Strecken müssen in Deutschland die Fahrer darauf geschult sein.
Europas größter Versicherer, die Allianz, würde auch selbstfahrende Autos versichern. Allerdings würde sich die Risikoeinschätzung ändern, denn das Risiko verlagere sich vom menschlichen Fehler des Fahrers zum Entwickler der Autopiloten. Allerdings glauben die Versicherer nicht daran, dass es vollständig selbstfahrende Auto geben wird. Ein Fahrer werde auch künftig einen Führerschein brauchen, und das Gefährt im Notfall oder in Situationen wo es nötig ist, kontrollieren zu können.
Sicherlich auch, um Kunden mit immer ausgereifteren Extras zu locken. Doch daneben spielt auch die mögliche Konkurrenz durch andere Spieler eine Rolle. So arbeitet etwa auch der Internetkonzern Google seit einigen Jahren an selbstfahrenden Autos.
Sie haben viel Zeit und Geld in die autonomen Funktionen investiert, in Umfragen sind die Kunden derzeit aber noch skeptisch. Entwickeln die Autobauer da an der Nachfrage vorbei?
Hafner: Ich kenne mindestens so viele Studien, in denen die Kunden dem autonomen Fahren sehr offen gegenüber stehen wie umgekehrt. Daher bin ich fest davon überzeugt, dass entsprechende Systeme nachgefragt werden. Oft ändert sich die Einstellung zu Neuem sehr schnell, wenn man es live erleben und die Vorzüge kennen und schätzen lernen konnte. Das wird beim autonomen Fahren sicher auch so sein. Unsere Aufgabe auf dem Weg dahin ist es nun, die Technik solide zu entwickeln und sicher zu gestalten – nur so werden die Kunden und die Gesellschaft das Vertrauen gewinnen, dem Fahrzeug zunehmend das Fahren selbst zu überlassen.
Nicht nur bei den Fahrassistenten geht in der E-Klasse eine neue Generation an den Start, sondern auch unter der Haube. Wieso erfolgt der Wechsel von V6- auf die Reihenmotoren?
Michael Kelz: Aus Verbrauchsgründen geht der Trend heute stark in Richtung aufgeladener 4-Zylinder-Benzinmotoren. Diesem weltweiten Trend tragen wir mit unseren hoch-effizienten 4-Zylinder Benzin- und Dieselmotoren Rechnung. Natürlich werden wir auch zukünftig im Leistungsbereich über 200 kW (272 PS) weiterhin 6-Zylindermotoren anbieten. Über die technischen Details werden wir zu gegebener Zeit informieren.
Warum werden die neuen 6-Zylinder nicht mit dem Marktstart des neuen Modells verkauft?
Kelz: Weil wir uns zum Marktstart auf die zwei volumenstärksten Motoren sowohl im Markt der Privat- als auch der Flottenkunden konzentrieren. Und das sind eben die 4-Zylinder-Benziner und -Diesel mit einem Hubraum von zwei Litern.
Welche Assistenzsysteme es schon gibt und wann Roboter das Steuer komplett übernehmen
• Spurwechselassistent
• Spurhalteassistent
• Parkassistent (teilautomatisch)
Notbremsfunktion und Fußgängererkennung
• Parken per Smartphone-App
• Baustellenassistent
• Notausweichassistent
Stauassistent
• Automatischer Notausweichassistent
• Kreuzungsassistent
• Smartphonegesteuerter Einparkassistent
• Autobahnpilot (teilautomatisch)
• Autobahnchauffeur (vollautomatisch)
• Automatisches Fahren in der Stadt
• Voll automatisiertes Parken
Hochautomatisiertes Fahren (von Tür zu Tür)
Die Elektrifizierung des Antriebs schreitet beinahe unaufhaltsam voran. Ist der Plug-In-Hybrid mit heutiger Technik das bessere Elektroauto?
Kelz: Auf unserem Weg zum emissionsfreien Fahren stellt die Plug-In Hybrid Technologie in unserem Antriebsportfolio mehr als eine „Brückentechnologie“ dar. Der Plug-In Hybrid kann je nach Einsatzbereich des Fahrzeuges durchaus das „besser Elektroauto“ sein, insbesondere dann, wenn die täglichen elektrisch zu fahrenden Strecken unter rund 50 Kilometern liegen und Nachlademöglichkeiten zum Beispiel an der Arbeitsstelle gegeben sind. Die Reichweite des Plug-In Hybrids der E-Klasse beträgt rund 30 Kilometer. Aber darüber hinaus ist der Plug-In Hybrid der E-Klasse auch im „Verbrennerbetrieb“ deutlich sparsamer als ein Benziner vergleichbarer Leistung und bietet somit die volle Langstreckentauglichkeit, die man von seinem Auto gewöhnt ist.
Warum kommt diese Antriebsvariante auch erst später?
Kelz: Das ist eine ganz normale Anlauf-Planung. Um die Komplexität und Qualität im Anlauf der neuen E-Klasse optimal managen zu können, haben wir uns dazu entschieden, uns zunächst auf die vorgenannten volumenstärksten Antriebe zu konzentrieren, und den Plug-In Hybrid ein paar Monate nach der Markteinführung der E-Klasse zu bringen.