Ja, VW kann durchatmen. Vorerst. Mit dem endgültigen Segen von US-Richter Charles Breyer kann Volkswagen-Chef Matthias Müller einen Schlussstrich unter den Abgasskandal ziehen. Aber nicht den großen Schlussstrich. Es ist vielmehr eine Art Zwischensumme. Wenn auch mit 14,7 Milliarden Dollar eine sehr hohe.
Es war nur ein kleiner Schritt, schließlich hatte Richter Breyer zuvor seine Zustimmung signalisiert. Es war aber ein sehr wichtiger Schritt, da der Mega-Vergleich den Wolfsburgern einen Prozess erspart – der nochmals lange Ungewissheit und womöglich noch höhere Kosten eingebracht hätte.
Ob die 14,7 Milliarden Dollar – die höchste Wiedergutmachung, die ein Autobauer jemals in den USA gezahlt hat – nur angemessen, zu hoch oder zu niedrig ist, sei dahingestellt. Fakt ist: Andere Autobauer sind für Vergehen, die direkt mit Unfällen mit Todesfolge in Verbindung stehen, mit deutlich milderen Strafen davongekommen. Fakt ist aber auch: Kein Unternehmen hat so dreist getrickst und betrogen wie Volkswagen.
VW ist allein deshalb mit dem Deal gut bedient, weil damit an der Hauptfront Ruhe einkehrt. Die Summe ist jetzt fix – und weit entfernt von den existenzbedrohenden Strafzahlungen, die zu Beginn des Skandals durch die Welt geisterten. Zudem will sich in Wolfsburg wohl keiner ausmalen, welchen Einfluss weitere Enthüllungen auf die Summe gehabt hätten – und davon drohen dem Konzern noch einige.
Die Liste an Klagen ist lang
Da ist etwa die Klage gegen einen Ingenieur, der an der Entwicklung der Schummel-Software beteiligt gewesen sein soll. Vor einem Gericht in Detroit hatte sich James L. schuldig bekannt – er will jetzt mit den Behörden zusammenarbeiten. Welche Details hier noch bekannt werden, ist noch nicht abzusehen. Die US-Anwälte, die diverse Verbindungen zwischen Volkswagen, den Töchtern Audi und Porsche sowie dem Zulieferer Bosch nachweisen wollen, dürften sich schon freuen.
Mit der Zustimmung von Breyer können VW-Chef Müller und sein US-Statthalter Hinrich Woebcken einen Punkt auf ihrer Liste streichen. Viele andere Punkte sind aber nach wie vor offen – und das kann in der Summe nochmals teuer werden.
Die Milliarden-Buße für VW im Überblick
Der Konzern hat mit US-Klägern einen Vergleich ausgehandelt. Demnach muss VW die knapp 15 Milliarden Dollar für verschiedene Dinge ausgeben: für einen Umweltfonds und die Förderung von emissionsfreien Autos etwa. Der weitaus größte Teil wird aber an Kunden fließen, die in den USA einen manipulierten VW oder Audi besitzen.
Die reine Entschädigung für Autobesitzer soll zwischen 5100 und knapp 10.000 Dollar pro Fahrzeug liegen. Das kommt darauf an, wie alt das Auto ist. Zusätzlich muss der Konzern den Kunden anbieten, ihre Autos zurückzukaufen. Die Diesel-Besitzer sollen dabei so viel Geld bekommen, wie ihr Auto vor Bekanntwerden der Manipulationen wert war.
Jein. Generell haben US-Kunden eine Wahlmöglichkeit: Entweder Rückruf mit einer Nachbesserung oder Rückkauf, also Rückgabe. Diese Varianten stehen in Deutschland und Europa nicht zur Auswahl. Dafür hat der Rückruf hierzulande schon begonnen und in den nächsten Wochen soll er weiter Fahrt aufnehmen, so dass zum Jahresende alle 2,5 Millionen Diesel in Deutschland nachgebessert sein könnten. In den USA hat VW bis Mai 2018 Zeit, um sich technische Nachbesserungslösungen von den Behörden absegnen zu lassen. Das gilt dort als deutlich kniffliger.
Wahrscheinlich nicht viel. Volkswagen hat wiederholt betont, dass eine Entschädigung wie in den USA in Europa und damit auch in Deutschland nicht infrage komme. Vorstandschef Matthias Müller selbst hat das mehrfach ausgeschlossen. Verbraucherschützer kritisieren, dass Kunden in den USA mehr bekommen sollen. Einige Anwaltskanzleien haben sich zum Ziel gesetzt, auch für betroffene Autobesitzer in Europa Schadenersatz zu erstreiten. Die Erfolgsaussichten sind aber aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme ungewiss.
Nein. Zum einen müssen sich nicht alle Kläger in den USA einem Vergleichsvorschlag anschließen und können individuell weiter klagen. Auch von drei US-Bundesstaaten sind inzwischen Klagen eingegangen. Zum anderen muss VW auch außerhalb der USA viele Verfahren bewältigen. In Deutschland fordern ebenfalls Kunden Entschädigungen oder Rückkäufe. Gerichte haben hier in ersten Instanzen unterschiedlich geurteilt. Zudem fühlen sich zahlreiche VW-Aktionäre von dem Konzern zu spät über die Manipulationen informiert. Sie wollen sich Kursverluste erstatten lassen.
Mit den VW-Vertragshändlern, die sich vom Konzern betrogen fühlten und denen durch den Rufschaden und den Diesel-Verkaufsstopp Einnahmen entgangen sind, hat sich VW auf einen Vergleich von 1,2 Milliarden Dollar geeinigt. Richter Breyer hat das vorläufig gebilligt, besiegelt ist der Deal aber noch nicht: Im Januar geht es vor Gericht weiter.
Die VW-Anwälte werden Breyer aber deutlich früher wiedersehen. Am 3. November muss der Konzern konkrete Pläne für den Rückruf der rund 80.000 Dieselautos mit dem 3,0-Liter-Diesel vorlegen – der 14,7-Milliarden-Deal gilt nur für die 475.000 Autos mit 2,0-Liter-Motor.
VW hat bislang verlauten lassen, dass aus Konzern-Sicht ein recht einfaches Update reicht, damit die Autos dem US-Recht entsprechen. Folgt Breyer dieser Ansicht nicht, könnte es noch teurer werden: Der große V6-Diesel wird in Autos wie dem Porsche Cayenne, Audi Q7 und VW Touareg eingebaut. Ein Rückkauf wie bei den 2,0-Liter-Modellen wäre ungleich kostspieliger. In Medien wird bereits über niedrige Milliarden-Summen spekuliert.
Wo sonst noch Milliarden-Zahlungen drohen
Nächste Baustelle: die US-Bundesstaaten. Mit 43 Bundesstaaten und Verwaltungsbezirken hatte sich VW im Juni auf eine Zahlung von 570 Millionen Dollar geeinigt. Dabei ging es um irreführende Geschäftspraktiken. Seit dem haben aber einige Staaten erneut geklagt. Dieses Mal wegen Verstößen gegen ihre Umwelt- und Verbrauchergesetze. Die Forderungen gehen abermals in den Milliardenbereich.
Neben den zivilrechtlichen Auseinandersetzungen laufen auch noch strafrechtliche Ermittlungen des Justizministeriums. Laut eines Berichts des „Wall Street Journal“ vom Sommer strebt VW auch hier eine außergerichtliche Einigung an, im Raum stehen wohl erneut 1,2 Milliarden Dollar.
Welche Modelle unter den Diesel-Vergleich fallen
Baujahre 2013-2015
Baujahre 2010-2015
Baujahre 2009-2015
Baujahre 2012-2015
Baujahre 2010-2013 und 2015
Über allem schwebt noch die Frage nach der persönlichen Verantwortung. In Deutschland ermittelt die Staatsanwaltschat Braunschweig gegen 21 Personen und gibt an, inzwischen ein „recht gutes Bild“ von der Entstehung des Skandals zu haben. Offen ist noch, was der Vorstand wann wusste. Einen eindeutigen Beleg über eine Mitwisserschaft gibt es aber wohl nicht.
US-Anwälte sehen das anders. Sie werfen Konzernchef Müller und seinem Vorgänger Martin Winterkorn vor, früh von den Schummeleien gewusst zu haben. Müller soll demnach schon 2006 als damaliger Audi-Manager zumindest gewusst haben, dass es Probleme gab, die US-Abgasnormen einzuhalten. Andere Quellen besagen, dass Porsche bereits vor einigen Jahren über die Probleme bei dem Drei-Liter-Diesel informiert wurde. Porsche-Chef war damals Matthias Müller. Das Unternehmen hat stets beteuert, die heutige und frühere Konzernspitze hätten nichts von den illegalen Tricksereien gewusst.
Ob das so ist, wird sich in einem der unzähligen Prozesse wohl noch erweisen – ob in den USA oder irgendwo anders auf der Welt. Es laufen noch so viele Klagen, Prozesse und Verhandlungen, dass sich eine Gesamtsumme auch nach über einem Jahr nicht abschätzen lässt. Ein großer Posten ist jetzt erledigt. Mehr aber auch nicht, denn viele andere kommen noch.
Von einem Schlussstrich ist VW noch weit entfernt.