Milliarden-Vergleich im VW-Dieselskandal Die Einigung reicht nicht

Der Weg ist frei für den größten Vergleich der Autogeschichte: US-Richter Breyer hat seine finale Zustimmung zum Milliarden-Vergleich mit den US-Klägern gegeben. Ausgestanden ist der Skandal aber damit noch lange nicht.

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VW-Händler in Kalifornien Quelle: REUTERS

Ja, VW kann durchatmen. Vorerst. Mit dem endgültigen Segen von US-Richter Charles Breyer kann Volkswagen-Chef Matthias Müller einen Schlussstrich unter den Abgasskandal ziehen. Aber nicht den großen Schlussstrich. Es ist vielmehr eine Art Zwischensumme. Wenn auch mit 14,7 Milliarden Dollar eine sehr hohe.

Es war nur ein kleiner Schritt, schließlich hatte Richter Breyer zuvor seine Zustimmung signalisiert. Es war aber ein sehr wichtiger Schritt, da der Mega-Vergleich den Wolfsburgern einen Prozess erspart – der nochmals lange Ungewissheit und womöglich noch höhere Kosten eingebracht hätte.

Ob die 14,7 Milliarden Dollar – die höchste Wiedergutmachung, die ein Autobauer jemals in den USA gezahlt hat – nur angemessen, zu hoch oder zu niedrig ist, sei dahingestellt. Fakt ist: Andere Autobauer sind für Vergehen, die direkt mit Unfällen mit Todesfolge in Verbindung stehen, mit deutlich milderen Strafen davongekommen. Fakt ist aber auch: Kein Unternehmen hat so dreist getrickst und betrogen wie Volkswagen.

VW ist allein deshalb mit dem Deal gut bedient, weil damit an der Hauptfront Ruhe einkehrt. Die Summe ist jetzt fix – und weit entfernt von den existenzbedrohenden Strafzahlungen, die zu Beginn des Skandals durch die Welt geisterten. Zudem will sich in Wolfsburg wohl keiner ausmalen, welchen Einfluss weitere Enthüllungen auf die Summe gehabt hätten – und davon drohen dem Konzern noch einige.

Die Liste an Klagen ist lang

Da ist etwa die Klage gegen einen Ingenieur, der an der Entwicklung der Schummel-Software beteiligt gewesen sein soll. Vor einem Gericht in Detroit hatte sich James L. schuldig bekannt – er will jetzt mit den Behörden zusammenarbeiten. Welche Details hier noch bekannt werden, ist noch nicht abzusehen. Die US-Anwälte, die diverse Verbindungen zwischen Volkswagen, den Töchtern Audi und Porsche sowie dem Zulieferer Bosch nachweisen wollen, dürften sich schon freuen.

Mit der Zustimmung von Breyer können VW-Chef Müller und sein US-Statthalter Hinrich Woebcken einen Punkt auf ihrer Liste streichen. Viele andere Punkte sind aber nach wie vor offen – und das kann in der Summe nochmals teuer werden.

Die Milliarden-Buße für VW im Überblick

Mit den VW-Vertragshändlern, die sich vom Konzern betrogen fühlten und denen durch den Rufschaden und den Diesel-Verkaufsstopp Einnahmen entgangen sind, hat sich VW auf einen Vergleich von 1,2 Milliarden Dollar geeinigt. Richter Breyer hat das vorläufig gebilligt, besiegelt ist der Deal aber noch nicht: Im Januar geht es vor Gericht weiter.

Die VW-Anwälte werden Breyer aber deutlich früher wiedersehen. Am 3. November muss der Konzern konkrete Pläne für den Rückruf der rund 80.000 Dieselautos mit dem 3,0-Liter-Diesel vorlegen – der 14,7-Milliarden-Deal gilt nur für die 475.000 Autos mit 2,0-Liter-Motor.

VW hat bislang verlauten lassen, dass aus Konzern-Sicht ein recht einfaches Update reicht, damit die Autos dem US-Recht entsprechen. Folgt Breyer dieser Ansicht nicht, könnte es noch teurer werden: Der große V6-Diesel wird in Autos wie dem Porsche Cayenne, Audi Q7 und VW Touareg eingebaut. Ein Rückkauf wie bei den 2,0-Liter-Modellen wäre ungleich kostspieliger. In Medien wird bereits über niedrige Milliarden-Summen spekuliert.

Wo sonst noch Milliarden-Zahlungen drohen

Nächste Baustelle: die US-Bundesstaaten. Mit 43 Bundesstaaten und Verwaltungsbezirken hatte sich VW im Juni auf eine Zahlung von 570 Millionen Dollar geeinigt. Dabei ging es um irreführende Geschäftspraktiken. Seit dem haben aber einige Staaten erneut geklagt. Dieses Mal wegen Verstößen gegen ihre Umwelt- und Verbrauchergesetze. Die Forderungen gehen abermals in den Milliardenbereich.

Neben den zivilrechtlichen Auseinandersetzungen laufen auch noch strafrechtliche Ermittlungen des Justizministeriums. Laut eines Berichts des „Wall Street Journal“ vom Sommer strebt VW auch hier eine außergerichtliche Einigung an, im Raum stehen wohl erneut 1,2 Milliarden Dollar.

Welche Modelle unter den Diesel-Vergleich fallen

Über allem schwebt noch die Frage nach der persönlichen Verantwortung. In Deutschland ermittelt die Staatsanwaltschat Braunschweig gegen 21 Personen und gibt an, inzwischen ein „recht gutes Bild“ von der Entstehung des Skandals zu haben. Offen ist noch, was der Vorstand wann wusste. Einen eindeutigen Beleg über eine Mitwisserschaft gibt es aber wohl nicht.

US-Anwälte sehen das anders. Sie werfen Konzernchef Müller und seinem Vorgänger Martin Winterkorn vor, früh von den Schummeleien gewusst zu haben. Müller soll demnach schon 2006 als damaliger Audi-Manager zumindest gewusst haben, dass es Probleme gab, die US-Abgasnormen einzuhalten. Andere Quellen besagen, dass Porsche bereits vor einigen Jahren über die Probleme bei dem Drei-Liter-Diesel informiert wurde. Porsche-Chef war damals Matthias Müller. Das Unternehmen hat stets beteuert, die heutige und frühere Konzernspitze hätten nichts von den illegalen Tricksereien gewusst.

Wo VW überall zur Kasse gebeten wird
Italien will bis zu fünf Millionen EuroVW muss in Italien wegen des Abgasskandals um Dieselfahrzeuge bis zu fünf Millionen Euro Strafe zahlen. Es gehe um Verkäufe von Autos auf dem italienischen Markt ab 2009, bei denen die Zulassung durch Softwaremanipulationen erreicht worden war, teilte die italienische Wettbewerbsbehörde mit. Es habe einen schweren Verstoß gegen die professionelle Sorgfalt gegeben und Kunden hätten mit den realen Daten womöglich eine andere Kaufentscheidung getroffen. Laut früheren Meldungen sind in Italien knapp 650.000 Volkswagen von dem Skandal betroffen. Quelle: dpa
Bayern will bis zu 700.000 Euro Quelle: dpa
Entschädigungen für Aktionäre und Anleger: 1 bis 8 Milliarden Euro Quelle: dpa
Kundenentschädigungen von bis zu 10 Milliarden Euro Quelle: dpa
Rückrufe und Entschädigungen in Europa und dem Rest der Welt: bis zu 4,5 Milliarden Euro Quelle: dpa
Rückrufe und Nachrüstung in Europa Quelle: dpa
Mögliche Wertminderung von VW-Fahrzeugen: 0,5 Milliarden EuroIst ein VW-Diesel-Fahrzeug nach der Umrüstung noch genauso viel wert wie vorher und erzielt es als Gebrauchtwagen denselben Preis wie vor dem Skandal? Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt, doch das Risiko, dass die VW-Fahrzeuge im Wert fallen, ist gegeben. Die VW-Tochter Financial Services, die für 1,2 Millionen Leasing-Fahrzeuge zuständig ist, hat vorsorglich die Rücklagen für mögliche Wertverluste nach oben korrigiert. Quelle: dpa

Ob das so ist, wird sich in einem der unzähligen Prozesse wohl noch erweisen – ob in den USA oder irgendwo anders auf der Welt. Es laufen noch so viele Klagen, Prozesse und Verhandlungen, dass sich eine Gesamtsumme auch nach über einem Jahr nicht abschätzen lässt. Ein großer Posten ist jetzt erledigt. Mehr aber auch nicht, denn viele andere kommen noch.

Von einem Schlussstrich ist VW noch weit entfernt.



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