„Wir werden weiter rücksichtslos in unseren Entscheidungen sein und nicht Geschäfte, Märkte oder Gelegenheiten verfolgen, die für uns keinen überzeugenden Gewinn abwerfen.“ Als der General-Motors-Aufsichtsratschef Dan Ammann diesen Satz vor einigen Wochen sagte, war es wohl als Begründung gedacht, warum sich GM 2015 aus Russland zurückgezogen und die Produktion in Australien gekappt hatte.
Und Ammann meint seine Aussage ernst. Wie sich abzeichnet, verhandelt General Motors bereits seit dem Frühjahr 2016 mit der französischen PSA-Gruppe. Die „strategischen Maßnahmen“, von denen GM und PSA noch am Dienstag gesprochen hatten, sind offenbar bereits sehr konkret. Laut „Handelsblatt“ ist bereits eine US-Kanzlei beauftragt, die Vertragsdetails auszuarbeiten. Bei ihrem Besuch in Rüsselsheim am Mittwoch soll GM-Chefin Mary Barra vor Opel-Führungskräften den Verkauf als erklärtes Ziel der Verhandlungen genannt haben.
Für Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries ist die Übernahme des deutschen Autobauers Opel durch Peugeot ausgemachte Sache. "Ich gehe davon aus, dass das stattfindet", sagte Zypries. Sie wolle aber nicht von Übernahme, sondern von einem Zusammenschluss sprechen, fügte sie hinzu. Gespräche mit den Firmenchefs von GM und Peugeot habe es inzwischen gegeben. "Ich persönlich nicht, aber es wurden Gespräche geführt", sagte sie.
Hintergründe zur PSA Group
Der vom Staat gestützte französische Autobauer PSA Peugeot Citroën hat im vergangenen Jahr weltweit über 3,1 Millionen Fahrzeuge abgesetzt. Der französische VW-Konkurrent mit den Marken „Peugeot“, „Citroën“ und „DS“ sieht sich in Europa schon länger als Branchenzweiter.
Konzernchef Carlos Tavares fuhr in den vergangenen Jahren einen harten Sanierungskurs unter anderem mit Werkschließungen und Jobabbau. Um das vor drei Jahren stark angeschlagene Unternehmen zu retten, schoss unter anderem der französische Staat Geld zu und hielt zuletzt rund 14 Prozent der Anteile.
Auch der staatlich kontrollierte chinesische Hersteller Dongfeng stieg 2014 bei dem Traditionsunternehmen mit 14 Prozent ein. Der Einfluss der Peugeot-Familie sank im Zuge der Sanierung hingegen beträchtlich.
Der Umsatz betrug im vorvergangenen Jahr 54,7 Milliarden Euro; neuere Jahreszahlen liegen nicht vor. Der Konzern beschäftigte 184.000 Mitarbeiter.
Unlängst schaltete die französische Antibetrugsbehörde nach Untersuchungen zu Diesel-Abgasen bei PSA die Justiz ein. Ein entsprechendes Dossier ging an die Staatsanwaltschaft. Es liegt nun an der Justiz, über eventuelle Folgen zu entscheiden. Der Konzern betonte, er habe seine Fahrzeuge niemals mit Betrugs-Software ausgestattet.
Rentable Geschäfte statt schiere Größe um jeden Preis – damit liegen Ammann und der potenzielle Opel-Käufer Carlos Tavares auf einer Linie. Der Portugiese, der den Gemeinschaftskonzern von Peugeot und Citroën seit 2014 führt, hat den damals verlustreichen Autobauer umgebaut und voll auf Effizienz getrimmt:
- Überkapazitäten in der Produktion wurden abgebaut, dem fiel unter anderem das Werk Aulnay mit über 3.000 Beschäftigten zum Opfer.
- Auch in der Verwaltung wurden Arbeitsplätze abgebaut. In der Summe sind 10.000 Jobs verschwunden.
- Das Modellangebot von Peugeot und Citroën hat Tavares neu aufgestellt. In Deutschland und Frankreich beliebte Cabrios wie der Peugeot 207 CC wurden ersatzlos gestrichen. Cabrios sind fast nur in Europa gefragt und laut Tavares könne es sich PSA nicht leisten, Modelle nur für einen Kontinent zu entwickeln.
- Übermäßig teure Investitionen, die sich nicht schnell rentieren – etwa in die Elektromobilität – hat Tavares dabei hinten angestellt.
Opels Produktionsstandorte in Europa
Am Opel-Hauptsitz arbeiten 14.850 Beschäftigte, davon gut die Hälfte im Entwicklungszentrum. Die Produktion hat rund 3000 Arbeitnehmer. Sie bauen den Mittelklassewagen Insignia in mehreren Varianten, den Zafira sowie Getriebe und Komponenten.
Quelle: Reuters, Stand: 19. April 2018
Der Standort in Rheinland-Pfalz hat 2130 Beschäftigte. Sie produzieren Motoren und Fahrwerkskomponenten.
In Thüringen laufen die Kleinwagen Corsa und Adam vom Band. Im Werk Eisenach arbeiten 1790 Menschen.
In dem polnischen Werk sind knapp 3050 Mitarbeiter beschäftigt. Sie bauen den Kompaktwagen Astra und das Cabrio Cascada und den Sportwagen Opel GTC. In Tychy stellen 400 Beschäftigte Motoren her.
In dem spanischen Standort bei Saragossa laufen Corsa, Meriva, der SUV Mokka und der Stadtgeländewagen Crossland X vom Band. Der Standort hat 5170 Arbeitsplätze.
Im Werk Ellesmere Port arbeiten 1470 Beschäftigte. Hier werden ebenfalls Astra-Modelle produziert.
Der Standort Luton nördlich von London hat 1240 Arbeitnehmer und baut den Kleintransporter Vivaro.
In dem österreichischen Werk nahe Wien arbeiten 1330 Menschen. Dort werden Motoren und Getriebe hergestellt.
Die Fabrik in Ungarn produziert mit 1160 Arbeitnehmern Motoren und Komponenten.
Das Ergebnis: Nach drei Verlustjahren schreibt PSA wieder schwarze Zahlen, alleine im ersten Halbjahr 2016 lag der um Sondereffekte bereinigte operative Gewinn bei 1,8 Milliarden Euro – die Bilanz für das Gesamtjahr liegt noch nicht vor.
Wenn Tavares jetzt bei Opel zugreift, dürfte dabei aber nicht der Effizienzgedanke im Vordergrund stehen: Im ersten Halbjahr 2016, als Opel vor dem Brexit-Votum noch auf Gewinnkurs war, verdienten die Rüsselsheimer laut dem CAR-Institut 190 Euro pro Auto – bei Peugeot und Citroën waren es hingegen 840 Euro.
Stattdessen hat Tavares ein anderes Ziel: Nach drei Jahren der Sanierung will er auf Expansionskurs gehen – und die Machtverhältnisse auf dem europäischen Automarkt verschieben.
Der sich anbahnende Verbund aus PSA und Opel dürfte auf mehr als vier Millionen Fahrzeuge pro Jahr kommen. Hinter dem Marktführer Volkswagen hätte Tavares eine neue Nummer zwei in Europa erschaffen – und seinen früheren Arbeitgeber und französischen Dauerkonkurrenten Renault-Nissan überholt.
Offensichtlich folgt Tavares jetzt jener Logik, die Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn seit Jahren vorantreibt: Nach einer grundlegenden Sanierung der beiden kränkelnden Firmen Ende der 1990er Jahre, ist Renault-Nissan zu einem Global Player expandiert, der mit ähnlichen Modellen unterschiedlicher Marken international vertreten ist.
Auch in Frankreich gibt es Einwände
Kein Wunder, dass der PSA-Vorstoß in Frankreich deutlich positiver aufgenommen wird als in Deutschland, wo die erneute Furcht um Opel und die Arbeitsplätze groß ist. In Frankreich wird die Annäherung als sinnvoll betrachtet, da Opel in Deutschland und die Opel-Schwestermarke Vauxhall in Großbritannien gut verankert seien. Zudem habe man bei PSA Vertrauen in die Fähigkeiten des Chefs und „Zauberers“ Carlos Tavares, die Opel-Fabriken in Geld-Maschinen zu verwandeln, schreibt die Tageszeitung „Le Monde“. Ohne harte Einschnitte an den Standorten Rüsselsheim, Kaiserslautern, Eisenach und den anderen europäischen Werken wird das aber nicht gehen. Als Vorteil gilt auch, dass sich PSA und die Opel-Muttergesellschaft GM seit Jahren kennen.
Einwände gibt es natürlich auch in Frankreich. Der Griff über den Rhein werde an der Schwäche von Peugeot Citroën auf den Märkten außerhalb Europas nichts ändern, lautet die Kritik. Außerdem dürfte es schwierig werden, die ganzen Marken der Gruppe nebeneinander zu führen, ohne dass diese sich gegenseitig Konkurrenz machten. „500.000 Fahrzeuge könnten verschwinden“, zitiert „Le Monde“ einen Automobilexperten, der die Verkäufe des neuen Verbundes im Blick hat. Eine Sorge, die geteilt wird.
Auch der deutsche Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer schätzt, dass PSA von Opel „nicht viel mehr als eine Hülle“ übriglassen werde. Sprich: Die Opel-Werke werden in den PSA-Produktionsverbund eingegliedert und können am Ende beliebige Autos der Konzern-Plattformen bauen – egal ob Opel, Peugeot, Citroën oder DS.
Für Fiat-Chrysler zählt vor allem die Größe
Während sich die deutsche Politik angesichts des drohenden Rotstifts bei Opel im Zweckpragmatismus übt und von einer möglichen „Win-Win-Situation“ (Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee) spricht, dürfte die Konkurrenz die Machtverschiebung auf Europas Automarkt nicht so einfach hinnehmen.
Da ist zum einen der potenziell entthronte Branchenvize Renault-Nissan, der die innerfranzösische Konkurrenz nicht von dannen ziehen lassen will – aktuell wird Carlos Ghosn aber keine akute Expansionslust nachgesagt.
Anders sieht es bei Fiat-Chrysler (FCA) aus. Dessen italo-kanadischer Chef Sergio Marchionne gilt – anders als GM-Aufsichtsrat Ammann – als Verfechter des „size matters“-Ansatzes. Marchionne hat in der Finanzkrise die Chance genutzt, seinen Fiat-Konzern mit der Chrysler-Fusion auf die internationale Bühne zu bringen. Laut Marchionne werden langfristig nur „vier oder fünf“ globale Autokonzerne bestehen können – der Rest wird aufgekauft oder verschwindet vom Markt.
Bei General Motors ist Marchionne mehrfach mit seinen Fusionsgedanken zu einem amerikanischen Super-Autobauer abgeblitzt. Locker lässt der FCA-Chef aber noch lange nicht. Er will seine Ideen eine Nummer kleiner umzusetzen: Zuletzt gab es in Frankreich Gerüchte um eine mögliche Autoehe zwischen Fiat-Chrysler und PSA. Da Opel und FCA laut den Zahlen des europäischen Branchenverbands ACEA beide einen Marktanteil von 6,7 Prozent haben, hätte PSA auch mit den Italienern zur Nummer zwei aufsteigen können – und sich über das Chrysler-Geschäft auch Zugang zum amerikanischen Markt gesichert.
Doch Tavares hat sich für die sichere Variante mit dem langjährigen Kooperationspartner General Motors entschieden. Gerüchten zufolge könnte das wiederum Marchionne dazu veranlassen, seinerseits für Opel zu bieten. Damit könnte Fiat-Chrysler seinerseits mit dann 13,4 Prozent zur Nummer zwei Europas aufsteigen. Einige Punkte, die bei einer Übernahme für PSA ein Vorteil wären – etwa der Marktzugang in Deutschland und Großbritannien – gilt auch für FCA. Noch ist allerdings von einer solchen Offerte nichts bekannt.
Wie groß die Chancen eines zweiten Angebots für Opel an General Motors wären, ist unklar. Zahlen-Mensch Ammann wäre einem Bieter-Duell sicher nicht abgeneigt – solange der Preis steigt. Doch dann müsste es schnell gehen: Angeblich soll in den kommenden zwei Wochen der Rahmen für die PSA-Übernahme geschaffen werden.