Mutmaßliches Auto-Kartell Wie wir unsere Branchen kaputtreden

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Die Compliance-Systeme haben funktioniert

Es ist unangebracht, auf Basis einer solchen Enthüllung eine ganze Branche niederzuschreiben und das Urteil gleich mit dem Vorwurf selbst mitzuliefern. Das soll das mutmaßliche Fehlverhalten der Absprachen keineswegs entschuldigen – was illegal war, muss auch gesühnt werden.

Es ist in der Medienbranche geradezu ein Trend, Schlagzeilen soweit zuzuspitzen, dass sie oft missverständlich werden oder einfach über das Ziel hinausschießen. Da werden Skandale und Affären herbeigeschrieben, die zumindest fragwürdig sind – etwa der „Gaspedalskandal“ bei Toyota 2009.

Die Japaner zahlten eine Milliardenstrafe – und am Ende entlasteten Elektronik-Spezialisten der Nasa den Autobauer, wonach etliche Unfälle auf Fehler der Fahrer zurückzuführen seien und nicht auf einen technischen Fehler am Gaspedal. Dennoch waren die US-Medien über Monate mit Schreckensbildern gefüllt, die Toyota-Verkäufe in den USA ließen in jener Zeit stark nach.

Und bei anderen Skandalen, etwa den defekten Airbags von Takata, ist selbst die Insolvenz des japanischen Zulieferers inzwischen nur noch eine Randnotiz – und was wurde nicht alles über die tödlichen Lebensretter in Millionen Autos berichtet.

Ähnliches deutet sich in dem aktuellen Kartell-Fall an. Die Sau wird durchs Dorf getrieben, ganze Konzerne aufgrund des potenziellen Fehlverhaltens weniger Mitarbeiter stigmatisiert, „es könnte einer der größten Kartellfälle der deutschen Wirtschaftsgeschichte werden“. Und in einigen Jahren dann, wenn sich die Kartell-Ermittler durch Unmengen von Akten und Zeugenaussagen gewühlt haben, ist das Thema in den Medien durch.

Ein Beispiel für den Kampagnen-Charakter der aktuellen Berichterstattung: Ein wichtiger Aspekt wird in den Artikeln des „Spiegel“ zwar erwähnt, er ist sogar der Kernpunkt der Berichterstattung. Einen genauso wichtigen Teil der Erkenntnis daraus unterschlägt das Magazin jedoch: Die Geschichte basiert auf der Selbstanzeige von VW, auch Daimler hat eine solche eingereicht.

Wie die „Süddeutsche Zeitung“ inzwischen berichtet, soll bei VW ein ganz anderer Fall der Auslöser gewesen sein: Im Juni 2016 durchsuchten Ermittler Räume von VW, Daimler, BMW und den Zulieferern Bosch und ZF wegen möglicher Preisabsprachen beim Stahl. Infolge dessen sollen die Wolfsburger dann intern ermittelt und verdächtige Mails gefunden haben. Darauf soll es zur Selbstanzeige beim Kartellamt gekommen sein.

Daimler soll hingegen schon 2011 Konsequenzen gezogen haben. In diesem Jahr ist das Lkw-Kartell aufgeflogen, Daimler musste 1,1 Milliarden Euro wegen Preisabsprachen bei Lkw zahlen. Seinerzeit führte Daimler bestimmte Lehrgänge ein, in denen Juristen dem Mitarbeiter erklärten, was zulässig sei und was nicht. Wie die „SZ“ unter Berufung auf zwei Insider schreibt, soll Daimler daraufhin angefangen haben, sich aus den Geheimtreffen der „5er-Kreise“ zurückzuziehen.

Soll heißen: Die inzwischen eingeführten Compliance-Systeme haben gewirkt. Sogar in der vermeintlich so korrupten Autobranche. Wenn das mal keine Meldung wert ist.

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