Das lief anders als geplant: Eigentlich wollte Daimler am Dienstagabend mit der Premiere eines neuen Modells in die Schlagzeilen: In Südafrika stellten die Stuttgarter die X-Klasse vor, der erste Pick-up der Marke. Doch anstatt über Sinn und Unsinn eines Pritschenwagens mit Stern im Kühlergrill zu diskutieren, dominiert eine andere Nachricht: Daimler holt drei Millionen Autos in die Werkstätten, um deren Abgasverhalten zu verbessern.
Daimler – der Konzern, der stets am lautesten betont hatte, dass in Stuttgart-Untertürkheim nicht getrickst werde. Von einem (teilweisen) Schuldeingeständnis will man in der Unternehmenszentrale aber trotz der millionenfachen Service-Aktion nichts wissen. „Die öffentliche Debatte um den Diesel sorgt für Verunsicherung – allen voran bei den Kundinnen und Kunden“, sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche. „Wir haben uns deshalb für weitere Maßnahmen entschieden, um den Dieselfahrern wieder Sicherheit zu geben und um das Vertrauen in die Antriebstechnologie zu stärken.“
Dass Daimler ausgerechnet jetzt den Quasi-Rückruf bekannt gibt, kommt nicht von ungefähr: Die Druck wurde zuletzt immer größer. Laut verschiedenen Medienberichten vermuten die Stuttgarter Staatsanwälte, dass Daimler bei den Abgaswerten von mehr als einer Million Autos getrickst haben könnte. Das Kraftfahrt-Bundesamt will im Auftrag des Verkehrsministeriums weitere Daimler-Diesel testen – mehrere Modelle waren bereits auffällig und werden mit einem Software-Update versehen. Und nicht zuletzt verhandelt ein Gericht in der baden-württembergischen Landeshauptstadt am Mittwoch über mögliche Fahrverbote für ältere Dieselautos.
Die Diskussion um den dreckigen oder sauberen Diesel reißt nicht ab. Was bringen die Nachrüstungen wirklich? Und ist der saubere Diesel überhaupt möglich?
Daimler und Audi haben bereits saubere Diesel
Während es bei der ersten Frage komplex wird, ist die zweite einfach zu beantworten: mit einem Ja. Den Beweis dafür liefert unter anderem ausgerechnet Daimler. In einem Straßentest der betont kritischen Deutschen Umwelthilfe (DUH) haben ein Audi A5 Sportback mit Zwei-Liter-Diesel und eine neue Mercedes E-Klasse, ebenfalls mit einem Zwei-Liter-Diesel, mit je 40 und 43 Milligramm Stickoxid pro Kilometer die Grenzwerte klar eingehalten. Vorgeschrieben ist ein Maximum von 80 Milligramm auf dem Prüfstand, auf der Straße dürfen sie vorerst um den Faktor 2,1 höher liegen, also bei 168 Milligramm pro Kilometer.
Dass die E-Klasse den Grenzwert so locker einhält, liegt an einem komplett neuen Dieselmotor. In der 2016 vorgestellten Business-Limousine arbeitet der OM654, beim Vorgänger und den meisten anderen Modellen kommt als Vierzylinder-Diesel noch der ältere OM651 zum Einsatz. Dieser gehört – neben dem Sechszylinder-Diesel OM642 – zu den beiden Motoren, die die Stuttgarter Staatsanwälte im Verdacht haben.
Dass der OM654 jetzt plötzlich zu den saubersten Diesel-Aggregaten auf dem Markt zählt, liegt weniger an dem verkleinerten Hubraum (2,14 auf 1,95 Liter), den leichteren Stahlkolben oder dem gewichtsparenden Motorblock aus Voll-Aluminium – sondern an einer von Grund auf neu entwickelten Abgasnachbehandlung.
Wie die Adblue-Technik funktioniert
Verbrennt Diesel in Motoren, entstehen Rußpartikel und Stickoxide. Die Partikel dringen in die Lunge ein und können Krebs verursachen, Stickoxide reizen die Schleimhäute der Atemwege und Augen und erhöhen das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Sie fördern zudem die Ozonbildung. Damit möglichst wenig der Schadstoffe in die Umwelt gelangt, werden in modernen Fahrzeugen die Abgase in zwei oder drei Stufen gereinigt – zumindest in der Theorie.
Ist die Verbrennungstemperatur im Motor hoch, entstehen wenig Partikel, aber viel Stickoxide. Bei niedrigen Temperaturen ist es umgekehrt.
Der erste Katalysator filtert rund 95 Prozent der Rußpartikel heraus.
Sensoren messen die Stickoxidkonzentration im Abgas. Die Kontrolleinheit spritzt entsprechend Adblue (Harnstofflösung) in den zweiten Katalysator.
Das Adblue reagiert im zweiten Katalysator – das Verfahren heißt selektive katalytische Reduktion (SCR) – zu harmlosem Wasser und Stickstoff. Mehr als 95 Prozent der Stickoxide werden so entfernt.
Nicht alle modernen Dieselfahrzeuge verfügen über die effektive, aber teure Adblue-Technik. Eine Alternative ist der NOx-Speicherkatalysator. Darin werden auf Edelmetallen wie Platin und Barium die Stickoxide gespeichert. In regelmäßigen Abständen wird der Speicherkatalysator freigebrannt, dabei werden die Stickoxide zu unvollständig verbrannten Kohlenwasserstoffen – und/oder Kohlenstoffmonoxid – weiter reduziert. Zum Teil werden auch SCR- und NOx-Speicherkatalysatoren kombiniert – wie etwa im BMW X5.
Spritkonsum, CO2 und vor allem Feinstaub machen den Motorenentwicklern keine Sorgen. Das Diesel-Problem sind die Stickoxide, kurz NOx, die sich wirklich effizient nur mit einem SCR-Katalysator reduzieren lassen (SCR steht für das Verfahren „selective catalytic reduction“, das unter dem Namen „AdBlue“ vermarktet wird). Das Problem: Das System muss regelmäßig mit AdBlue, also Harnstoff, befüllt werden und nimmt relativ viel Platz weg. Deswegen wird die Technik in der Regel entlang des Abgasstrangs unter dem Auto verbaut – bei Mercedes in etwa auf Höhe der Vordersitze.
Bereits vor knapp sechs Jahren – lange vor Bekanntwerden des VW-Dieselskandals – haben die Ingenieure erkannt, dass diese Einbaulage alles andere als ideal ist. Die Abgasnachbehandlung braucht eine gewisse Temperatur, um richtig zu funktionieren. Deshalb wurden beim OM654 die Positionen des Partikelfilters und AdBlue-Systems verlegt – weg vom exponierten Unterboden, hinein in den warmen Motorraum. Das ganze System, das im Bild oben zu sehen ist, schließt sich jetzt direkt an den Motor an – zwischen dem Turbolader und dem ersten Filter liegen nur wenige Zentimeter.
Die Wirkung von Software-Updates ist umstritten
Das hat noch einen weiteren Vorteil: Als der SCR-Katalysator Teil des Abgasstrangs war, musste er an jedes einzelne Modell genau angepasst werden, damit er bestmöglich funktioniert. Eine kompakte A-Klasse hat nun mal einen kürzeren Abgasstrang als eine S-Klasse oder ein großes SUV. Obwohl mitunter derselbe Motor verbaut wird, sitzt das SCR-System an einer anderen Position, was aufwändige Nacharbeiten nötig macht.
Ist das SCR-System aber Teil des Motors selbst, liegt der Vorteil auf der Hand: Egal wo dieser Motor in Zukunft eingebaut wird – die Abgasreinigung ist immer gleich inklusive und muss nicht an jedes Modell neu adaptiert werden. Deswegen verwundert es nicht, dass Mercedes auf Basis des OM654 gleich eine ganze Motorenfamilie plant: Für Front- und Hecktriebler, und als Drei-, Vier- und Sechszylinder. Schließlich müssen auch 2,6 Milliarden Euro Entwicklungskosten wieder eingespielt werden.
Soll heißen: Der saubere Diesel ist möglich – wenn die Hardware stimmt. Und das ist teuer bis technisch unmöglich nachzurüsten. Dennoch teilt Daimler mit, dass man bei der angekündigten Servicemaßnahme „unter anderem aktuelle Erkenntnisse aus der Entwicklung der neuen Dieselmotorfamilie“ nutzen wolle.
Daimler kalkuliert mit Kosten von 73 Euro pro Auto
Auch wenn Daimler in seiner Pressemitteilung das Wort „Software-Update“ nicht verwendet, ist klar, dass es keine neuen Bauteile geben wird. Die Kosten für die ausgeweitete Serviceaktion schätzt Daimler auf rund 220 Millionen Euro – macht etwa 73 Euro je Fahrzeug. Den Kunden sollen keine Kosten entstehen.
Über die Wirksamkeit solcher Software-Updates wird bereits seit dem VW-Skandal gestritten. Die einen berufen sich auf neue Erkenntnisse und präziser kontrollierte Brennverfahren – wenn bei der Verbrennung weniger Schadstoffe entstehen, müssen auch später weniger herausgefiltert werden. Die anderen bleiben skeptisch. „Moderne Motorsteuergeräte sind fast nicht mehr zu optimieren“, sagte etwa Wolfgang Eifler, Professor für Verbrennungsmotoren an der Ruhr-Universität Bochum, bereits 2016. „Seit fast 20 Jahren arbeiten wir an Details, nahezu jede Funktion wird für jedes Modell eigens angepasst. Bei der Motorelektronik ist das Potenzial praktisch ausgeschöpft.“
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Auch Continental-Chef Elmar Degenhart hält den sauberen Diesel für möglich – allerdings mit neuer Hardware. „Das Problem ist die Abgasnachbehandlung bei niedrigen Temperaturen“, sagte Degenhart kürzlich der „Stuttgarter Zeitung“. Was die Mercedes-Ingenieure mit der Integration in den Motor gelöst haben, will der Hannoveraner Zulieferer mit einer anderen Idee schaffen: „Wenn wir die Systeme heizen, wird das Problem kleiner.“ Entsprechende Katalysatoren habe Continental bereits im Angebot.
„Autos der Zukunft werden dramatisch teurer“
Das System funktioniere „vielleicht nicht optimal“ bei 20 Grad unter null. „Aber mit ihm lassen sich die Stickoxid-Grenzwerte bei realen Fahrbedingungen und gleichzeitig sehr kalten Temperaturen von bis zu minus sieben Grad Celsius einhalten.“
Motoren-Professor Eifler will zwar keine Zahl nennen, rechnet aber mit höheren Kosten. „Wir müssen uns keinen Illusionen hingeben: Die Autos der Zukunft werden dramatisch teurer werden“, so Eifler. „Wenn nur noch Autos mit kaum messbaren Emissionen zugelassen werden können, brauchen diese eine aufwendige Filter- und Abgastechnik. Und die ist teuer.“
Autobauer fürchten um ihre CO2-Ziele
Doch genau das wollen die Autobauer vermeiden. Wird der Diesel zu teuer und damit unattraktiv (zumindest bei Klein- und Kompaktwagen), wird es immer schwieriger, die CO2-Ziele zu erreichen. Im Jahr 2021 darf die Flotte eines Autobauers nur noch 95 Gramm CO2 ausstoßen. Deshalb gibt sich Daimler-Chef Zetsche immer noch zuversichtlich: „Wir sind davon überzeugt, dass der Diesel nicht zuletzt wegen seiner niedrigen CO2-Emissionen auch künftig ein fester Bestandteil im Antriebsmix sein wird.“
Daimler ist mit dem Grundsatzproblem nicht alleine. Nachdem in München eine Debatte über mögliche Fahrverbote entbrannt war, sagten BMW und Audi bei Beratungen mit der bayerischen Landesregierung prinzipiell zu, die Hälfte ihrer in Deutschland zugelassenen Euro-5-Dieselwagen technisch nachzurüsten. Die Hälfte sind aber nicht alle – bei den älteren Euro-5-Modellen reicht offenbar ein Software-Update nicht aus.
Jede Maßnahme wird dabei helfen, die Luft in den Städten besser zu machen – welche mehr bringt, lässt sich aber erst im Nachhinein messen. Die Autobauer versuchen jedoch, ihr angestammtes Geschäftsmodell über die Runden zu retten. Aus der Politik war bislang keine klare Linie zu sehen, wie selbst das Zurückrudern des grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg beim Thema Fahrverbote zeigt.
Nur eines kann am Ende helfen: Konsequent zu überwachen, ob die vorgeschriebenen Werte in der Praxis eingehalten werden oder nicht. Mit welcher Technologie die Unternehmen das erreichen, sollte der Politik egal sein. Das kann der saubere Diesel sein. Muss es aber nicht.