Nach Monaten im Rückwärtsgang wegen des Abgasskandals präsentiert sich Volkswagen am Dienstag mit breiter Brust. "Spätestens 2025 wollen wir Weltmarktführer bei der E-Mobilität sein", verkündete VW-Markenchef Herbert Diess bei der Vorstellung der neuen Strategie für den Umbau der schwächelnden Kernmarke. Als Volumenhersteller wolle VW dem Elektroauto zum Durchbruch verhelfen und in neun Jahren eine Million E-Mobile im Jahr verkaufen.
Damit ändert der Wolfsburger Traditionskonzern erneut seinen Kurs. Unter dem Druck von Dieselgate hatte VW angekündigt, sich vom Streben nach Ziel der Größe verabschieden zu wollen. Das hört sich nun anders an: "Wir wollen den Wandel nutzen und Volkswagen entschlossen an die Spitze der neuen Automobilindustrie führen", sagte Diess.
Doch noch kaufen die Kunden keine Elektroautos - sie stehen auf bullige SUV. So ganz nimmt man Diess die neue, grüne Elektrostrategie daher noch nicht ab, wenn er sagt, dass VW sein SUV-Portfolio kräftig ausbauen will: 19 SUV sollen 2020 im Portfolio sein, heute sind es nur zwei. In Europa und China soll der Anteil der SUV dann bei etwa 30 Prozent liegen, in den USA gar bei 35. "In Summe werden wir den SUV-Anteil an unserem Gesamtvolumen mehr als verdoppeln", kündigte Diess an.
VW-Zukunftspakt: Was auf die Werks-Standorte zukommt
Bis 2020 sollen am Stammsitz rund 1000 Arbeitsplätze in Zukunftsfeldern entstehen. Der nächste Golf 8 für die USA soll in Wolfsburg gefertigt werden, außerdem ein SUV für die spanische Tochter Seat. In anderen Bereichen läuft die Fertigung bis 2022 aus - unter anderem beim Lenkstangenrohr und der Räderfertigung.
Das größte Teilewerk des Konzerns soll im VW-Konzern das Leitwerk für den Elektro-Antriebsstrang werden - samt Entwicklungsaufgaben. Zudem sollen in Nordhessen auch mehr Ersatzteile gefertigt werden.
Das Motorenwerk in Salzgitter gilt als einer der Verlierer aufkommender E-Antriebe. Der Standort soll daher die Federführung bei der Entwicklung von Batteriezelltechnologien erhalten und - soweit wirtschaftlich tragbar - auch die Serienfertigung der Zellen. Die Produktion von Hauptkomponenten für E-Motoren soll sich Salzgitter mit Kassel teilen.
Ab 2019 soll Emden ein viertes Modell bekommen, um die Auslastung des Werkes an der Küste zu sichern. Im Zuge der Abgasaffäre hatte VW im März angekündigt, die Verträge von 2150 Leiharbeitern nicht zu verlängern.
Die Gießerei und der Bereich Wärmetauscher standen auf dem Prüfstand, bleiben aber erhalten und sollen auch Komponenten für die E-Antriebe der Zukunft liefern. Zudem wird in der Gießerei der 3D-Druck von Teilen angesiedelt. In beiden Bereichen fallen jedoch Stellen weg.
Das Werk bekommt die Entwicklung für Batteriesysteme in den Produktionsbaukästen des Konzerns sowie die Montage von einigen Batterien. Zudem soll die Produktion von Lenkungen ausgebaut werden. Die Kunststofffertigung wird dagegen bis 2021 eingestellt, auch Fahrwerke werden wohl Arbeit verlieren.
Neue Golf-Modelle sollen auch weiter in Zwickau gebaut werden, zudem soll das Werk ein Elektromodell erhalten. Dennoch wird die Zahl der Beschäftigten sinken.
Mit dem Schwenk vom personalintensiven Verbrennungsmotor hin zum Elektroantrieb geht auch ein drastischer Stellenabbau einher: Vor vier Tagen hatte VW angekündigt, bei der Kernmarke weltweit 30.000 Stellen abzubauen, drei Viertel davon in Deutschland.
Im Gegenzug sollen 9000 Arbeitsplätze bei der Elektromobilität entstehen. "Volkswagen wird sich in den kommenden Jahren grundlegend verändern, nur die allerwenigsten Dinge werden so bleiben wie sie sind", sagte Diess. Dabei sei Größe allein nicht das Ziel. VW wolle stattdessen in der Technologie und beim Kundenzuspruch führend sein. "Da wir im Volumensegment arbeiten und Skaleneffekte brauchen, benötigen wir jedoch auch Größe."
Beim Diesel rechnet Diess für die Flotte mit rückläufigen Verkäufen. Das liegt auch an verschärften Regeln der Regulierer, was Emissionen betrifft. Der technische Aufwand, um die Abgase zu reinigen, werde pro Auto etwa 1000 Euro zusätzliche Kosten verursachen, so Diess. Dann gleiche sich der Diesel an die Mehrkosten eines Elektroautos an, letzteres würde attraktiver, schlussfolgert er.
Die Autos der Zukunft werden nach der Vorstellung von VW vernetzt und immer online sein. VW arbeitet daher an einer digitalen Plattform, die "We" heißen und eine Milliarde Euro Umsatz machen soll. Bis 2025 sollen sich dort 80 Millionen Nutzer tummeln.
Dass gerade der seit Juli vergangenen Jahres amtierende Markenchef - und nicht Konzernchef Matthias Müller - das neue Selbstbewusstsein präsentiert und das erste Mal seit dem Hochkochen des Dieselskandals das Wort "Weltmarktführer" in den Mund nimmt, ist bemerkenswert. Denn der bei seinem früheren Arbeitgeber BMW als knallharter Kostendrücker bekanntgewordene Österreicher geriet in den Verhandlungen über das Sparprogramm bei der Kernmarke mit dem machtbewussten Betriebsrat überkreuz. Auch im Aufsichtsrat sei Kritik geäußert worden, berichteten Insider. Die Haupteigentümer, die Familien Porsche und Piech, hielten allerdings öffentlich zu ihm.
Elektromobilität soll die Wende bringen
Nun ergreift Diess mit der Strategie "Transform 2025+" die Chance: Während Müller viel Kraft in die Aufarbeitung des Dieselskandals stecken muss, steht der Markenchef mit der Verkündung der Zukunftsthemen im Scheinwerferlicht. Der 58-Jährige rechnet zudem schonungslos mit der Vergangenheit unter dem früheren Konzernchef Martin Winterkorn ab, dessen ehrgeizige Wachstumsziele als Mitgrund für die Dieselmanipulation gelten. Die Marke VW soll wieder sympathischer werden. "Arroganz gehört der Vergangenheit an", sagte Diess.
Seinem Vorgänger, der die Hauptmarke in Personalunion neben dem Amt als Konzernchef führte, warf Diess indirekt Versäumnisse vor: Die Fixkosten seien stark gestiegen, gleichzeitig sei VW bei der Produktivität nicht auf Augenhöhe mit den direkten Wettbewerbern. Für die USA fehle seit Jahren ein Erfolgskonzept und in aufstrebenden Märkten wie Brasilien und Indien verliere Volkswagen an Boden. "Teilweise haben wird auch Marktentwicklungen verschlafen."
Spar- und Sanierungsprogramme bei Volkswagen
Im Jahr des Amtsantritts des späteren VW-Patriarchen Ferdinand Piëch als Vorstandschef steckt der Konzern in einer tiefen Krise. Er produziert im Vergleich mit der globalen Konkurrenz viel zu teuer, es droht die Entlassung von bis zu 30.000 Beschäftigten.
Peter Hartz, von Piëch eingestellter Personalvorstand und späterer Entwickler der Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder, kann den Kahlschlag abwenden. Er führt in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat und der IG Metall unter anderem die Vier-Tage-Woche bei Volkswagen ein - eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Auch der umstrittene „Kostenkiller“ und Ex-General-Motors-Manager José Ignacio López bringt den verlustreichen Konzern finanziell wieder auf Kurs.
Die Hauptmarke Volkswagen-Pkw fährt chronisch niedrige Erträge ein - eine deutliche Parallele zur heutigen Lage. Nach monatelangen Verhandlungen zum neuen Haustarifvertrag bei VW einigen sich die Parteien auf eine Abkehr von der Vier-Tage-Woche. Als Gegenleistung für die wieder deutlich längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich verlangt die IG Metall vom Unternehmen verbindliche Zusagen für die langfristige Zukunft der sechs westdeutschen Werke.
Nachdem Kernmarken-Chef Wolfgang Bernhard mit Stellenstreichungen und Produktionsverlagerungen gedroht hat, verlässt er den Konzern. VW kann dennoch die Kosten senken und die Wettbewerbsfähigkeit steigern.
Nach Jahren satter Gewinne dümpelt die Marke mit dem VW-Emblem - gemessen an der Marge (Anteil des Gewinns am Umsatz) - im Branchenvergleich erneut vor sich hin. Zugleich muss der Gesamtkonzern die Milliardenlasten des Abgas-Skandals verdauen und sich stärker auf die Zukunftsthemen der Branche konzentrieren.
Der „Zukunftspakt“ soll daher den Spardruck, den Umbau in Richtung E-Mobilität, Digitalisierung und Dienstleistungen sowie das Interesse der Belegschaft an sicheren Jobs und Standorten in die Balance bringen. Nach Monaten des Ringens steht fest: Dies wird nicht ohne Zugeständnisse bei den Jobs gehen. 30.000 Stellen sollen weltweit bis 2020 auslaufen, betriebsbedingte Kündigungen soll es nicht geben - stattdessen soll der Abbau etwa über Altersteilzeiten erreicht werden.
Um die Fehler der Vergangenheit auszumerzen, will Diess die Kosten - auch durch den massiven Personalabbau - bis 2020 um 3,7 Milliarden jährlich senken. So will er die Mittel freischaufeln, um in die Elektromobilität, Vernetzung und autonomes Fahren zu investieren. Insgesamt sind dafür in den kommenden Jahren rund 3,5 Milliarden Euro geplant. Die E-Offensive soll auch durch den Wegfall von weniger nachgefragten und ertragsschwachen Modellen und Varianten finanziert werden - allein 2,5 Milliarden Euro würden dadurch frei.
Autoexperte Arndt Ellinghorst von Evercore ISI begrüßte den Strategieschwenk: "Kein Zweifel, VW wird elektrisch." Es sei Zeit für ein echtes Bekenntnis der Autobauer. "Halbherzige Schritte in die Elektromobilität haben sich als erfolglos erwiesen."
Parallel dazu bläst Diess in den USA zur Aufholjagd, wo VW schon vor der Abgaskrise ein Nischenanbieter war. Auf dem nach China zweitgrößten Pkw-Markt wollen die Niedersachsen zunächst mit großen SUV und Limousinen punkten. Später sollen Elektroautos auf den Markt kommen, ab 2021 lokal produziert. Bis VW den Anschluss an die Platzhirsche wie General Motors, Ford oder Toyota hat, dürften allerdings wohl zehn Jahre vergehen. Ab 2020 wolle man in Nordamerika zumindest wieder schwarze Zahlen schreiben, "und das dauerhaft", kündigte Diess an. Auch in Südamerika will bis dahin aus den roten Zahlen kommen. "Wir wollen nicht nur in Europa und China profitabel sein, sondern haben uns vorgenommen, bis 2020 in allen großen Märkten positive Ergebnisse zu erwirtschaften."
Mit seiner E-Offensive ist VW nicht allein in der Branche. Daimler will bis Mitte des nächstens Jahrzehnts mindestens zehn neue Elektroautos auf den Markt bringen. BMW will die Entwicklung von E-Mobilen kräftig anschieben, ebenso der japanische Rivale Toyota, der sich bei Verbrennungsmotoren mit Volkswagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Weltmarktführung liefert.