Audi hat einen neuen Entwicklungschef. Diese Nachricht war erwartbar – schließlich ist der Posten seit fast zwei Monaten vakant. Weniger erwartbar ist allerdings die Personalie: Bis zuletzt wurde offenbar eine interne Nachfolge für den im Zuge des Abgasskandal geschassten Stefan Knirsch favorisiert. Doch jetzt übernimmt Peter Mertens. Und der kommt von Volvo.
In der Aufarbeitung der Abgasaffäre hatte Audi zuletzt ein unglückliches Bild abgegeben. So musste Audi-Chef Rupert Stadler eigene Aussagen kassieren und einräumen, dass es doch anders gelaufen war. Oder eben die Entscheidung für Stefan Knirsch als neuen Vorstand für „Technische Entwicklung“, der den wegen seiner vermutlichen Verwicklung in Dieselgate beurlaubten Ulrich Hackenberg beerbt hatte.
Der Abgang Knirschs im September war der vorläufige Höhepunkt des Ingolstädter Schlingerkurses. Nachdem sich der Abgasskandal von Wolfsburg zu der Premium-Tochter ausgeweitet hatte, kam dem neuen Technikchef natürlich eine Schlüsselrolle bei der internen Aufarbeitung – und dem öffentlich zur Schau gestellten Neuanfang – zu. Doch die konnte der Motoren-Experte nicht erfüllen: Die mit der Aufklärung beauftrage Kanzlei Jones Day hatte bei Knirschs Aussagen Ungereimtheiten festgestellt – innerhalb weniger Tage wurde der Entwicklungschef kalt gestellt.
Knirsch soll den internen Ermittlern Wissen über die Manipulationen bei den Dieselmotoren vorenthalten haben. Der promovierte Maschinenbauer war seit Jahresbeginn Mitglied des Audi-Vorstands, zuvor hatte er – mit kleineren Pausen – in der Motorenentwicklung der Ingolstädter gearbeitet. Ein echtes Audi-Eigengewächs.
Natürlich wäre es zu schön gewesen, hätte man mit einem Mann aus den eigenen Reihen den Neuanfang personifizieren können. Frei nach dem Motto: Ein Audi-Entwickler mit weißer Weste bringt das Unternehmen nach vorne. Doch inzwischen ist der Audi-Chefetage dieses Modell zu unsicher: Mit Peter Mertens wurde jetzt ein Mann von außen geholt, der garantiert nicht in den Abgasskandal verwickelt ist – zumindest nicht in den des Volkswagen-Konzerns.
Damit hat sich Audi nach weiteren Wochen des Schlingerkurses zu einer richtigen Entscheidung durchgerungen. Zu groß war das Risiko, dass bei einer internen Nachbesetzung doch wieder eine mögliche Verwicklung in den über Jahre laufenden Manipulationsskandal zu Tage kommen könnte.
Aber nicht nur deshalb ist die Entscheidung für Peter Mertens eine gute: Wenn Audi-Chef Stadler den promovierten Produktionstechniker in der Pressemitteilung eine „breite fachliche Expertise und einen internationalen Hintergrund in der Automobilindustrie“ attestiert, trifft das zu: Von Mercedes ging es für Mertens über ein Gemeinschaftsunternehmen von Daimler und der Telekom zu General Motors, wo er die kompakten Baureihen weltweit verantwortete. Nach einer kurzen Visite bei Jaguar Land Rover kam der Deutsche als Entwicklungschef zu Volvo.
Dort hat Mertens etwas vollbracht, was dem gesamten Volkswagen-Konzern nicht gelungen ist: Er hat ein kosteneffizientes Baukasten-System für Autos entwickelt. Während bei VW und Audi die Technik-Verliebtheit zu so komplexen Lösungen führte, dass die Kosten aus dem Ruder liefen, hat der Produktionstechniker Mertens mit der Skalierbaren Produkt-Architektur (SPA) eine Plattform entwickelt, welche die deutlich geringeren finanziellen Mittel von Volvo nicht überstrapaziert hat. Wie die Vergleichstests der einschlägigen Fachmagazine zeigen, sind mit Limousine, Kombi und SUV der 90er-Baureihe keine schlechten Autos dabei herausgekommen.
Fakten zum Volvo-Baukasten
Von 1999 bis 2010 gehörte Volvo zum Ford-Konzern. In dieser Zeit basierten die neuen Modelle der Schweden auf Plattformen der US-Mutter, etwa dem Ford Focus oder dem hierzulande nicht verkauften Ford Taurus. Als der chinesische Konzern Geely Volvo im Jahr 2010 übernahm, konnten sie die Ford-Technik nicht weiter nutzen, weshalb ein eigenes System entwickelt wurde.
Volvo nennt seinen Baukasten „skalierbare Produkt-Architektur“, kurz SPA. Auf dieser Architektur sollen künftig alle größeren Modelle ab der 60er Baureihe basieren. Sie teilen sich sämtliche Motoren (ausschließlich Vierzylinder mit zwei Litern Hubraum) und viele Teile des Fahrwerks. So sollen die Kosten bei Entwicklung und Produktion gesenkt werden und langfristig auch die Margen steigen.
Für die Entwicklung der Architektur und die Umrüstung der Produktionsanlagen auf die neue Technik hat Volvo insgesamt rund 75 Milliarden schwedische Kronen, rund acht Milliarden Euro, ausgegeben.
Nur ein Maß – der Abstand zwischen Vorderachse und A-Säule – ist festgelegt, alle anderen Maße sind flexibel. So können teure Bauteile wie die Motoren oder die Elektro-Einheit des Hybridantriebs in unterschiedlich großen Autos verwendet werden, von der Mittelklasse-Limousine S60 bis hin zum großen SUV XC90.
Der XC90 hat den Anfang gemacht, inzwischen ist die 90er-Baureihe komplett: Volvo bietet neben dem SUV XC90 auch die Limousine S90, den Kombi V90 und den Offroad-Kombi V90 Cross Country an. Die bisherigen Modelle S80 und V70 wurden durch die 90er-Modelle ersetzt. In der Mittelklasse hat ebenfalls das SUV den Anfang gemacht, der XC60. Die Limousine S60 und Kombi V60 folgen bald.
Gute Autos zu bauen gehört bei Audi natürlich zum Selbstverständnis. Doch zuletzt konnten die neuen Modelle den Slogan „Vorsprung durch Technik“ im Vergleich zur Premium-Konkurrenz nicht mehr erfüllen – zum Teil auch im Vergleich zu Volvo. Dass eine solche wichtige Technik-Personalie nicht aus dem üblichen Kreis der Leute von VW, Porsche oder Audi selbst kommt, bringt frischen Wind in die Abteilung.
Und den kann Audi gut gebrauchen. Nicht nur wegen Dieselgate.