Neuer Volvo XC90 Thors Hammer soll Volvo in die Zukunft führen

Es geht ums Ganze: Mit dem XC90 schlägt Volvo ein neues Kapitel in der Firmengeschichte auf – geht aber auch Risiken ein.

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Der neue XC90 ist das erste Volvo-Modell auf Basis des Baukastens SPA. Quelle: Volvo

Es gab Zeiten, in denen sagte ein Volvo viel über seinen Fahrer aus. Wer etwa einen kantigen 240 vor seinem Einfamilienhaus parkte, gab zugleich ein Statement ab: Wie mein Auto aussieht und was es kann ist mir egal, Hauptsache es fährt und ist sicher. Ein Fahrer, der nicht an seinem Auto, sondern an dessen Eigenschaften interessiert ist – Volvo baute die Autos, die diese Art von Kunden wollte.

Inzwischen weht ein neuer Wind in Göteborg, wo Volvo seit 87 Jahren zu Hause ist. Statt den automobilen Pragmatikern wollen die Schweden die große Masse erreichen: Bis 2020 will Volvo-Chef Håkan Samuelsson nahezu doppelt so viele Autos verkaufen wie heute – rund 800.000 Stück. Der erste Schritt auf dem Weg zu diesem ambitionierten Ziel ist der neue XC90, das zuletzt erfolgreichste Modell der Marke.

Den neuen Wind im Unternehmen sieht man dem Dienstag nahe Stockholm vorgestellten SUV deutlich an. Die automobile Zurückhaltung vergangener Tage hat der XC90 abgelegt. Die neue Designlinie, die künftig auch andere Volvo-Modellen prägen wird, zeigt das neue Selbstbewusstsein – beste Beispiele sind etwa der größere Kühlergrill oder die Scheinwerfer mit den markanten, T-förmigen Tagfahrlichtern, die den Spitznamen "Thors Hammer" tragen.

Komplettiert wird die Front des XC90 der zweiten Generation von einem neuen Firmenlogo, das künftig etwas schlanker und moderner wirkt. Volvo-Chef Samuelsson spricht bei der Präsentation sogar von einem "der wichtigsten Tage in unserer Unternehmensgeschichte". Man präsentiere nicht nur ein Fahrzeug, sondern auch die Weiterentwicklung der Marke Volvo. "Heute beginnt eine neue Ära", sagt Samuelsson. Alles symbolisiert durch das neue Logo.

Acht Milliarden Euro investiert

Der neue XC90 ist in der Tat Volvos wichtigstes Auto der vergangenen Jahre. Es ist nicht nur das erste vollständig unter der Regie des chinesischen Eigentümers Geely entwickelte Modell, sondern für den schwedischen Autobauer eine weitreichende Investition. Das Groß-SUV basiert als erstes Fahrzeug auf einer neuen Architektur namens SPA (scapable product architecture) – in etwa vergleichbar mit dem Baukastensystem bei VW. Über acht Milliarden Euro hat Volvo für die Entwicklung und die Umrüstung der Produktionsanlagen ausgegeben. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2013 hat Volvo etwa 13 Milliarden Euro umgesetzt, davon blieben 217 Millionen Euro als Gewinn im Unternehmen hängen.

Volvo musste so viel Geld ausgeben, weil es bisher keine geeignete Plattform für Autos im Unternehmen gab. Als die Schweden in den Jahren 1999 bis 2010 zu Ford gehörten, teilte sich Volvo Plattformen und Motoren mit den Modellen der US-Mutter, etwa dem Ford Taurus oder Ford Focus.

Fakten zum Volvo-Baukasten

Die Investition will Samuelsson aber schnell wieder erwirtschaften. "Die Margen werden sich mit der neuen Produktarchitektur verbessern", sagt der ehemalige MAN-Chef. In Zahlen ausgedrückt: Statt Margen von 1,6 Prozent im vergangenen Jahr will Volvo 2020 acht Prozent pro Auto verdienen.

Die Besonderheit der neuen Plattform: Nur ein Maß – der Abstand zwischen der Vorderachse und der A-Säule – ist fix. Andere Größen wie Radstand, Spurbreite oder Überhang sind flexibel und erlauben so unterschiedlich große Autos auf derselben technischen Basis. Weitere Details finden Sie in der Bildergalerie.

Die SPA bildet so die Grundlage für sämtliche künftigen Modelle der Mittel- und Oberklasse bei Volvo. Darunter fallen die 60er und 90er Baureihe in ihren Ausführungen S als Limousine, V als Kombi und XC als SUV.

Angetrieben werden die SPA-Modelle ausschließlich von Vierzylinder-Motoren mit zwei Litern Hubraum. Selbst in der Oberklasse verzichten die Schweden auf den prestigeträchtigen und bei der Konkurrenz obligatorischen Sechszylinder. "Die Kunden interessiert immer weniger, wie viele Zylinder ihr Auto hat", sagt Marketing-Chef Alain Visser. "Sie interessieren Leistung und Verbrauch, mehr nicht."

"Jede Entwicklung ist auch ein Risiko"

Zum Start des XC90 bietet Volvo die neue Motorengeneration in zwei Benzin-Varianten (254 PS und 320 PS) sowie zwei Diesel-Aggregaten (190 PS und 225 PS) an. Das Topmodell bildet ein Plugin-Hybrid, der den 320-PS-Benziner mit einem 80 PS starken Elektromotor kombiniert. Diese T8 genannte Version soll bis zu 40 Kilometer rein elektrisch fahren können und im Normzyklus nur noch 60 Gramm CO2 ausstoßen.

Ganz unproblematisch ist der Verzicht auf die zusätzlichen Zylinder allerdings nicht. In Märkten wie den USA, wo Volvo seinen Absatz von derzeit 65.000 Fahrzeugen auf 100.000 steigern will, sind die großen Achtzylinder der amerikanischen Hersteller nach wie vor sehr beliebt. "Alle Entwicklungen sind mit Risiken verbunden", sagt Samuelsson im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. "Die gesellschaftliche Entwicklung geht aber nicht in Richtung neuer V8-Motoren." Stattdessen setze Volvo darauf, als weltweit einziger Hersteller einen SUV mit Plug-In-Hybrid und sieben Sitzen im Angebot zu haben.

Für Volvo ist der XC90 der Startschuss für eine neue Produktgeneration. In den kommenden vier Jahren werden sämtliche Modelle durch neue ausgetauscht. Die Priorität liegt auf der neuen Architektur, in der Mittel- und Oberklasse sollen schnell weitere Modelle folgen. 2018 soll der Kompaktwagen V40 einen Nachfolger erhalten – aber nicht auf Basis des SPA, sondern auf einer eigenen Plattform, die Volvo zusammen mit dem Mutterkonzern Geely entwickelt hat.

Dabei will Samuelsson einen großen Fehler vermeiden, der etwa den Volkswagen-Konzern derzeit plagt: eine zu hohe Komplexität. "Der Teufel steckt bei Baukästen im Detail", sagt Stefan Bratzel vom Auto-Institut der Hochschule Bergisch Gladbach. "Es ist aber nicht die Frage, ob man einen Baukasten entwickelt, sondern wie gut man es macht."

Sicherheit und Design statt PS und Fahrleistungen

Der Ansatz von Volvo-Chef Samuelsson: "Es ist zum Teil nicht clever, einen weiteren Ableger eines Modells auf den Markt zu bringen, wenn es die Stückzahlen nur marginal, die Komplexität in Einkauf und Produktion aber stark erhöht." Ein Punkt, den man auch inzwischen in Wolfsburg erkannt hat, wie VW-Boss Martin Winterkorn in seiner Brandrede Mitte Juli deutlich gemacht hatte.

Trotz der VW-Probleme mit dem Baukasten hält es Autoexperte Bratzel für möglich, dass es in Schweden mit der Gleichteile-Strategie besser klappt. "Volvo ist natürlich eine Nummer kleiner als Volkswagen, hat aber in der Vergangenheit gezeigt, dass sie gute Autos entwickeln können", sagt Bratzel.

Gute Autos definiert man bei den Schweden aber wie gewohnt etwas anders als bei den deutschen Premium-Herstellern. Statt PS und Fahrleistungen hat sich Volvo das Design, die Sicherheit und die Funktionalität auf die Fahnen geschrieben – und will natürlich alles beim neuen XC90 umgesetzt haben.

Das Design, hauptsächlich geprägt vom deutschen Chef-Designer Thomas Ingenlath, behält zwar seinen skandinavischen Ursprung, soll aber zugleich mehr Lifestyle vermitteln. "Volvo will selbstbewusst auftreten, aber nicht wie irgendwelche aggressiven Kerle", sagt der ehemalige Volkswagen-Mitarbeiter. "Volvo hat andere Inhalte, als der Sportlichkeit hinterherzurennen."

Revolutionärer Innenraum

Für Ingenlath war die Vielfalt der neuen Architektur, die mehrere Modelle unterschiedlicher Größe umfassen wird, eine besondere Herausforderung: "Wir wollen das Design nicht hoch- und runterskalieren. Jedes Modell braucht andere Proportionen und wird die auch bekommen."

Eine Design-Revolution steht auch im Innenraum an. In den Volvo-Modellen der vergangenen Jahre waren die Mittelkonsolen gepflastert mit Knöpfen und Schaltern, im alten XC90 waren es insgesamt 60 Stück. Das neue Modell kommt nur noch mit acht Knöpfen aus, die meisten Systeme werden über einen großen Touchscreen bedient, der bereits in der Basisversion zur Serienausstattung gehört.

Bei der Benutzeroberfläche haben die Designer nicht einfach die Knöpfe durch kleine Schaltflächen auf dem Bildschirm ersetzt, sondern eine Tablet-ähnliche Bedienung mit Wisch-Gesten und großen Icons programmiert – Stichwort Funktionalität. Mit diesem "Sensus" genanntem System und der nahtlosen Integration von iPhones und Android-Smartphones verspricht sich Volvo einen Vorsprung vor dem Wettbewerb.

Einen solchen Vorsprung hat Volvo auch meist beim Kern seiner Markenidentität, der Sicherheit. Als Teil des reichhaltigen Bouquets an Sicherheit-Features bieten die Schweden erstmals einen Kreuzungs-Assistenten an, der aktiv verhindern soll, dass der Wagen beim Abbiegen in den Gegenverkehr kommt. Zudem überwacht ein zusätzlicher Radarsensor den Verkehr hinter dem Auto und warnt den Fahrer für einem möglichen Auffahrunfall. Das große Ziel der "Vision 2020": In sechs Jahren soll kein Mensch mehr in einem Volvo verletzt werden.

"First Edition" wird nur im Internet verkauft

Wer möglichst schnell in den Genuss dieser Sicherheitstechniken kommen will, kann ab nächsten Mittwoch sich im Internet eines der 1.927 Exemplare der "First Edition" sichern. Diese Variante wird nur online vertrieben – ein Experiment. "In der Autobranche ist eine Distribution ohne Händler nicht möglich", sagt Marketing-Chef Visser. "Unseren eCommerce betreiben wir parallel, aber auch der läuft über Händler. Wir bauen keinen Direktvertrieb über das Internet auf."

Für die "First Edition", die in Deutschland auf dem 225 PS starken D5-Diesel basiert, werden allerdings 90.200 Euro fällig. Dafür sind bereits sämtliche Extras der Aufpreisliste inklusive Edelhölzern und jeder Menge Leder an Bord. Günstiger wird es mit dem 190-PS-Diesel und Frontantrieb, der mit 49.400 Euro die günstigste Version bildet. Weitere Preise, etwa für die Benziner oder den Plugin-Hybrid, hat Volvo noch nicht genannt.

Wenn der XC90 im April 2015 in den Handel kommt, sollen laut Deutschland-Chef Thomas Bauch ungefähr 4.300 Fahrzeuge pro Jahr hierzulande verkauft werden. Das ist immerhin vier Mal so viel wie zuletzt vom Vorgänger verkauft wurde. Wie gesagt: Es herrscht ein neues Selbstbewusstsein bei Volvo.

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