Neues Produktionssystem VW spart 1500 Euro pro Auto

Der Golf 7 läutet eine neue Ära des VW-Konzerns ein. Mit einem völlig neuen Produktionssystem wollen die Wolfsburger Milliarden sparen. Die Strategie ist monströs, teuer, riskant und zielt vor allem auf den Rivalen Toyota.

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Das VW-Werk in Wolfsburg - Mit einem neuen Produktionssystem will VW bei der Herstellung Milliarden einsparen Quelle: dpa

Eine Fabrikhalle in Wolfsburg, mittendrin ein quadratisches Areal, gut 15 mal 15 Meter groß. Milchglas und übermannshohe graue Wände bannen die Blicke Unbefugter. Die Eingangstür trägt die Aufschrift VSC. Dahinter verbirgt sich der geheimste Ort des Volkswagen-Konzerns.

Wer zu dem erlesenen Kreis von Managern gehört, die Zutritt zum VSC haben, dem sogenannten Vorseriencenter, sieht sofort, worauf es hier ankommt. Ein großer Zeitstrahl, unterteilt in 48 Monatsabschnitte, zieht sich entlang der Wände. Daran aufgehängt sind Schilder mit der Beschreibung von Autos, die innerhalb der nächsten vier Jahre in Serie gehen sollen – Fahrzeuge, von denen Wettbewerber und die Öffentlichkeit womöglich noch nie gehört haben.

Der abgeschirmte Raum am Sitz des Volkswagen-Konzerns ist ein Ort brutaler Entscheidungen. Ob ein neuer Billigwagen für Indien, ein künftiges Hybridauto von Audi oder die nächste Luxuskarosse von Bugatti – im VSC muss jeder verantwortliche Manager aus aller Welt regelmäßig zum Rapport antreten. Wer auf dem Zahlenstrahl in Verzug gerät, steht unübersehbar am Pranger.

Das VSC steht für den Volkswagen-Konzern der Zukunft, den Vorstandschef Martin Winterkorn und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch derzeit schmieden. Sie wollen bis 2018 das 75 Jahre alte Unternehmen in die effizienteste und angriffslustigste Automaschine der Welt verwandeln. Ihr Rezept heißt totale Gleichschaltung: einheitliche Teile in allen Autos, einheitliche Produktionstechnik in den Fabriken, einheitliche Ausbildung. Alle Fäden dieser einzigartigen Generalmobilmachung in der Autoindustrie laufen hier, im VSC, zusammen.

So will VW seine Töchter im neuen System auf Linie bringen

Die Idee, unterschiedliche Automodelle etwa auf den gleichen Unterbau zu setzen oder mit gleichen Teilen zu bestücken, gibt es schon lange. Doch Volkswagen will das bisher teils Beiläufige zum unerschütterlichen Prinzip erheben. Im VSC sollen Vielfalt und Wildwuchs gnadenlos ausgemerzt, sämtliche Modelle vom Polo bis zum Porsche auf Konzernlinie gebürstet werden. Das VSC, sagt ein VW-Manager, sei der „Flaschenhals“, den auf lange Sicht jedes der über 200 unterschiedlichen Modelle und Modellvarianten des Konzerns künftig wird passieren müssen. Das erste VW-Modell, das den Test bestand, ist der neue Golf, der vom kommenden Wochenende an bei den Händlern steht. Bis 2018 sollen sich die meisten übrigen Konzernmodelle einreihen.

Wie wichtig ist der neue Golf 7 für VW?

Schlüssel um Himmel

Was Piëch und Winterkorn vorhaben, kann den Wettbewerb in der Autoindustrie in bisher ungeahntem Maße anheizen. Denn durch das neue System sollen die Kosten pro Fahrzeug um mehr als 1500 Euro sinken. Gelingt den Wolfsburgern das Kunststück, können sie Erzrivalen wie Toyota, General Motors und Hyundai mit aggressiven Rabatten Marktanteile abjagen. Für Winterkorn ist die Strategie deshalb „der Schlüssel“ des VW-Konzerns für den Weg an die Branchenspitze. Für VW-Produktionschef Hubert Waltl ist es die „größte Herausforderung, die je ein Autohersteller zu meistern hatte“.

Volkswagen greift damit den bisherigen Effizienzweltmeister Toyota frontal an. So steht der Autoindustrie ein spektakulärer Zweikampf bevor, dessen Gewinner womöglich die Standards in der PS-Branche und darüber hinaus diktiert. Piëch und Winterkorn wagen nicht weniger als die dritte Revolution der Autoindustrie.

Revolutionen der Autoindustrie

Revolutionäre Zelle - VW-Chef Winterkorn und Aufsichtsratschef Piëch wollen aus Volkswagen die effizienteste Automaschine der Welt formen Quelle: Nils Hendrik Müller für WirtschaftsWoche

Die erste Revolution hatte Anfang des 20. Jahrhunderts der US-Autofabrikant Henry Ford angestoßen, indem er die Fließbandproduktion einführte. Deren Siegeszug reichte so weit, dass Anhänger in Deutschland „Fortschritt“ fortan am liebsten mit „d“ in der Mitte geschrieben hätten. Ein halbes Jahrhundert später begann Toyota den Mythos durch sein Toyota Produktionssystem (TPS) abzulösen. Die berühmte amerikanische Denkfabrik Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston kürte Toyota zur „Maschine, die die Welt veränderte“ und die eine „zweite Revolution der Autoindustrie“ ausgelöst habe.

Der Erfolg Toyotas beruhte auf schlanker Produktion (Lean Production). Ihre drei Prinzipien bestimmen bis heute weltweit die industrielle Fertigung: die Just-in-time-Produktion, bei der Teile ohne Lagerhaltung zum richtigen Zeitpunkt ans Band geliefert werden; Kaizen, die ständige Verbesserung der Produktion; und Jidoka, die frühzeitige Vermeidung von Fehlern.

Dagegen setzt VW nun eine Strategie, die das Toyota-System überholen soll. Im Kern geht es um vier Stoßrichtungen:

  • Künftig teilen sich nicht nur Fahrzeuge einer Klasse – etwa der VW Polo und der Skoda Fabia – den Unterbau und viele Komponenten. In jahrelanger Kleinarbeit haben VW-Manager Teile identifiziert, die sie in sämtliche Modelle und Marken einsetzen können. Das habe „eine Menge Kraft gekostet“, sagt VW-Chef Winterkorn: Jede Marke habe andere Anforderungen gehabt, jeder Fahrzeugentwickler eine Menge Sonderwünsche, die erst einmal unter einen Hut gebracht werden mussten.

    Die ausgesuchten Teile wurden in sogenannten Baukästen zusammengefasst, aus denen sich Fahrzeugentwickler künftig bedienen können. Der neueste und wichtigste ist der sogenannte Modulare Querbaukasten (MQB), der gemeinsame Komponenten für sämtliche Modelle der Marke VW mit quer sitzendem Motor enthält. Erfunden wurde das Baukastenprinzip bei der Premiumtochter Audi, die einen Modularen Längsbaukasten für Modelle mit längs sitzendem Motor hat. Die Erfinder von damals sitzen heute in Schlüsselpositionen in Wolfsburg: Konzernchef Winterkorn, VW-Produktionschef Waltl und Konzern-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg. Mit dem Baukastenprinzip verringert VW die Komplexität in Entwicklung und Produktion. Durch den Bezug größerer Mengen pro Teil sinken die Kosten erheblich.

  • Alle Fahrzeuge des Konzerns werden so konstruiert, dass sie mit den gleichen Maschinen gefertigt werden können. So kann VW große Mengen gleicher Produktionsmaschinen einkaufen und dadurch die Kosten drücken. „Kürzlich ging eine Bestellung von 5.000 gleichen Robotern der Marke Kuka raus“, sagt ein VW-Manager. „Das wäre früher undenkbar gewesen.“
  • Pro Fließband will VW künftig vier verschiedene Modelle montieren, selbst von unterschiedlichen Konzernmarken. Damit entfallen Überstunden in jenen Fabriken, deren Fahrzeuge gerade besonders gefragt sind, und Leerläufe dort, wo der Absatz eines bestimmten Modells stockt. Kurzum: Die Flexibilität steigt drastisch.
  • Alle Produktionsarbeiter werden einheitlich ausgebildet. Nirgendwo will VW Qualitätseinbußen mehr hinnehmen, nur weil die Mitarbeiter den Konzernstandard verfehlen. Möglich wird die standardisierte Ausbildung durch einheitliche Technik.

Übersicht zu VW's neuem Produktionssystem (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Mit diesem Totalrevirement wollen sich Piëch und Winterkorn einen Ehrenplatz in der Industriegeschichte sichern. Im Konzern kursieren Präsentationen des neuen Produktionssystems, in denen Manager VW als die Krönung der bisherigen Evolution in der Autobranche preisen. Zuerst, so der Tenor, kam Ford, dann folgte Toyota und jetzt schlägt Volkswagen alle. Konsequent nennen die Wolfsburger ihre Strategie denn auch in Anlehnung an das TPS von Toyota „Volkswagen Produktionssystem“ – kurz: VPS.

Hang zur Transzendenz

Golf-Trainer - Waltl, Vater des neuen Produktionssystems, vor dem Golf 7 Quelle: Nils Hendrik Müller für WirtschaftsWoche

VPS gegen TPS – die VW-Manager lassen keinen Zweifel daran, wer die Nase langfristig vorn haben wird. „Wir haben etwas Einzigartiges entwickelt, einen echten Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb“, schwärmt Produktionschef Waltl. Von „Segnungen“ gar spricht die Konzernkommunikation.

Der Grund für den Hang zur Transzendenz in der Wortwahl sind die Kosteneinsparungen, die sich die Promotoren des neuen Systems erhoffen. Entwicklungsvorstand Hackenberg verspricht „bei den Materialkosten Einsparungen von 20 Prozent“, außerdem 20 Prozent geringere Investitionen in Produktionsanlagen und eine um 30 Prozent schnellere Fertigung. 1.500 bis 1.800 bis Euro pro Fahrzeug will Hackenberg unterm Strich einsparen. Bei zehn Millionen verkauften Fahrzeugen würden sich alle Einsparungen auf 15 Milliarden Euro pro Jahr summieren – mehr als der Konzern im vergangenen Jahr operativ verdiente.

Aus der Not geboren

Es ist nicht die pure Angriffslust, die Piëch und Winterkorn zu Revolutionären werden lässt. „Die Sache ist auch aus der Not geboren“, sagt ein VW-Manager. Denn die Übernahme von Wettbewerbern in den vergangenen Jahrzehnten hat aus dem Wolfsburger Konzern ein Sammelsurium aus zwölf Automarken gemacht. „Uns bleibt doch groß keine Wahl“, sagt der hochrangige VW-Mann. „Ohne Standardisierung ist das ein nicht wettbewerbsfähiges Durcheinander.“ In Zahlen: Bei Toyota baut ein Mitarbeiter in diesem Jahr rund 30 Autos, bei VW nur 17. Das liegt auch daran, dass VW viele Arbeiten selbst ausführt, die bei Toyota Zulieferer übernehmen, und dass der VW-Konzern andere Autos baut als Tota. Es liegt aber auch an ineffizienterer Produktion. Die Wolfsburger können sich nur am Markt behaupten, weil sie mit ihren starken Marken höhere Preise erzielen.

Die ersten Bilder des neuen Golf
Weltpremiere für das wichtigste VW- Modell: Europas größter Autobauer hat am Abend des 4. September die neueste Version seines Verkaufsschlagers Golf vorgestellt. Zur Präsentation der siebten Auflage kamen zahlreiche Gäste und Manager der VW-Spitze in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zusammen. Quelle: PR
Der Golf 7 ist für die Niedersachsen der entscheidende Modellanlauf des Jahres 2012. Er gilt außerdem als Nagelprobe für den Modularen Querbaukasten (MQB) - eine Produktionstechnik, die konzernweit bislang nur beim Audi A3 zum Einsatz kam, die Fertigung vereinheitlichen und die Kosten drücken soll. Die ersten Fahrzeuge werden bereits seit Anfang August gebaut. Quelle: PR
Das Cockpit mag auf die meisten kühl und klar gestaltet wirken, aber dahinter verbirgt sich soviel Technik, Sicherheit und elektronische Unterstützung, wie noch in keiner Golf-Generation zuvor. Auszüge: Parkpilot mit 360-Grad-Überwachung, Park-Assistent 2.0, der beim Rangieren nur einen Puffer von je 40 Zentimeter vorn und hinten zum nächsten Auto benötigt, dynamischer Lichtassistent, der ein Fahren mit Fernlicht ermöglicht, ohne den Gegenüber zu blenden ... Quelle: PR
... Verkehrszeichen-Assistent, Automatische Distanzregelung, Spurhalteassistent, Pre-Crash-Gurtstraffer, radargestützte City-Notbremsfunktion bis 30 km/h und die Multikollisionsbremse, die nach einem Aufprall das Unfallfahrzeug automatisch abbremst. VW-Vorstand Hackenberg nennt das zwar "Demokratisierung des Technologischen Fortschritts". Aber das meiste kostet extra. Quelle: PR
„Der Golf muss mit der Zeit gehen, er muss aber keine Revolution darstellen“, konstatiert VW-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg, der schon an der Entwicklung des Golf 5 mitgewirkt hatte. Schließlich dürften sich die alten Golf-Modelle „nicht verloren vorkommen“. Quelle: PR
Mit jetzt 1.150 Kilo wiegt der neue VW Golf 22 Kilo weniger als der leichteste Vertreter der Golfklasse bisher, der BMW 1er, und hat sich auf dem Niveau des Vierer-Golf eingependelt. 23 Kilo verlor der jüngste Spross allein an der Karosserie. Nicht durch die Verwendung eines (teuren) Aluminiumaufbaus, sondern durch "ultrahochfesten" Stahl, der in einem Spezialverfahren geschmiedet und mit einer Lasertechnik behandelt wird. Quelle: PR
Mit dem Leichtbau versuchen die Hersteller vor allem Kraftstoff zu sparen. Ein Viertel des Verbrauchs hängt vom Gewicht ab, so eine Faustregel. "3,x Liter" soll der Selbstzünder nun auf 100 km/h verbrennen, 4,8 Liter der Benziner, das sind im Normverbrauch 23 Prozent weniger als der Vorgänger. Quelle: PR

„Wenn man mit der Beschäftigtenzahl nicht flexibel auf Nachfrageschwankungen reagieren kann, weil die Gewerkschaft im Unternehmen so stark ist, muss man es mit dem Produktionssystem tun können“, sagt der VW-Manager. Hinzu komme die explosionsartige Vermehrung der Komponenten, wenn in den nächsten Jahren neue Antriebstechniken auf den Markt drängten, ob Elektro- oder Hybridantriebe oder die Brennstoffzelle. „Da braucht man Module, aus denen man in kurzer Zeit solche verschiedenen Autos zusammensetzen und schnell produzieren kann.“

Konsequente Weiterentwicklung

Experten attestieren der VW-Strategie, dass sie diese Erfordernisse erfüllt. „Eine konsequente Weiterentwicklung“ der Lean Production von Toyota sei das VW-System, lobt etwa der Produktions- und Logistikexperte Horst Wildemann, Betriebswirtschaftsprofessor an der Technischen Universität München. Die Wolfsburger würden den Hebel an den wichtigsten Stellen ansetzen. Die Kosten ließen sich um 25 Prozent durch Veränderungen am Produkt und zu 15 Prozent durch eine bessere Produktion und Logistik senken. „Rahmenbedingungen wie etwa die Löhne“, sagt Wildemann, „schlagen dagegen nur mit etwa fünf Prozent zu Buche.“

Sogar aus Japan kommt Lob für den VW-Angriffsplan: Der Tokioter Produktionsguru und Toyota-Kenner Takahiro Fujimoto sieht einen „signifikanten Vorteil“ von Volkswagen gegenüber Toyota .

Jedoch: Ein Selbstläufer ist die VW-Strategie nicht. Denn erst einmal müssen Piëch und Winterkorn kräftig investieren. Die Gleichschaltung kostet allein bei der Marke Volkswagen rund 15 Milliarden Euro. Für den Umbau des Stammwerkes in Wolfsburg etwa werden 2,5 Milliarden Euro fällig. Winterkorn hofft, dass die umgestellten Werke die „verursachten Kosten in zwei, spätestens drei Jahren wieder hereingeholt haben.“ Er weiß aber auch: Sollte das nicht klappen, sollte die Strategie scheitern, drohen Deutschlands Autoikone schwere Turbulenzen.

Konter mit der Geiz-Fabrik

VW-Konkurrenz in der Defensive
PSA Peugeot Citroen: Wankender Riese ohne echte PerspektiveÜberkapazitäten, unrentable Werke, eine ungesunde Konzentration auf den europäischen Massenmarkt, eine Banktochter, die sich doppelt so teuer refinanzieren muss wie die Konkurrenten von VW – um den PSA-Konzern mit seinen Marken Peugeot und Citroën steht es nicht gut. Als Gegenleistung für eine Bürgschaft über sieben Milliarden  Euro sitzt demnächst der Staat mit im Verwaltungsrat, zudem ein Mitarbeitervertreter. Dividenden sind vorerst gestrichen. Bei Redaktionsschluss notierte die Aktie unter fünf Euro und damit auf dem tiefsten Stand seit 1985. Die angekündigte Zusammenarbeit mit der General-Motors-Tochter Opel bei vier Modellen wird für eine Kehrtwende und für die Abwehr gegen VW nicht reichen. Immerhin: An der notwendigen Streichung von 8.000 Stellen will PSA trotz Protesten der Gewerkschaften festhalten. Quelle: dpa
Renault: Durch internationales Geschäft und die Allianz mit Nissan abgesichertBei Renault läuft es nur in der Formel 1 rund, wo Sebastian Vettel mit einem Renault-Motor Richtung WM-Titel rast. Ansonsten fahren die Franzosen im Rückwärtsgang. In einem weltweit wachsenden Automobilmarkt verkaufte der Konzern im dritten Quartal dieses Jahres 596.000 Autos – ein Minus von 5,8 Prozent. In Europa betrug der Rückgang sogar 18,4 Prozent. Renault rechnet nicht nicht mehr damit, 2012 wie geplant ebenso viele Autos zu verkaufen wie 2011. Beim Kundenmonitor des Automobilklubs ADAC, an dem sich 20.000 Autofahrer in Deutschland beteiligten, habe Renault zwar Bestwerte im Service bekommen, sagt Reinhard Kolke, Leiter Test und Technik beim ADAC. "Unterm Strich hilft das Renault wenig, denn die Bindung der Kunden an die Marke ist ausgesprochen schwach." VW ist hier weit voraus. Quelle: AP
General Motors: Hohe Kampfmoral, aber viele ProblemeVon der US-Mutter General Motors (GM) gegängelt und in Deutschland immer wieder totgesagt, macht Opel einfach rotzig weiter und serviert ordentliche Modelle: erst der vielfach preisgekrönte Mittelklassewagen Insignia, jetzt der pfiffige Kleinwagen Adam, der kleine Geländewagen Mokka und das geschmackvolle Cabrio Cascada. Trotzdem sei Opel „das Sorgenkind des Markts“, urteilt ADAC-Experte Kolke. „Die Nachrichtenlage zu dem Unternehmen scheint auf die Marke abzustrahlen.“ Ob der Blitz ausgerechnet in der aufziehenden Krise die Wende schafft, dürfte davon abhängen, ob es Opel gelingt, dass die Leute wieder über die Fahrzeuge und nicht über die Turbulenzen im Unternehmen reden. In Bochum gründete der Autobauer zusammen mit dem Land Nordrhein-Westfalen eine Arbeitsgruppe, die sich nach eigenen Angaben „mit der künftigen Nutzung“ des dortigen Opel-Standortes befassen soll. Das klingt nach Schließung des Bochumer Opel-Werks, nach Arbeitskampf und jeder Menge Negativschlagzeilen – VW-Chef Martin Winterkorn kann sich freuen. Quelle: dapd
Fiat: Hoffnungsschimmer ChryslerHätte Fiat 2011 nicht den US-Autobauer Chrysler übernommen, sähe es heute düster aus für den Autokonzern. In den ersten neun Monaten erwirtschaftete die Fiat-Chrysler-Gruppe einen Nettogewinn von gut einer Milliarde Euro – ohne Chrysler wäre ein Verlust von 800 Millionen Euro angefallen. Ein tiefer Absturz, verglichen mit dem Vorjahr: Da lag die Marke Fiat noch mit 1,2 Milliarden Euro im Plus. Der Ausblick des Konzerns in der vergangenen Woche war so düster, dass die Aktie einbrach und zeitweise vom Handel ausgesetzt werden musste. Nun berät Fiat-Chef Sergio Marchionne mit Gewerkschaftern, wie es weitergehen kann. Gut möglich, dass er dem Vorbild von Ford folgt und ein Werk dichtmacht. Marchionne verfolgt zudem einen radikalen Plan: den Zusammenschluss von Fiat, PSA und Opel zu einem mächtigen VW-Gegenspieler. Bislang blitzte er damit aber bei PSA und GM ab. Quelle: REUTERS
Ford: Starker US-MutterkonzernIm dritten Quartal 2012 verbuchte Ford mit 1,7 Milliarden Euro so viel Gewinn wie noch nie in einem dritten Quartal. Und das, obwohl das Europa-Geschäft allein in diesen drei Monaten 468 Millionen Dollar Verlust einfuhr. Konzernchef Alan Mulally zieht nun die Reißleine. Drei Werke in Belgien und Großbritannien mit insgesamt 5.700 Mitarbeitern wird er dichtmachen. Mulally geht bei dem Abbau von Überkapazitäten in Europa nicht nur mutig voran. Er zeigt auch dem Wettbewerber GM, wie er Opel sanieren könnte, ohne ständig die Marke zu ramponieren. Denn anders als GM bekannte sich Mulally stets zu seinem Europa-Geschäft und brachte die Schließungen erst ins Spiel, als sie unabwendbar waren. So blieben lange, imageschädigende Debatten über Sanierungspläne und Werkschließungen aus. Nach den harten Einschnitten könnte Ford schnell wieder in die Erfolgsspur zurückkehren und sich gegen VW behaupten. Quelle: REUTERS

Der einstige Revolutionär Toyota hat begonnen, sich gegen den Konterrevolutionär aus Wolfsburg zu wappnen. Die Konzernführung in Toyota-Stadt hat erkannt, dass sich Autos allein über die Tugenden Qualität und Zuverlässigkeit nicht mehr verkaufen lassen. Die Kunden fragen vermehrt auch nach attraktivem Design und begehrten Marken. Hier hat VW mit seiner Markenpalette vom Winzling Up bis zur über 100.000 Euro teuren Porsche-Limousine Panamera einen großen Vorsprung.

So bewerten deutsche Medien Toyota und VW (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Toyota will nun auf neuen Plattformen ähnliche Autos für jeweils drei Weltregionen bauen, die mehr dem dortigen Geschmack entsprechen. So soll es gleiche Fahrzeuge jeweils für Nordamerika und China, Japan und Europa sowie die Schwellenländer geben. Entwickelt werden nur noch drei Fahrzeuggattungen: kompakte Sportwagen mit Hinterradantrieb (wie der neue Flitzer GT 86), Massenmodelle (wie Corolla, Camry) einschließlich Ökowagen (Prius) sowie Nutzfahrzeuge (Vans, Taxen, Kleinlaster).

So innovativ sind Toyota und VW (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Wenngleich Kostensenkungen für Toyota nicht im Vordergrund stehen, reizt die Japaner dennoch das Einsparpotenzial der Vereinheitlichung. „Durch einen globalisierten Designprozess lässt sich die Zahl der Plattformen verringern“, betont Produktionsexperte Fujimoto. So will Toyota nach eigenen Angaben die Zahl der Plattformen mit Vorderradantrieb von neun auf fünf senken. Dadurch wächst die Zahl gleicher Teile, die Kosten schrumpfen.

Die Pläne der Japaner

Zugleich planen die Japaner, wie sie selbst sagen, „hypereffiziente“ Werke. Wie die aussehen, lässt sich im ostjapanischen Miyagi bestaunen. Dort steht das Vorbild für die neue Generation der Toyota-Fabriken. Entgegen aller Gewohnheiten stehen die Fahrzeuge hier bei der Montage quer zur Bewegungsrichtung, also Seite an Seite statt Stoßstange an Stoßstange. Dadurch wird die Fertigungsstraße 35 Prozent kürzer und die Fabrik kompakter, die Werker müssen weniger Schritte gehen und sparen Zeit zwischen einzelnen Handgriffen.

In Miyagi gibt es auch keine hoch hängenden Chassis-Oberteile mehr, die auf den Unterboden der Fahrzeuge gesetzt werden. Die Fabrikhalle wird dadurch flacher und preiswerter. Allein die Kosten fürs Heizen und Kühlen schrumpfen um 40 Prozent. Die neue Montagetechnik benötigt nur halb so viele Mitarbeiter und nur die Hälfte der Fläche. Die Investitionskosten für diesen Produktionsabschnitt sinken um die Hälfte.

Der Ruf von Toyota und VW im Vergleich (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Die Toyota-Planer zeigen sich in Miyagi wieder einmal vor allem im Detail innovativ. In der Montage verzichten sie zum Beispiel so weit wie möglich auf teure Geräte. Früher wurden Autoteile mit Maschinen oder Förderbändern an die Arbeitspunkte am Band transportiert. In Miyagi werden die Teile in Kisten zusammengestellt, die über schräge Bahnen auf Rollen an ihren Platz rutschen. Durch verkürzte Wege braucht es weniger Schweißroboter, die installiert und programmiert werden müssen. An einigen Stellen nehmen die Arbeiter den Schweißbrenner sogar selbst in die Hand. Auch die Lackiererei hat sich etwas einfallen lassen: Die dritte Farbschicht wird schon aufgetragen, während die zweite noch halb feucht ist. Dadurch wird die Lackierstraße kürzer und braucht ein Siebtel weniger Energie.

Stolperstein Qualität

Der Baukasten von Volkswagen
Der Modulare Querbaukasten Quelle: Pressebild
Audi A3 Quelle: dapd
Golf VII Quelle: Pressebild
Scirocco Quelle: Pressebild
TiguanAuch der SUV Tiguan basiert beispielsweise auf der Golfplattform. Wenn nötig können Tiguan, Golf und Passat bald auf einem Band produziert werden. (Im Bild: Produktionsstraße für Golf und Tiguan) Quelle: dpa
Skoda Octavia Quelle: Pressebild
New Beetle Quelle: Pressebild

Dem Volkswagen-Management entgehen die gewaltigen Anstrengungen der Japaner nicht. Die Vorstände um Konzernchef Winterkorn werden deshalb nicht müde, die Belegschaft vor voreiligem Siegesgeheul zu warnen. Man dürfe den japanischen Konzern nur wegen seiner zwischenzeitlichen Qualitätsprobleme nicht vorschnell abschreiben, sagt etwa Entwicklungschef Hackenberg. „Ich glaube, Toyota ist ein hervorragendes Unternehmen mit sehr viel Know-how und Potenzial.“

Für Hackenberg ist Toyota Vorbild und abschreckendes Beispiel zugleich. Weil Toyota seine Massenmodelle weltweit in besonders großen Stückzahlen verkauft, führten einzelne fehlerhafte Teile zu Rückrufaktionen von nie da gewesenem Ausmaß. Ähnliches könnte VW blühen, wenn die Baukastenstrategie weltweit greift.

Winterkorn hat die Qualitätssicherung deshalb zur Chefsache erklärt und fordert von seinen Leuten eine „Kultur der Wachsamkeit“. Die Zahl der Mitarbeiter in der Qualitätssicherung sei massiv aufstockt worden, berichten Insider. Produktionschef Waltl hat sich sogar schon überlegt, wie er bei defekten Zulieferteilen die Zahl der Rückrufe begrenzen kann: Die Zulieferer wissen durch die Just-in-time-Produktion genau, welche Teile sie wann an VW geschickt haben. Diese Daten speichert VW künftig und kann sie, wenn erforderlich, den produzierten Fahrzeugen genau zuordnen. Gibt es Probleme, weiß VW, welche Autos betroffen sind, und muss nicht vorsorglich Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten rufen.

Toyota greift nach der Autokrone
Verlierer - Platz 5: MitsubishiDie japanischen Mitbewerber wachsen wieder, nur Mitsubishi kommt nicht aus der Krise. Im zweiten Quartal kommen die Japaner laut einer Studie von Ernst & Young auf einen Umsatz von 4,14 Milliarden Euro. Um Währungseffekte bereinigt sind das rund drei Prozent weniger als im Vorjahresquartal. Quelle: AP
Verlierer - Platz 4: Peugeot/CitroënDie Franzosen trifft die Schwäche auf dem Heimatmarkt mit voller Wucht, denn 58 Prozent der Produktion werden in Europa verkauft. Weltweit schrumpften die Absätze im zweiten Quartal um fünf Prozent. Quelle: rtr
Verlierer - Platz 3: General MotorsAuf dem Heimatmarkt präsentiert sich der US-Autoriese in glänzender Verfassung. Doch die Absatzkrise in Europa verhagelt auch General Motors die Bilanz, was GM-Chef Dan Akerson zunehmend ungeduldiger werden lässt. Der Umsatz schrumpfte im zweiten Quartal um Währungseffekte bereinigt um fünf Prozent. Quelle: dapd
Verlierer - Platz 2: FordIm Kölner Werk musste Ford zuletzt Kurzarbeit anmelden. In Europa haben die US-Amerikaner zuletzt deutlich weniger Autos verkauft. Ohne Währungseffekte schrumpfte der weltweite Umsatz im zweiten Quartal um satte sieben Prozent. Quelle: dpa
Verlierer - Platz 1: FiatFiat-Chef Sergio Marchionne ist derzeit der große Verlierer der Autobranche: Weltweit ist der Umsatz der Italiener im zweiten Quartal um acht Prozent eingebrochen. In Westeuropa ist die Lage noch düsterer: Dort schrumpfte der Umsatz sogar um satte 19 Prozent. Quelle: dapd
Gewinner - Platz 5: VolkswagenIn China legt der Absatz kräftig zu, auch in den USA sind die Wolfsburger auf der Überholspur und selbst im schwierigen europäischen Markt sank der Absatz im zweiten Quartal nur leicht. Weltweit kann VW ein deutliches Umsatzplus von 19 Prozent vorlegen. Ein gutes Ergebnis, das sogar noch durch die Konsolidierung von MAN eingetrübt wird. Quelle: dpa
Gewinner - Platz 4: ChryslerWährend Mutterkonzern Fiat schwächelt, haben sich die Amerikaner von der Krise erholt und schreiben längst wieder schwarze Zahlen. Weltweit legte der Umsatz im zweiten Quartal um Währungseffekte bereinigt um 23 Prozent zu. Kein anderer amerikanischer Volumenhersteller wächst derzeit schneller. Quelle: dapd

Das Beispiel zeigt: Ohne engen Schulterschluss mit den Zulieferern wird das Konzept nicht aufgehen. Immerhin steuern die Lieferanten heute über zwei Drittel des Wertes eines Autos bei. 200.000 neue Stellen könnten durch die Baukastenstrategie bei ihnen entstehen, weil sich die bestellten Mengen drastisch erhöhten, versprach unlängst VW-Entwicklungschef Hackenberg. Allerdings gilt die Rechnung nur für Zulieferer, die die Wolfsburger nach der Umstellung ihres Produktionssystems weiter berücksichtigen. Wer es nicht in den VW-Baukasten schafft, ist raus – weltweit.

Nervöse Lieferanten

Umgekehrt gilt: „Wer drin ist, hat erst mal ausgesorgt“, sagt der Manager eines großen deutschen Komponenten-Zulieferers. Tendenziell dürfte sich die Zahl der VW-Zulieferer eher verringern. Systemlieferanten, die komplette Komponenten wie Getriebe, Klimaanlagen oder Lenkungen fertigen, dürften weniger Probleme bekommen, weil sie für viele Autohersteller arbeiten.

Experten schätzen, dass von den Zulieferern aus der zweiten oder dritten Reihe jedoch etliche auf der Strecke bleiben werden. Entsprechend groß ist die Nervosität bei den Lieferanten. Kaum jemand von ihnen mag sich zu den Plänen von VW äußern. „Da geht es um revolutionäre Änderungen bei einem der größten Autohersteller. Was es da zu klären gibt, regeln wir bilateral“, meint der Manager eines Zulieferers schmallippig.

High-Tech und Spitzenqualität

Die Schicksalsmodelle der Autobauer
Volkswagen Golf I Quelle: dpa
Volkswagen Golf VII Quelle: dapd
Porsche 911 Carrera Quelle: Presse
Porsche 911 Carrera neu Quelle: Presse
Toyota Corolla 1966-1970 Quelle: Presse
Toyota Auris neu Quelle: Presse
BMW 520 Quelle: Charles01

Der Kugel- und Wälzlagerhersteller Schaeffler im fränkischen Herzogenaurach fürchtet nicht, dass für ihn der Preisdruck durch VW zunimmt. Bei den Teilen, die Schaeffler etwa für die neuen, sparsamen 1,4-Liter-Motoren zuliefert, gehe es vor allem um eine Reduktion von Gewicht, um die Aggregate kleiner und sparsamer zu machen, sagt Wolfgang Dangel, Mitglied des Vorstandes Automotive. „Das erfordert High Tech und Spitzenqualität, und das relativiert für uns den Preisdruck.“

Das sehen die Verantwortlichen beim Reifen- und Elektronikhersteller Continental in Hannover, an dem Schaeffler beteiligt ist, nicht viel anders. „Es steigt die Verantwortung hinsichtlich Qualität und Liefersicherheit, aber auf der anderen Seite erhöhen die größeren Stückzahlen für uns auch Mengenvorteile und Planungssicherheit“, meint Sven-Uwe Niemann, Manager für das Geschäft mit Volkswagen bei Continental. Solche Kostenvorteile kann der Zulieferer dann an den Autohersteller weitergeben.

Die anderen Autobauer werden nachziehen

Hinzu kommt: Sollte es mit dem Baukastenprinzip bei VW keine größeren Probleme geben, dürften über kurz oder lang auch andere große Autohersteller nach ziehen. „Wer sich als Lieferant erfolgreich für den VW-Baukasten qualifiziert hat, verschafft sich damit auch eine gute Ausgangsposition für andere Autobauer“, sagt Continental-Manager Niemann.

Diese Automarken haben die treusten Kunden(zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Sollte am VW-Wesen am Ende die ganze Autoindustrie genesen? Die deutschen Konkurrenten BMW und Daimler versuchen, den Ball flach zu halten. Effizient produzieren, das können wir auch, heißt es. Doch intern grassiert die Angst, dass vor allem der Rivale Audi dank der wachsenden Verzahnung mit VW und Porsche noch kostengünstiger produzieren kann als heute – und mit kämpferischen Preisen in den Markt geht. Sogar die Marke VW müssen BMW und Daimler im Blick haben, da sie mit kleineren Fahrzeugen (BMW Mini, 1er-BMW, Mercedes A- und B-Klasse) gegen die Wolfsburger antreten.

Technische Gleichschaltung unter der Karosse und in der Produktion, nicht jedoch in der Anmutung der Fahrzeuge – VW-Chef Winterkorn weiß, dass er mit diesem Traum nicht allein steht in der Branche. BMW und Daimler etwa verfolgen ähnliche Strategien. Er könne sich vorstellen, sagt Winterkorn, das erworbene Know-how eines Tages mit anderen Autobauern zu teilen. Noch sei die Zeit dafür aber nicht reif – denkbar sei das „erst in der nächsten Entwicklungsstufe“.

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