Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier strahlte: Ein „besonderer Tag der Freude“ sei das für Opel, für Rüsselsheim und für ganz Hessen, sagte er, als er das neue Opel-Entwicklungszentrum für Antriebe eröffnete. 210 Millionen Euro hatte die Tochter des amerikanischen Autokonzerns General Motors (GM) in das siebenstöckige Gebäude investiert. Über 800 Ingenieure und Techniker sollten dort fortan an der Zukunft arbeiten. Und weil es so ein großer Tag für Hessen war, weil Opel „seit mehr als 150 Jahren ein Teil von Hessen ist“ und weil die Investition „ein besonderes Bekenntnis zum Standort“ sei, überreichte Bouffier Opel-Chef Karl-Thomas Neumann ein Geschenk – den Hessen-Löwen, der seine Pranke zeigt. Wer die sehe, sagte der Politiker, wisse: „Das Land Hessen droht nie, wir grüßen immer.“
Das war Mitte Oktober. Und etwas voreilig.
Nur vier Monate später ist aus der Grüße-Pranke eine Faust geworden. Denn GM will seine Europatochter Opel (und deren britische Schwester Vauxhall) an den französischen Konzern PSA Peugeot Citroën verkaufen. Und plötzlich wird real, was ein kollektiver Selbstbetrug von Politik, Gewerkschaftern und Betriebsräten seit mehr als zehn Jahren aufgeschoben hat: ein Kahlschlag bei dem traditions- wie problemreichen Unternehmen, das in Deutschland mehr als 18.000 Menschen beschäftigt.
Hintergründe zur PSA Group
Der vom Staat gestützte französische Autobauer PSA Peugeot Citroën hat im vergangenen Jahr weltweit über 3,1 Millionen Fahrzeuge abgesetzt. Der französische VW-Konkurrent mit den Marken „Peugeot“, „Citroën“ und „DS“ sieht sich in Europa schon länger als Branchenzweiter.
Konzernchef Carlos Tavares fuhr in den vergangenen Jahren einen harten Sanierungskurs unter anderem mit Werkschließungen und Jobabbau. Um das vor drei Jahren stark angeschlagene Unternehmen zu retten, schoss unter anderem der französische Staat Geld zu und hielt zuletzt rund 14 Prozent der Anteile.
Auch der staatlich kontrollierte chinesische Hersteller Dongfeng stieg 2014 bei dem Traditionsunternehmen mit 14 Prozent ein. Der Einfluss der Peugeot-Familie sank im Zuge der Sanierung hingegen beträchtlich.
Der Umsatz betrug im vorvergangenen Jahr 54,7 Milliarden Euro; neuere Jahreszahlen liegen nicht vor. Der Konzern beschäftigte 184.000 Mitarbeiter.
Unlängst schaltete die französische Antibetrugsbehörde nach Untersuchungen zu Diesel-Abgasen bei PSA die Justiz ein. Ein entsprechendes Dossier ging an die Staatsanwaltschaft. Es liegt nun an der Justiz, über eventuelle Folgen zu entscheiden. Der Konzern betonte, er habe seine Fahrzeuge niemals mit Betrugs-Software ausgestattet.
Eine mögliche Veränderung dürfe, meldete sich Bouffier sofort zu Wort, „nicht zulasten des Standorts und der hiesigen Arbeitsplätze“ gehen. Und auch in Berlin entstand größere politische Erregung. „Ich finde es nicht akzeptabel, dass eine solche Entscheidung an die Öffentlichkeit gelangt, ohne dass vorher mit Betriebsrat, IG Metall oder der Landesregierung darüber gesprochen worden ist“, maulte Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) und war sich darin mit ihren Kabinettskollegen einig. Da konnte PSA-Chef Carlos Tavares noch so umgehend versichern, er sei „sehr offen und will Frau Merkel und die Gewerkschaftsvertreter zum Dialog treffen“ und GM-Chefin Mary Barra flugs zu Gesprächen nach Rüsselsheim reisen – die politische Aufregung war in der Welt.
Dieses Mal ist die Lage anders als bei früheren Opel-Krisen
So weit folgte das Prozedere dem Drehbuch, das sich für jede Opel-Krise eingespielt hat. Eine Mahner-Koalition aller Parteien (das Unternehmen hat Werke im schwarz-grünen Hessen, im rot-grün-gelben Rheinland-Pfalz und im rot-rot-grünen Thüringen) und Gewerkschaften verhinderte bisher, dass sich eine Einsicht durchsetzt: dass Opel in einem Negativkreislauf aus wenig attraktiven Modellen, sinkenden Marktanteilen und fehlender Größe für die anstehenden Megainvestitionen in Digitalisierung und Elektrisierung gefangen ist.
Deswegen fanden sich meist Kompromisse, die das Unternehmen weiterleben ließen. Und doch ist es dieses Mal anders: In den vergangenen Krisen ging es GM darum, mithilfe der Politik günstig aus der jeweiligen Problemlage zu kommen. Deshalb hatte die Politik einen Hebel in der Hand. Alles, was in dieser Woche aber aus der Politik verlautete, zeigte Hilflosigkeit. Denn nun geht es um einen Handel unter Konzernen.
Schaut man sich dann die Performance von Opel an, die 15 Milliarden Dollar Verlust der vergangenen 16 Jahre, und schaut man dann, wie Tavares bisher sein Unternehmen führt, ahnt man: Zwar würde ein PSA-Opel in Europa hinter Volkswagen die Nummer zwei werden; allerdings wohl auf Kosten von Opel. Sollte der Deal zustande kommen, droht Opel ein Ende mit Ansage.
Opels Produktionsstandorte in Europa
Am Opel-Hauptsitz arbeiten 14.850 Beschäftigte, davon gut die Hälfte im Entwicklungszentrum. Die Produktion hat rund 3000 Arbeitnehmer. Sie bauen den Mittelklassewagen Insignia in mehreren Varianten, den Zafira sowie Getriebe und Komponenten.
Quelle: Reuters, Stand: 19. April 2018
Der Standort in Rheinland-Pfalz hat 2130 Beschäftigte. Sie produzieren Motoren und Fahrwerkskomponenten.
In Thüringen laufen die Kleinwagen Corsa und Adam vom Band. Im Werk Eisenach arbeiten 1790 Menschen.
In dem polnischen Werk sind knapp 3050 Mitarbeiter beschäftigt. Sie bauen den Kompaktwagen Astra und das Cabrio Cascada und den Sportwagen Opel GTC. In Tychy stellen 400 Beschäftigte Motoren her.
In dem spanischen Standort bei Saragossa laufen Corsa, Meriva, der SUV Mokka und der Stadtgeländewagen Crossland X vom Band. Der Standort hat 5170 Arbeitsplätze.
Im Werk Ellesmere Port arbeiten 1470 Beschäftigte. Hier werden ebenfalls Astra-Modelle produziert.
Der Standort Luton nördlich von London hat 1240 Arbeitnehmer und baut den Kleintransporter Vivaro.
In dem österreichischen Werk nahe Wien arbeiten 1330 Menschen. Dort werden Motoren und Getriebe hergestellt.
Die Fabrik in Ungarn produziert mit 1160 Arbeitnehmern Motoren und Komponenten.
Wie real dieses Szenario ist, zeigt der Blick auf die Reaktionen in Branchenkreisen. Die Autowelt rätselt, wieso GM seine Europatochter verkaufen will und warum PSA Opel kaufen wollen sollte. „Es macht keinen Sinn, dass sich GM auf einen Schlag komplett aus Europa zurückzieht“, sagt ein erfahrener Autoberater. In Rüsselsheim stehe das weltweit zweitgrößte technische Entwicklungszentrum von GM. Dort arbeiten insgesamt 7700 Mitarbeiter an neuen Modellen. „Das wieder auseinanderzureißen ist so, als ob man versucht, aus einem Rührei wieder Eiweiß und Eigelb zu machen“, sagt der Berater.