Es ist ein Affront gegen den amtierenden VW-Chef Martin Winterkorn. Ferdinand Piëch, Aufsichtsratsvorsitzender und Patriarch des Wolfsburger Konzerns, hat am Wochenende völlig überraschend über das Nachrichten-Magazin Spiegel bestellen lassen: "Ich bin auf Distanz zu Martin Winterkorn." Warum, wieso? Das lässt er offen.
Sicher bei Volkswagen läuft derzeit nicht alles rund. Die Probleme auf dem amerikanischen Markt gelten als hausgemacht. Während Mercedes und BWM von dem sich rasant erholenden Markt stark profitieren, konnte VW seinen Absatz nicht steigern, im Gegenteil über viele Monate nahmen die Verkaufszahlen ab.
Wer Winterkorn nachfolgen könnte
Zumindest in einem Punkt steht Herbert Diess schon jetzt als Nachfolger von Martin Winterkorn fest: Im Juli soll er das Amt des VW-Markenchefs übernehmen. Winterkorn hat den früheren BMW-Entwicklungsvorstand persönlich für diese Ausgabe ausgewählt – und vom bayrischen Konkurrenten abgeworben. In der Branche gilt Diess als fähiger Manager mit Ambitionen zu Höherem. Bis er ihm Herbst überraschend zu VW wechselte, legte er bei BMW eine steile Karriere hin. Für viele zählte er sogar zum Kreis der möglichen Nachfolger von Konzernchef Norbert Reithofer.
Seit dem Februar 2015 ist Andreas Renschler Chef der Nutzfahrzeugsparte des VW-Konzerns. Er soll aus der gelähmten LKW-Sparte um MAN und Scania endlich eine schlagkräftige Einheit formen. Für den neuen Job und den Posten im VW-Aufsichtsrat hat er seinen Job als Produktionschefs bei Daimler an den Nagel gehängt – zur Überraschung vieler Branchenkenner. Denn dort wurde er sogar als Nachfolger von Dieter Zetsche gehandelt. Wie Herbert Diess wäre Renschler wohl eher ein Interims-Nachfolger für Martin Winterkorn denn langfristige Lösung.
Porsche-Chef Matthias Müller lenkt mit dem Sportwagenbauer einen der wichtigsten Gewinnbringer der VW-Gruppe. Schon allein deshalb wird der 61-Jährige als möglicher Nachfolger von Martin Winterkorn gehandelt. Etwaigen Spekulationen hat Müller schon einen Riegel vorgeschoben: „Ich bin kein potenzieller Nachfolger für Herrn Dr. Winterkorn“, erklärte Müller noch Anfang Januar. Er sei zu alt für den Job, sagte er – offenbar in der Annahme, eine Nachfolge-Debatte läge noch in weiter Ferne.
Für Müller gibt es offenbar trotzdem kaum einen Grund, seine Position bei Porsche aufzugeben. Er fühle sich „pudelwohl hier bei der tollsten Firma der Welt“, sagte er der WirtschaftsWoche im März.
Als Aufsichtsrat-Mitglied und Finanzchef weiß Hans Dieter Pötsch schon jetzt bestens über alle Entwicklungen im VW-Konzern Bescheid. Seit er 2003 den Posten des Finanzchefs übernommen hat, musste er bereist so manche Mammutaufgabe meistern. Wie die komplizierte Integration von Porsche ins Volkswagen-Reich gelang es ihm meist ziemlich gut. Der Wirtschaftsingenieur hat es deshalb zu einigem Ansehen und Einfluss im Konzern gebracht.
VW-Entwicklungsvorstand Heinz-Jakob Neußer wird allenfalls als Nachfolge-Kandidat aus der zweiten Reihe gehandelt. Er verantwortet zwar die Weiterentwicklung der Kernmarke VW, ist aber bislang kein Mitglied des Aufsichtsrats. Allerdings erfüllt er eine wichtige Bedingung, die Ferdinand Piëch für das Spitzenpersonal im VW-Konzern formuliert hat: Der Maschinenbau-Ingenieur verfügt er über viel technisches Know-how.
Zu viel Macht sei in Wolfsburg hieß es, zu lange die Entscheidungswege, zu wenig habe man sich mit den Eigenheiten und Bedürfnissen der amerikanischen Kundschaft auseinander gesetzt. Diese Probleme hat der Konzern mittlerweile erkannt. Neue Modelle wie der SUV Cross Blue und kürze Abständen zwischen den Modellüberarbeitungen sollen dafür sorgen, dass sich künftig mehr Amerikaner für einen Volkswagen entscheiden. Bis die Maßnahmen greifen, werden aber sich drei, wenn nicht mehr Jahre ins Land gehen.
Für Verstimmung sorgte auch die schwache Rendite von 2,5 Prozent der VW-Kernmarke Volkswagen. Als Reaktion legte Winterkorn ein Effizienzprogramm auf fünf Milliarden Euro jährlich sollen eingespart werden. VW-Konzernbetriebsratschef Osterloh sprach von noch weit größerem Sparpotenzial, indem man etwa bei der großen Variantenvielfalt ansetze. Aber: Auch hier geht es voran. Wenn man etwas Martin Winterkorn nicht vorwerfen kann ist es Untätigkeit. Unter seinem Führung hat sich Volkswagen hinter Toyota zum zweitgrößten Autokonzern der Welt entwickelt. Zwölf Marken vereint das VW-Dach, dank des technischen Baukastensystems, dem Modularen Längs- und Querbaukasten - teilen sich viele Marken ein und dieselbe Plattform. Das spart Milliarden in der Produktion, erhöht die Flexibilität.
VW ist ganz und gar kein Sanierungsfall und die angesprochenen Probleme wie der US-Markt sind keine neuen Entwicklungen. Eben so wenig wie die große Abhängigkeit vom chinesischen Markt, die immer wieder als zu große Abhängigkeit des Konzerns von einer Boomregion kritisiert wird und der zu langsame und holprige Anlauf der vereinheitlichten Produktion, wegen der im übrigen der verantwortliche Produktionsvorstand Michael Macht im Sommer 2014 seinen Hut nehmen musste.
Es klingt also wenig plausibel, wenn Renditeschwäche, zu große Abhängigkeit von China oder Schwäche auf dem US-Markt plötzlich als Argument für Piëch abgekühltes Verhältnis zu Winterkorn herhalten sollen.
Wahrscheinlicher ist, dass der Konflikt zwischen dem Konzernlenker und dem Aufsichtsratschef schon lange geschwelt haben muss. Ein möglicher Grund könnte Winterkorns in der Öffentlichkeit viel diskutierter Wunsch sein, nach seiner Zeit an der Konzernspitze in den Aufsichtsrat einziehen und dort die Führung übernehmen zu wollen. Das Handelsblatt hatte in einem Artikel 2013 Spekulationen über Piëchs Gesundheitszustand geäußert und gleichzeitig über die Wechselabsichten von Winterkorn vom Chef- in den Aufsichtsratssessel berichtet.
Eine Intrige vermutet
Piëch soll hinter den Gerüchten eine Intrige aus dem Umfeld Winterkorns vermutet haben. Das Handelsblatt suchte dies zu entkräften, man haben ohne Zutun des Vorstandsvorsitzenden berichtet. So ganz scheint Piëch das bis heute nicht zu glauben. Das mag auch daran liegen, dass Mark C. Schneider, der ehemalige Handelsblatt-Redakteur und Autor eben jenes Artikels, von Winterkorn ausgewählt wurde, seine Biografie zu schreiben.
Ob dies der einzige und tatsächliche Grund dafür ist, dass Piëch nun seinem Vorstandsvorsitzenden das Vertrauen entzog, dieses Dunkel könnte sich schon in den nächsten Tagen erhellen. Piëch und Winterkorn sollen sich zu Gesprächen treffen.
Aktuell sieht es so aus, dass sich Winterkorn nun noch wenig Hoffnungen darauf machen kann, dass sein Vertrag, der Ende 2016 ausläuft verlängert wird - ein Einzug in den Aufsichtsrat scheint ebenfalls in weite Ferne gerückt.
Wer aber könnte Winterkorn beerben, sollte dieser den Hut nehmen?
Bisher ist kein Kronprinz in Sicht. Der Ex-BMW-Manager und künftige VW-Markenvorstand Herbert Dies gilt zwar als harter Sanierer und zielstrebiger Manager, einer dem man noch viel zutraut. Doch er tritt seinen neuen Posten erst zum Juli an. Dass er binnen anderthalb Jahren an die Gesamt-Konzernspitze aufrückt, ist zwar nicht gänzlich unmöglich, aber sehr sportlich gedacht. Betriebsratschef Bernd Osterloh hätte zudem gerne wie bisher einen Ingenieur an der Spitze. Betriebswirte wie es etwa Audi-Chef Rupert Stadler ist, will Osterloh nicht unterstützen.
Porsche-Chef Matthias Müller, der eben in den VW-Vorstand berufen wurde, gilt ebenfalls als aussichtsreicher Kandidat für eine Interimslösung. Spekulationen, er sei oder halte sich zu alt für eine solche Aufgabe, räumte er gegenüber der WirtschaftsWoche aus: "Meine Meinung ist (...), dass man auch über einen Generationswechsel nachdenken sollte, wenn sich die Frage eines Tages stellt. Und wenn man über einen Generationswechsel spricht, dann denke ich nicht, dass ich dafür dann noch der richtige Mann bin. Im Moment fühle ich mich überhaupt nicht alt (...)."
Die nächsten Tage und Wochen werden für Winterkorn zu einer Hängepartie werden. Bei seinem ersten offiziellen Auftritt nach der Veröffentlichung des Piëch-Zitats ließ sich Winterkorn von all dem Trubel um seine Person, nichts anmerken. In gewohnter Manier empfing er Bundeskanzlerin Merkel und Indiens Premier Narendra Modi während dem traditionellen Messerundgang auf dem VW-Stand. Von einer besonderen Anspannung keine Spur. Nach einem kurzen Plausch über den ausgestellten VW Vento, der im indischen Pune gefertigt wird, zog der hochrangige Besuch weiter zum nächsten Stand. Und Winterkorn verabschiedete sich durch den Seitenausgang, um den wartenden Kameras zu entgehen.
Tut Winterkorn so ruhig oder prallt die Aussage des Aufsichtsratschef tatsächlich an ihm ab? Fakt ist: Winterkorn hat eine Reihe mächtiger Befürworter. Nicht nur der Betriebsrat steht hinter ihm auch die Familie um Wolfgang Porsche, der zweite Ast der Porsche-Holding, dem Mehrheitseigener von VW, hat an Winterkorn nichts auszusetzen. Die Porsche-Familie bezeichnet die Aussage von Cousin Ferdinand Piëch als nicht abgestimmte "Privatmeinung".
Was VW 2014 in den USA verkauft hat
29.182 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
Quelle: CAR-Institut der Universität Duisburg-Essen
9.995 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
3.411 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
33.675 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
160.873 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
96.649 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
1.103 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
25.121 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
6.961 verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2014
Die Familien Porsche und Piëch halten gemeinsam über die schwäbische Porsche-Holding PSE die Mehrheit im VW-Konzern. Sie hängt an den stimmberechtigten Stammaktien der Wolfsburger. Mit ihrer Stimmenmehrheit können die Porsches und Piëchs bei VW noch lange nicht durchregieren. Denn auf ihrer Kapitalseite stehen zwei der insgesamt zehn Aufsichtsratssitze dem zweitgrößten VW-Eigner Niedersachsen zu. Derzeit vertreten Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und sein Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies (beide SPD) die Beteiligung des Landes im Kontrollgremium. Die Vergangenheit zeigte mehrfach, dass Arbeitnehmerseite und Land als Allianz agierten.
Für eine Absetzung Winterkorns müsste dieser sich laut Aktiengesetz eine „grobe Pflichtverletzung“ geleistet haben oder „unfähig zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung“ sein. Und laut Mitbestimmungsgesetz müssten zudem für sein Aus mindestens 14 der 20 Kontrolleure stimmen.
Das kann sich derzeit in Wolfsburg niemand vorstellen, zumal keine der beiden Gründe vorliegen. Eine schnelle Lösung des Konflikts scheint dennoch nicht in Sicht.