Porsche-Digital-Chef Thilo Koslowski „Der reine Silicon-Valley-Tourismus ist ein Fehler“

Wozu braucht ein Sportwagenbauer wie Porsche digitale Geschäftsmodelle? Im Interview spricht Porsche-Digital-Chef Thilo Koslowski über die Innovationskultur im Silicon Valley und warum neue Technologien scheitern können.

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Porsche-Digital-Chef Thilo Koslowski. Quelle: Presse

WirtschaftsWoche Online: Herr Koslowski, Volumenhersteller haben Angst, von Mobilitätsdiensten abgelöst zu werden. Wozu braucht ein Autobauer wie Porsche, der von ganz anderen Werten lebt, digitale Geschäftsmodelle?
Thilo Koslowski: Wir haben keine Angst, aber das Thema treibt uns um. Wir verfolgen allerdings eine andere Richtung als die Volumenhersteller: Der Besitz eines Autos steht bei uns nicht infrage, aber das Auto muss Teil des digitalen Lebensstils werden. Künftig ist das Auto unser ultimatives mobiles Device. Die Marke Porsche verspricht eine besondere Experience. Wir müssen uns überlegen, wie wir diese digital erweitern können.

Warum braucht es dazu eine Porsche Digital GmbH und nicht nur ein Think Tank irgendwo zwischen Entwicklungsabteilung und Vertrieb?
Wir müssen wir die Prozesse, Denkweise, die Zusammenarbeit mit Partnern und vor allem die Geschwindigkeit anders gestalten. Deshalb war es notwendig, die Porsche Digital GmbH als eigenständiges Unternehmen zu gründen anstatt eine Business Unit, die in dem traditionellen Strukturen gefangen ist. Eine eigene Firma, die mit dem Mutterschiff stark vernetzt ist, hat mehr Freiheiten. Das zeigt sich etwa in unserer Organisation und Kultur, wir haben zum Beispiel so gut wie keine Hierarchien und können Technologien intern ganz anders nutzen.

Sagt Porsche-Chef Oliver Blume Ihnen, was Sie zu tun haben oder Sie ihm?
Wir pflegen ein sehr konstruktives Miteinander, aber er ist der Chef. Er weiß, dass ich aufgrund meiner 20 Jahre im Silicon Valley viel Expertise mitbringe. Als die Gespräche noch mit dem früheren Porsche-Chef Matthias Müller angefangen haben, hatte ich eine klare Vision, wie die Automobilindustrie in Zeiten der Digitalisierung erfolgreich sein kann. Ich hatte die Möglichkeit, mit nahezu allen Autofirmen der Welt zusammenzuarbeiten, mit Großen, mit Start-ups, mit Venture-Capital-Gesellschaften, Versicherungskonzernen. Da habe ich gesehen, welche Innovationen wir brauchen, was wir von anderen Branchen lernen können, was in der Autoindustrie funktioniert und was nicht.

Zur Person

Zum Beispiel?
Einfach nur ein Ideen-Lab zu eröffnen ist zu wenig. Das haben viele Autofirmen gemacht, sind aber nach ein oder zwei tollen Ideen wieder in die alten Denkmuster zurückgefallen und haben eigentlich nichts von diesen Ideen auf den Markt gebracht. Was wir jetzt aufbauen, soll genau das verhindern.

Heute gehen viele Manager genau den anderen Weg – weg vom etablierten Großkonzern, hin zum agilen Start-Up. Warum sind sie aus dem Valley zurück nach Deutschland gegangen?
Ich bin nicht weggegangen, ich bleibe dem Silicon Valley weiter treu. Wir wollen das Netzwerk, das ich dort aufgebaut habe, weiter nutzen. Deshalb wird es nicht nur die Porsche Digital GmbH mit Sitz in Ludwigsburg geben, sondern auch bald etwas im Silicon Valley. Es gibt global noch einige weitere Standorte, die dazukommen werden.

Die wichtigsten Begriffe der neuen Mobilitätsdienste

Damit sind Sie aber nicht alleine, das machen andere auch.
Wir machen das anders. Der reine Silicon-Valley-Tourismus ist ein Fehler. Viele fliegen mal hin, schauen sich alles an, sind begeistert und fliegen zurück. Ich habe das hautnah erlebt und selbst einigen solchen Delegationen Einblicke gegeben. Viele denken nach einer Reise nach Kalifornien, dass sie das Thema Innovation verstanden hätten. Das ist aber eine reine Druckbetankung, die schnell wieder verpufft. Das Silicon Valley muss man erst durchdringen, um zu verstehen, was hinter dem Hype steht.

Wie verstehen Sie den Hype um einige Unternehmen aus dem Silicon Valley?
Es ist im Golden State nicht alles golden, was nach Gold aussieht. Firmen wie Uber leben von dem Hype um sie, nutzen ihn aber wie ein Tool. Wenn ich aber nicht die Substanz dahinter verstehe, bleibe ich in diesem Hype gefangen. Das ist genau der Fehler: Aus Impulsen handeln, aber ohne eine echte Strategie dahinter.

Was bedeutet das für Sie in Ihrer Arbeit heute?
Wir haben damit angefangen, eine Strategie und Vision zu definieren. Vieles davon hatte ich bereits im Hinterkopf, musste aber erst einmal Porsche als Unternehmen genauer kennenlernen, alle Fachbereiche verstehen und erfahren, wie Porsche tickt. Nur wenn man ans Mutterschiff andockt, bekommt man auch den Rest hin. Mit dieser Strategie und den mit dem Vorstand definierten Ziele haben wir das Fundament, auf dem wir die Lösungen im Fahrzeug und um das Fahrzeug aufbauen können. Das soll langfristig strategische Erfolge für Porsche geben und nicht nur kurzfristig ein paar Impulse setzen.

„Wir wollen keinen Porsche an jeder Ecke stehen haben“

In der Branche sind immer wieder Beispiele für digitale Geschäftsmodelle zu hören wie LED-Scheinwerfer, die man für bestimmte Fahrten buchen kann oder die Sitzheizung, die nicht einmalig 1000 Euro kostet, sondern als Pay-per-Use abgerechnet wird. Ist das alles?
Was Sie da beschreiben, ist ein Element davon. Wir können uns sehr gut vorstellen, dass wir dem Kunden künftig solche Optionen zugänglich machen. Die Technologie erlaubt es uns, das auch nachträglich freizuschalten. Wir möchten aber auch die Möglichkeit haben, ganz neue Dinge einzuführen, die über das Fahrzeug hinausgehen.

Und wie kann man sich Dienste über das Fahrzeug hinaus vorstellen?
Vom Fahrzeug ausgehend kommt natürlich zunächst die Mobilität – also der Bereich, in dem sich gerade die meisten Autobauer umschauen. Wir übrigens auch, aber mit einem anderen Blickwinkel. Wir wollen keinen Porsche an jeder Ecke stehen haben, sondern wir wollen unseren Kunden eine End-to-End-Mobilität bieten. Wenn unser Kunde zum Flughafen muss, wird er das je nach Modell möglicherweise nicht in seinem Porsche tun – wir werden aber dennoch ein maßgeschneidertes Angebot für ihn haben.

Ich kann aber noch andere Dienste um den Porsche im Zentrum aufbauen. Es gibt zwischen dem Aufstehen und dem Schlafengehen so viele Dinge, die nicht für Sie optimiert sind – die Technologie dafür gibt es aber schon. Je mehr dieser Teile jetzt entstehen, umso klarer wird es auch für den Kunden. Das ist eine viel größere Vision.

Das klingt – freundlich formuliert – ambitioniert.
Stellen Sie sich all diese Dinge in Ihrem Leben vor, die nicht reibungslos funktionieren, nicht intelligent sind. Dafür möchten wir für Sie intelligente und Porsche-spezifische Lösungen anbieten und ein nahtloses Erlebnis schaffen. Das können ganz banale Dinge sein, etwa rund um das Thema Freizeitgestaltung. Das ist für mich der nächste große Sprung in der Technologie.

Was Sie da beschreiben, wie Sie das Leben der Kunden ändern wollen…
…nicht ändern, sondern bereichern!

Warum nutzen Sie Carsharing?

Also gut: Wie Sie das Leben der Kunden bereichern wollen, ist das nicht etwas viel für Porsche?
Die Informationen, die wir heute virtuell wahrnehmen, sind für alle gleich. Ob ein Top-Manager, ein Professor oder ein Kind etwas bei Google sucht, alle bekommen sie die gleichen Informationen. Es steht aber keine Experience dahinter. Wir wollen mit dem Porsche-Markenversprechen auch in der digitalen Welt eine Premium-Experience bieten, wie wir es etwa mit Porsche Design auch schon außerhalb der Autowelt erfolgreich machen.

„First-Mover-Advantage funktioniert bei neuen Technologien nicht“

Dennoch: Wenn Sie das so groß ausrollen wollen, muss das nicht auf Konzernebene passieren anstatt bei dem verhältnismäßig kleinen Porsche?
Nicht alles, da viele Marken eine andere Ausrichtung haben. Um einzelne Elemente wie etwa die End-to-End-Mobilität zu koordinieren, können wir sicher auch mit anderen Konzernmarken zusammenarbeiten. Es wird aber immer Dienste und Funktionen geben, die wir Porsche-spezifisch anbieten müssen und wollen.

Was steht für Sie bei der Einführung einer neuen Funktion eher im Fokus: Das Wann oder das Wie?
Weder noch. Es geht darum, ein Konstrukt zu kreieren, bei dem es weniger um eine einzelne Funktion, sondern ein ganzheitliches Angebot geht, bei der wir Funktionen im Laufe der Zeit ergänzen können. Ganz zentral ist, dass die Kunden mit einer neuen Funktion etwas anfangen können. Der bekannte First-Mover-Advantage funktioniert bei neuen Technologien nicht, weil die Kunden keine Ahnung haben, was das soll. Etwa die Diskussion um Telematik-Funktionen im Auto lange bevor es das mobile Internet gab. Das war zu früh und hat keiner verstanden, deshalb war es ein Flop.

Es gibt aber auch Beispiele, bei denen es geklappt hat. Die Autoindustrie hat einst die Kutsche disruptiert – und das nicht, weil der Motor ein neues Feature war, sondern weil das Auto ganzheitlich einen Vorteil geboten hat. Diejenigen, die das verstehen und umsetzen, sind auch heute erfolgreich.

Wie sich Carsharing auf die Nutzung anderer Verkehrsmittel auswirkt

Die Porsche-Kundschaft an sich ist nicht konsistent. Wie bringt man die unterschiedlichen Anforderungen und Wünsche eines Macan-Fahrers und dem eines GT3 RS unter einen Hut?
Mit unserem ganzheitlichen Konzept setzen wir nicht am Fahrzeug an, sondern eher an der Marken-DNA – und diese Kombination aus Sportlichkeit und Premium-Anspruch haben alle Porsche-Fahrzeuge und unsere Kunden. Das ist auch das Besondere, was wir unseren Partnern, etwa Technologiefirmen, anbieten können: Wir haben eine Klientel mit ausgeprägter Wertschätzung für die eigene Zeit, für Design, für Premium.

Das trifft aber nicht nur auf Menschen zu, die einen Porsche in der Garage haben.
Wir wollen uns nicht nur um die Fahrzeugbesitzer kümmern, richtig. In Zukunft können wir auch jemanden als Porsche-Kunden definieren, der gar kein Auto in der Garage hat.

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