Nur mal angenommen, der Porsche-Prozess am Stuttgarter Landgericht sei keine so ernste Angelegenheit. Also angenommen, es ginge nicht darum, ob mit dem Ex-Porsche-Lenker Wendelin Wiedeking ein einstmals im ganzen Land hofierter Star-Manager ins Gefängnis muss.
Angenommen, es müsste in Stuttgart nicht geklärt werden, ob die versuchte Übernahme von Volkswagen durch Porsche eines der größten Ganovenstücke der jüngeren Geschichte war, bei dem mit perfiden Methoden zweistellige Milliardensummen aus den Taschen internationaler Zocker (Fondsgesellschaften) in die Taschen österreichischer Zocker (Familien Porsche und Piëch) umgelenkt wurden.
Und schließlich auch angenommen, dass der Prozess nicht nebenbei über die Attraktivität Deutschlands für internationale Kapitalanleger entscheidet, weil er der Welt sagen wird, wie gut oder schlecht wir hierzulande Aktionäre vor Betrügereien schützen.
Das alles einfach mal angenommen, war der Prozess, in dem am Donnerstag die Staatsanwälte ihr Plädoyer halten werden und am Freitag kommender Woche das Urteil gesprochen werden soll, irgendwie auch eine amüsante Veranstaltung. Die Hauptrollen hatten dabei nicht der Angeklagte Wiedeking und der ebenfalls angeklagte, frühere Finanzvorstand von Porsche, Holger Härter, die bis auf zwei verlesene Statements vor Gericht schwiegen.
Die unterhaltsamen Akteure in Stuttgart waren Top-Manager, Spitzenanwälte und Investmentbanker, die in den Jahren 2005 bis 2009 beim Angriff von Porsche auf das Übernahmeziel Volkswagen die Strippen zogen und die wohl mehrheitlich zur Elite ihres Berufsstandes gezählt werden dürfen. Kaum im Zeugenstand Platz genommen, glänzten die hochbezahlten Superhirne jedoch durch frappierende Erinnerungslücken, durch Begriffsstutzigkeit, Inkompetenz und eine für ihre Profession eher unübliche Bescheidenheit: Als kleines Licht, so ließen manche durchscheinen, hätten sie in viele Vorgänge gar keinen Einblick gehabt.
Wir wussten nichts und wenn wir doch was wussten, haben wir es inzwischen vergessen – so stellt man sich Mafia-Prozesse in Sizilien vor. Der Vorsitzende Richter Frank Maurer nahm etlichen Zeugen ihre plötzlichen Alzheimer-Attacken nicht ab, was zu unterhaltsamen Dialogen führte. Ein paar Kostproben:
Maple-Bank-Manager Weimer: Blockade
Die Maple Bank in Frankfurt war in der Übernahmeschlacht der wichtigste Partner von Porsche. Umgekehrt hingen die Gewinne der kleinen Bank ganz überwiegend von den Optionsgeschäften mit Porsche ab. Wenn die Bank die Wünsche eines Kunden bis ins Detail kannte, dann die von Porsche. Und wenn einer den Stuttgartern jeden Wunsch von den Lippen lesen musste, dann war es Maple-Banker Hans-Jürgen Weimer, der die Geschäftsbeziehungen zur Porsche steuerte.
Weimer ist nun als Zeuge geladen und der Vorsitzende Richter will von ihm wissen:
„Also Ziel der ganzen Aktion war, dass Sie von Maple-Seite aus Optionen bis zu einem Volumen von 40 Prozent aufbauen?“
Zeuge: Das weiß ich nicht mehr, was das Ziel war. Das Ziel ist ja vorgegeben worden vom Kunden, nicht von uns selbst.
Richter: Welches Ziel hat der Kunde vorgegeben?
Zeuge: Das weiß ich nicht mehr jetzt.
Richter: Herr Weimer, jetzt wird es irgendwie...
Zeuge: Ich kann die Zahlen nicht sagen. Ich weiß die Zahlen nicht mehr. Na gut, es ist nachher zu einer Mehrheitsbeteiligung geworden, weil im Prinzip Porsche eine Übernahmeofferte gemacht hat und in dem Zusammenhang natürlich ist dann immer weiter aufgebaut worden und das...
Richter: Irgendwie, ich weiß nicht... Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Sie sich entweder unwohl fühlen oder blocken.
Zeuge: Also unwohl fühle ich mich natürlich, das ist doch klar.
Wirtschafts-Anwalt von Bülow: Wissenslücken
Der Banker, dem vor lauter Unwohlsein völlig entfallen war, was das wichtigste Ziel des wichtigsten Kunden der Bank war, wurde im Prozess noch übertroffen von Christoph von Bülow, promovierter Rechtsanwalt, Experte für Unternehmensübernahmen und einstiger Rechtsberater von Wiedeking. Er vergaß vor Gericht scheinbar nicht nur, zu welchen Zeitpunkten Porsche seine Anteile an VW aufstocken wollte – sprich: den Kern der Strategie, mit der er sich jahrelang befasst hatte und womit er im Mittelpunkt einer der heißesten Übernahmeschlachten aller Zeiten stand.
Mit diesen Erinnerungen legte er offenbar auch gleich noch sein Erst-Semester-Wissen in Kapitalmarktrecht ab: Er wusste nicht mehr, wann bei Übernahmen der Kapitalmarkt informiert werden muss. Wenn man 25 Prozent eines Unternehmens erworben hat? Und dann bei einer Schwelle von 50 Prozent? Oder 75 Prozent?
Porsche und die Hedgefonds
Wegen des gescheiterten Übernahmeversuchs von Volkswagen im Jahr 2009 hat die Porsche Automobil Holding SE (Porsche SE/PSE) als Dachgesellschaft des Sport- und Geländewagenbauers diverse Rechtsstreitigkeiten am Hals. Auch im aktuellen Fall geht es um den spektakulären Wirtschaftskrimi: Mehrere Hedgefonds fühlen sich rückblickend getäuscht und wollen deswegen Geld zurück, das sie damals an der Börse verloren haben. Insgesamt geht es noch um fast 1,2 Milliarden Euro. Die PSE hält die Forderung für unbegründet.
Im Mittelpunkt stehen Pressemitteilungen aus dem Jahr 2008. Damals hatte die Holding zunächst bestritten, ihren Anteil am VW-Konzern auf 75 Prozent aufstocken zu wollen. Einige Monate später gab sie dann aber bekannt, genau diesen Plan zu verfolgen. Die Aktienkurse schossen nach oben - Anleger, die auf fallende Kurse gewettet hatten, verloren viel Geld. Sie werfen der PSE vor, die Öffentlichkeit über ihre wahren Absichten bewusst im Unklaren gelassen zu haben.
Ganz anders: Die Holding habe ihre Pläne stets nach bestem Wissen und Gewissen kundgetan, heißt es dort. Erst zum Zeitpunkt der endgültigen Pressemitteilung sei die Entscheidung, den viel größeren VW-Konzern übernehmen zu wollen, gefallen. Eine Haftung für die darauffolgenden heftigen Kursreaktionen lehnt die PSE ab.
So einige. Schauplätze sind Braunschweig, Stuttgart, Hannover oder auch Frankfurt. Manche Klagen wanderten von einem Gericht zum anderen, weil die Zuständigkeiten umstritten waren. Der aktuelle Prozess wechselte etwa von New York nach Deutschland. Die PSE hatte stets darauf gepocht, dass der Fall vor deutschen Gerichten verhandelt werden müsse, weil sie hier auch ihren Sitz habe.
Im Zusammenhang mit dem Versuch der VW-Übernahme wurde Porsches früherer Finanzchef Holger Härter bereits wegen Kreditbetrugs zu einer Geldstrafe verurteilt. Um Anleger, die sich falsch informiert fühlten, ging es dabei jedoch nicht. Entscheidungen gibt es sonst nur in kleineren Fällen. Das Landgericht Stuttgart hat die Klage der Hedgefonds zudem bereits abgewiesen. Die Fonds wehrten sich jedoch dagegen, so dass der Streit vorm Oberlandesgericht weiterging.
Beim Namen Porsche denken die meisten zuerst an die Stuttgarter Sport- und Geländewagenschmiede. Diese hat mit den Klagen aber nicht direkt etwas zu tun. Die Vorwürfe richten sich gegen die Dachgesellschaft Porsche SE, zur Zeit der Übernahmeschlacht gehörte das operative Porsche-Geschäft aber noch zu dieser Holding. Neben der Porsche AG war die Holding auch damals schon an Volkswagen beteiligt. Um den Ausbau dieser VW-Beteiligung geht es im aktuellen Streit.
Es lief für die Stuttgarter nicht nach Plan. Die Porsche SE verhob sich bei dem Versuch, sich die Macht bei VW zu sichern. Am Ende kam es daher anders: Im August 2012 drehte Volkswagen den Spieß um und verleibte sich das Porsche-Geschäft, das bis dahin unter dem Dach der Porsche SE war, komplett ein. Die Porsche SE selbst ist seitdem ausschließlich an Volkswagen beteiligt - profitiert darüber aber letztlich noch immer von den Erfolgen der Sportwagenschmiede.
Wann Porsche 75 Prozent an VW erwerben wollte, ist nicht weniger als die Kernfrage des Porsche-Prozesses. Der Vorsitzende Richter geht mit von Bülow deshalb interne Porsche-Dokumente durch, die darüber Aufschluss geben könnten, und fragt ihn: „Unter der Überschrift ‚Weiterer Beteiligungsaufbau‘ ist es der dritte Bulletpoint: ‚Oktober soll die Beteiligung‘ und den letzten Satz: ‚Bis Januar...‘
Zeuge: Genau, das wäre die 50-Prozent-Schwelle. Die nächste Meldeschwelle war bei 50 Prozent. (...)
Richter: Schauen Sie sich einmal den Satz davor an. Welche Meldeschwelle?
Zeuge: Macht keinen Sinn… Ach so… Es gab keine Meldeschwelle. Ich habe das Protokoll auch nicht geschrieben. Es gibt keine Meldeschwelle zwischen 25 und 50 Prozent. (…) Es sind auch keine Meldungen erfolgt. Sie müssen bei 25 Prozent melden und bei 50 Prozent melden…. Ich habe das Protokoll auch nicht zu verantworten.
Richter: Wenn wir Meldeschwellen aus dem Wertpapierhandelsgesetz in Bezug auf 75 Prozent in den Blick nehmen, könnten die damit gemeint sein?
Zeuge: Jetzt erwischen Sie mich auf dem ganz falschen Fuß. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es im Paragraph 21 die 75-Prozent-Schwelle gibt.
Richter (zitiert das Gesetz): „Wer durch Erwerb, Veräußerung oder auf sonstige Weise 3 Prozent, 5 Prozent, 10 Prozent, 15 Prozent, 20 Prozent, 25 Prozent, 30 Prozent, 50 Prozent oder 75 Prozent der Stimmrechte...“
Zeuge: Okay, ja.
Bundestagsabgeordneter Middelberg: Gesinnungswandel
Ein anderer Zeuge wirkte auf den gemeinen Prozessbeobachter deutlich solider. Er lieferte munter seine persönlichen Einschätzungen und auch konkrete Daten aus der Zeit der Übernahmeschlacht – bloß waren es ganz andere, als noch 2009 im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Der Zeuge: Mathias Middelberg, zur Zeit des Übernahmekampfes der VW-Koordinator des niedersächsischen Ministerpräsidenten und heute Bundestagsabgeordneter der CDU.
Am 7. Mai 2009 schilderte Middelberg im Telefongespräch mit der WirtschaftsWoche, wie hochrangige Porsche-Vertreter – darunter übrigens auch Wiedekings Rechtsberater von Bülow – bei einem Treffen am 25. Februar 2008 in Berlin erklärten, dass Porsche das Ziel verfolge, VW vollständig zu übernehmen und einen Beherrschungsvertrag abzuschließen. Nach einigem Bohren „rutschte einem Porsche-Vertreter raus, dass sie den Beherrschungsvertrag wollen“, so Middelberg damals.
Die Porsche-Seite habe „sehr deutlich vom Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag als Ziel“ gesprochen und habe das Ganze mit der Aussage garniert: Sollte die Beherrschung von Volkswagen nicht möglich sein, sei womöglich ein Rückzug aus dem gesamten Übernahmeprojekt nötig. Wie aus den Notizen von insgesamt vier Telefongesprächen mit der WirtschaftsWoche hervorgeht, sprach Middelberg elf Mal von der Absicht von Porsche, den Beherrschungsvertrag zu erreichen.
Sollte dieses feste Ziel Anfang 2008 schon verfolgt worden sein, wären spätere Dementis einer entsprechenden Absicht womöglich Marktmanipulation durch Porsche gewesen – genau um diese Fragen dreht sich der Prozess in Stuttgart.
Was Middelberg der WirtschaftsWoche berichtete, deckt sich mit Notizen, die er selbst in einem Telefongespräch vom 12. Februar 2008 mit Wiedekings damaligem Chefstrategen Michael Harmening machte. „Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag irgendwann in der Zukunft“ steht dort – und der Hinweis: „Im Extremfall Rückzug.“ Auch dieses Gespräch hatte Middelberg im Interview mit der WirtschaftsWoche erwähnt: „12.2.2008, mittelfristig B+G (Anm.: Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag), sonst Rückzug aus Geschäft nötig“, steht in den Notizen des WirtschaftsWoche-Gesprächs.
Direkt nach dem Gespräch mit Porsche-Mann Harmeing setzt Middelberg einen offiziellen Vermerk auf: „Ein mittelfristiges Ziel von Porsche ist der Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages“, schreib er noch am 12. Februar 2008 an seinen Chef, den damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Christian Wulff.
Auch gut ein Jahr später, beim WirtschaftsWoche-Gespräch am 9. Mai 2009, war sich Middelberg sicher: „Porsche hat alles auf eine Karte gesetzt, wollte den stringenten Durchmarsch und den Beherrschungsvertrag, ganz im Stil eines Blitzkriegs. Schon bei der VW-Hauptversammlung 2008 habe Porsche deshalb um jeden Preis die VW-Satzung so ändern wollen, so dass kurze Zeit danach ein Beherrschungsvertrag möglich gewesen wäre. „Dem Kapitalmarkt“ sei allerdings über Monate eine ganz andere „Story“ erzählt worden. Damit hatte Middelberg schon im Frühjahr 2009 praktisch den Vorwurf der Marktmanipulation formuliert.
Und im Prozess in Stuttgart? Da wollte der Bundestagsabgeordnete davon nichts mehr wissen. Er sei von der WirtschaftWoche falsch zitiert worden. Die schriftlichen Vermerke drückten seine persönliche Einschätzung der Lage aus, nicht aber das, was Porsche gesagt habe. Über die konkrete Absicht eines Beherrschungsvertrages habe ihm Porsche nichts gesagt.
Ganz anders sieht das sein früherer Dienstherr, der spätere Bundespräsident Christian Wulff. Bei dem Treffen mit den Porsche-Anwälten in Berlin im Februar 2008 sei Middelberg „klar geworden“, so Wulff 2009 im Gespräch mit der WirtschaftsWoche wörtlich, „dass hier wieder reihenweise Aktionäre beschissen werden“. Er, Wulff, stelle sich deshalb die Frage, warum „Middelberg Wiedeking nicht haftbar machen, in den Knast bringen“ wolle. „Das ist natürlich die Frage, die sich mir stellt, warum zieht er nicht durch?“
Ex-Porsche-Stratege Harmening: Blackout
Richter: „(…) Dann einfach mal raus! 20 Prozent, 30 Prozent, Pflichtangebote, 50 Prozent etc.“
Zeuge: Viel weg. Ganz ehrlich.
Richter: Nein, weil, Sie erinnern sich. Wissen Sie, Sie sagen mir ja, dass es um eine Diskussion 20, 30, 50 Prozent geht. Dann ist denknotwendig ausgeschlossen, dass viel weg ist. Sie haben es ja auf der Pfanne. Genau das will ich hören.
Zeuge: Na ja, es ist momentan gerade so ein bisschen eine Blockade…
(…)
Richter: „Wissen Sie, was mich irritiert? Dass Sie immer wieder sagen: ‚Ich habe keine Erinnerung‘, aber gleichwohl kommen sehr detaillierte Fetzen zu bestimmten Zeitpunkten, nämlich dass es eine Presseberichterstattung gab, dass Herr Hunger mit Herrn Middelberg sich ausgetauscht habe etc. pp. Bei jemandem, der sich nicht erinnern kann, erwarte ich auch solche Fetzen nicht.“
Zeuge: Okay.
Der Name Harmening fiel auch in der Vernehmung des Kripo-Beamten, der die Ermittlungen gegen Wiedeking und Härter leitete. Bei einer Hausdurchsuchung, so der Kripo-Mann, sei man auf interessante Unterlagen gestoßen: „Wir haben im Übrigen auch noch Unterlagen im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von ihm (Harmening, Anm. d. Red.) bei Porsche aufgefunden. (…) Er hat dem Personalvorstand Wittig schriftlich mitgeteilt, dass er absolutes Stillschweigen wahren kann; er stelle sich eine Einmalzahlung von fünf Millionen vor und eine Sicherung seiner Ruhestandsbezüge. Er hatte dann auch beim Ausscheiden einen Beratervertrag bekommen.“
Ob Millionen geflossen sind, wurde weder vom Gericht noch von der Staatsanwaltschaft hinterfragt.
So wie auch ein neuer Zeuge, der in dieser Woche auftauchte, die Staatsanwälte dem Vernehmen nach nicht interessiert. Der Zeuge soll bestätigen können, dass Porsche gegenüber einem Manager der Investmentbank Merrill Lynch einräumte, dass eine Porsche-Pressemitteilung mit dem Ziel verschickt wurde, den Kurs der VW-Aktie in die Höhe zu treiben.
Die Staatsanwaltschaft will offenbar nicht erneut in die Beweisaufnahme einsteigen sondern am Donnerstag wie geplant ihr Plädoyer halten. Es ist alles andere als sicher, dass sie auf schuldig plädiert, nachdem kaum ein Zeuge im Verfahren Belastendes über Wiedeking oder Härter zu Protokoll gab.
Viele wussten eben nichts. Und wenn sie was wussten, haben sie es vergessen.