Der Banker, dem vor lauter Unwohlsein völlig entfallen war, was das wichtigste Ziel des wichtigsten Kunden der Bank war, wurde im Prozess noch übertroffen von Christoph von Bülow, promovierter Rechtsanwalt, Experte für Unternehmensübernahmen und einstiger Rechtsberater von Wiedeking. Er vergaß vor Gericht scheinbar nicht nur, zu welchen Zeitpunkten Porsche seine Anteile an VW aufstocken wollte – sprich: den Kern der Strategie, mit der er sich jahrelang befasst hatte und womit er im Mittelpunkt einer der heißesten Übernahmeschlachten aller Zeiten stand.
Mit diesen Erinnerungen legte er offenbar auch gleich noch sein Erst-Semester-Wissen in Kapitalmarktrecht ab: Er wusste nicht mehr, wann bei Übernahmen der Kapitalmarkt informiert werden muss. Wenn man 25 Prozent eines Unternehmens erworben hat? Und dann bei einer Schwelle von 50 Prozent? Oder 75 Prozent?
Porsche und die Hedgefonds
Wegen des gescheiterten Übernahmeversuchs von Volkswagen im Jahr 2009 hat die Porsche Automobil Holding SE (Porsche SE/PSE) als Dachgesellschaft des Sport- und Geländewagenbauers diverse Rechtsstreitigkeiten am Hals. Auch im aktuellen Fall geht es um den spektakulären Wirtschaftskrimi: Mehrere Hedgefonds fühlen sich rückblickend getäuscht und wollen deswegen Geld zurück, das sie damals an der Börse verloren haben. Insgesamt geht es noch um fast 1,2 Milliarden Euro. Die PSE hält die Forderung für unbegründet.
Im Mittelpunkt stehen Pressemitteilungen aus dem Jahr 2008. Damals hatte die Holding zunächst bestritten, ihren Anteil am VW-Konzern auf 75 Prozent aufstocken zu wollen. Einige Monate später gab sie dann aber bekannt, genau diesen Plan zu verfolgen. Die Aktienkurse schossen nach oben - Anleger, die auf fallende Kurse gewettet hatten, verloren viel Geld. Sie werfen der PSE vor, die Öffentlichkeit über ihre wahren Absichten bewusst im Unklaren gelassen zu haben.
Ganz anders: Die Holding habe ihre Pläne stets nach bestem Wissen und Gewissen kundgetan, heißt es dort. Erst zum Zeitpunkt der endgültigen Pressemitteilung sei die Entscheidung, den viel größeren VW-Konzern übernehmen zu wollen, gefallen. Eine Haftung für die darauffolgenden heftigen Kursreaktionen lehnt die PSE ab.
So einige. Schauplätze sind Braunschweig, Stuttgart, Hannover oder auch Frankfurt. Manche Klagen wanderten von einem Gericht zum anderen, weil die Zuständigkeiten umstritten waren. Der aktuelle Prozess wechselte etwa von New York nach Deutschland. Die PSE hatte stets darauf gepocht, dass der Fall vor deutschen Gerichten verhandelt werden müsse, weil sie hier auch ihren Sitz habe.
Im Zusammenhang mit dem Versuch der VW-Übernahme wurde Porsches früherer Finanzchef Holger Härter bereits wegen Kreditbetrugs zu einer Geldstrafe verurteilt. Um Anleger, die sich falsch informiert fühlten, ging es dabei jedoch nicht. Entscheidungen gibt es sonst nur in kleineren Fällen. Das Landgericht Stuttgart hat die Klage der Hedgefonds zudem bereits abgewiesen. Die Fonds wehrten sich jedoch dagegen, so dass der Streit vorm Oberlandesgericht weiterging.
Beim Namen Porsche denken die meisten zuerst an die Stuttgarter Sport- und Geländewagenschmiede. Diese hat mit den Klagen aber nicht direkt etwas zu tun. Die Vorwürfe richten sich gegen die Dachgesellschaft Porsche SE, zur Zeit der Übernahmeschlacht gehörte das operative Porsche-Geschäft aber noch zu dieser Holding. Neben der Porsche AG war die Holding auch damals schon an Volkswagen beteiligt. Um den Ausbau dieser VW-Beteiligung geht es im aktuellen Streit.
Es lief für die Stuttgarter nicht nach Plan. Die Porsche SE verhob sich bei dem Versuch, sich die Macht bei VW zu sichern. Am Ende kam es daher anders: Im August 2012 drehte Volkswagen den Spieß um und verleibte sich das Porsche-Geschäft, das bis dahin unter dem Dach der Porsche SE war, komplett ein. Die Porsche SE selbst ist seitdem ausschließlich an Volkswagen beteiligt - profitiert darüber aber letztlich noch immer von den Erfolgen der Sportwagenschmiede.
Wann Porsche 75 Prozent an VW erwerben wollte, ist nicht weniger als die Kernfrage des Porsche-Prozesses. Der Vorsitzende Richter geht mit von Bülow deshalb interne Porsche-Dokumente durch, die darüber Aufschluss geben könnten, und fragt ihn: „Unter der Überschrift ‚Weiterer Beteiligungsaufbau‘ ist es der dritte Bulletpoint: ‚Oktober soll die Beteiligung‘ und den letzten Satz: ‚Bis Januar...‘
Zeuge: Genau, das wäre die 50-Prozent-Schwelle. Die nächste Meldeschwelle war bei 50 Prozent. (...)
Richter: Schauen Sie sich einmal den Satz davor an. Welche Meldeschwelle?
Zeuge: Macht keinen Sinn… Ach so… Es gab keine Meldeschwelle. Ich habe das Protokoll auch nicht geschrieben. Es gibt keine Meldeschwelle zwischen 25 und 50 Prozent. (…) Es sind auch keine Meldungen erfolgt. Sie müssen bei 25 Prozent melden und bei 50 Prozent melden…. Ich habe das Protokoll auch nicht zu verantworten.
Richter: Wenn wir Meldeschwellen aus dem Wertpapierhandelsgesetz in Bezug auf 75 Prozent in den Blick nehmen, könnten die damit gemeint sein?
Zeuge: Jetzt erwischen Sie mich auf dem ganz falschen Fuß. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es im Paragraph 21 die 75-Prozent-Schwelle gibt.
Richter (zitiert das Gesetz): „Wer durch Erwerb, Veräußerung oder auf sonstige Weise 3 Prozent, 5 Prozent, 10 Prozent, 15 Prozent, 20 Prozent, 25 Prozent, 30 Prozent, 50 Prozent oder 75 Prozent der Stimmrechte...“
Zeuge: Okay, ja.