Preispolitik bei Neuwagen Warum Ihr nächstes Auto ein Gebrauchter werden sollte

Neuwagen werden immer teurer, dennoch zahlen viele für jedes Extra drauf und nehmen Wartezeiten in Kauf. Doch wer auf bestimmte Merkmale bei Gebrauchten achtet, bekommt Vollausstattungen für einen Bruchteil des Preises.

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Fabrikneuer Kleinwagen oder junge Luxus-Limousine: Warum Ihr Neuer nicht immer neu sein muss. Quelle: Presse

99,99 Euro pro Monat – so viel verlangte Peugeot zwischenzeitlich für einen Kleinwagen 208. Zusammen mit dem Mobilfunkanbieter 1&1 und Sixt Leasing hatte der deutsche Importeur ein Angebot geschaffen, das für weniger als 100 Euro im Monat neben einem Handyvertrag auch ein Leasingauto umfasste. Ohne Anzahlung oder Überführungskosten, dafür inklusive Steuer und Versicherung. Ein beispiellos günstiges Angebot für einen Neuwagen – satte 40 Prozent unter dem Listenpreis.

Und auch beispiellos kurzlebig: Rund 5000 Kunden griffen bei dem als Marketingaktion gedachten Deal zu – viel mehr, als Peugeot erwartet hatte. Die Vertragshändler waren angesichts der hauseigenen Billig-Konkurrenz erbost. Das Ergebnis: Die drei obersten Deutschland-Manager von Peugeot – obwohl erst ein halbes Jahr auf dem Posten – mussten gehen, das Billig-Angebot wurde eingestellt. Ein Unternehmenssprecher erklärte, im Mittelpunkt des Handelns von PSA stehe „immer die Sicherheit der Verlässlichkeit gegenüber den Partnern“.

Diese Episode zeigt, wie schwer sich die Autobauer mit neuen Konzepten beim Vertrieb tun. Neue Vertriebswege am klassischen Autohändler vorbei werden immer gefragter. Doch das dichte Netz an Autohäusern und Werkstätten ist gerade bei deutschen Herstellern einer der größten Wettbewerbsvorteile – und der damit verbundene enge Kontakt zum Kunden. Doch wie baut man einen eigenen Internetvertrieb auf, ohne wie bei Peugeot die eigenen Vertragshändler zu vergraulen?

Deutsche bevorzugen das Autohaus – noch

Fakt ist: Für Privatkunden wird der Neuwagen immer unerschwinglicher. Die Preise für Autos mit stärkerer Motorisierung, Premium-Anspruch und verbesserter Serienausstattung sind immer weiter gestiegen. Wie das CAR-Institut der Universität Duisburg-Essen berechnet hat, betrug 2016 der durchschnittliche Listenpreis der verkauften Neuwagen 31.400 Euro – ohne teure Sonderausstattung wohlgemerkt. 1980 stand der Durchschnittswagen noch mit 8420 Euro in der Liste, was unter Berücksichtigung der Inflation einem heutigen Wert von gut 18.000 Euro entspräche.

Sonderausstattung im Gegenwert eines Kleinwagens

Zum Vergleich: Laut dem Onlineportal „Mobile.de“ lag der Durchschnittspreis für Gebrauchtwagen im April bei 22.000 Euro, inklusive sämtlicher Extras. Der Durchschnitts-Gebrauchte ist dabei 43 Monate alt und hat eine Laufleistung von 56.330 Kilometern.

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Wer sich dann noch das fabrikneue Auto nach eigenen Vorstellungen zusammenstellen will, muss selbst bei einem Mittelklasse-Kombi für die Sonderausstattungen den Gegenwert eines Kleinwagens einkalkulieren. Ein solches Preisgefüge bleibt natürlich nicht ohne Folgen auf den Automarkt: Der Anteil der Privatkunden ist über die Jahre stark geschmolzen.

Von den über drei Millionen Neuwagen, die jedes Jahr in Deutschland verkauft werden, gehen nur rund eine Million an private Halter – die überwiegende Mehrheit wird auf Firmen zugelassen. Die Deutschen sind ein Volk der Gebrauchtwagenkäufer geworden, wie die Statistik des Kraftfahrtbundesamtes zeigt. Den privaten Neukäufen stehen rund sieben Millionen Besitzumschreibungen gegenüber – so wird in Beamtendeutsch ein Gebrauchtwagenkauf bezeichnet.

Doch diese Statistik verzerrt etwas: Jeder Fünfte dieser „Gebrauchtwagen“ war im vergangenen Jahr beim Verkauf höchstens zwölf Monate alt – also rund 1,4 Millionen Exemplare. Es sind Tageszulassungen und Vorführwagen, oft auch als Jungwagen oder Hausangebot bezeichnet.

Diese quasi fabrikneuen Autos, die oft weniger als 100 Kilometer auf dem Tacho haben, stellen das Geschäftsmodell der Autohäuser in Frage: Wenn der Kunde auf den Luxus verzichtet, sein Auto individuell zusammenzustellen, kann er mit diesen Angeboten bis zu 30 Prozent auf den Listenpreis sparen. Meist ist die Auswahl auf dem Hof eines einzigen Händlers so groß, dass man neben dem gewünschten Motor auch noch die Farbe auswählen kann.

Warum niemand den Listenpreis zahlen muss

Die Tageszulassungen sind ein süßes Gift für die Autobranche. Die Kurzzeitzulassungen auf den Autobauer selbst oder den Handelsbetrieb helfen zwar bei in der Neuwagen-Statistik. Wenn sie dann aber als Quasi-Gebrauchtwagen mit hohen Abschlägen verkauft werden müssen, drücken sie bei Herstellern und Händlern auf die Marge. „Das sind eigentlich Auswüchse der herrschenden Überproduktion, aber man kann auf dieses Zusatzgeschäft nicht verzichten“, sagt der Präsident des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZdK), Jürgen Karpinski, der selbst in Frankfurt ein Autohaus betreibt.

Doch auch bei den „echten“ Neuwagen haben Hersteller und Händler eine Vielzahl von Strategien entwickelt, um Kunden mit vermeintlichen oder tatsächlichen Schnäppchen zu locken. Gängige Mittel sind offen beworbene Sonderaktionen, die häufig mit verschachtelten Leasing-Angeboten, Ausstattungs- und Garantiepaketen oder hohen Eintauschprämien arbeiten.

Woraus sich der Preis eines Neuwagens zusammensetzt

Soll heißen: Den Listenpreis muss niemand mehr zahlen, auch bei Neuwagen. Wer bei seinem neuen Auto jeden Schalter einzeln aussuchen möchte, kommt zum Beispiel über Internet-Plattformen an individualisierte Angebote, die aber nicht von den Herstellern betrieben werden. Laut dem CAR-Institutsleiter Ferdinand Dudenhöffer lagen bei solchen Portalen die Preise der 30 beliebtesten Modelle rund 19 Prozent unter den veröffentlichten Listenpreisen.

„Online ist es immer günstiger“

Auch der ADAC kommt in einem aktuellen Test mit fünf verschiedenen Neuwagen zum Ergebnis: „Online ist es immer günstiger“. Die niedergelassenen Händler ließen sich im Test des Autoklubs von den Offerten der Netz-Konkurrenz nur wenig beeindrucken: Nur 20 von 50 untersuchten Anbietern gingen noch einmal von ihrem ersten Preis herunter, blieben aber immer deutlich über dem Online-Niveau.

Die höheren Preise begründeten sie mit besserer Beratung und Service – ein Versprechen, das die ADAC-Tester allerdings ausdrücklich nicht bestätigen wollten: Von 50 Autohäusern hätten 23 keine ausreichende Informationen zum Neuwagen. Immerhin lagen auch die Händler-Offerten im Schnitt gute 12 Prozent unter dem Listenpreis.

Kryptische Kürzel in Auto-Anzeigen

„Servicequalität hat nun einmal ihren Preis“, gibt sich ZdK-Präsident Karpinski selbstbewusst. Der Handel könne Rechtssicherheit, persönliche Beratung, Probefahrt und individuelle Finanzierungsangebote wie kein Konkurrent anbieten.

Für Detlev von Platen hat das Autohaus noch einen ganz anderen Zweck. „Wir dürfen den direkten Kontakt zum Kunden nicht verlieren“, sagt von Platen, der im Porsche-Vorstand für Marketing und Vertrieb zuständig ist. „Wenn wir diesen Kontakt verlieren, wird das ein anderer übernehmen – und das dürfen wir nicht zulassen.“

Einer dieser Player ist unter anderem der Online-Handelsriese Amazon. Opel beispielsweise bietet aktuell ein Sondermodell des Kleinstwagens Adam über Amazon an. Leasingkunden können eine Sonderedition online reservieren und sie anschließend beim niedergelassenen Händler abholen.

Für den Kunden ist das Angebot durchaus attraktiv: Bei Amazon ist der Adam nach Berechnungen des CAR rund 2200 Euro günstiger als im Konfigurator auf der Opel-Website.

Lynk&Co will es ohne einen einzigen Händler schaffen

Doch auch der persönliche Austausch mit dem Kunden hat sich stark verändert. Besuchte ein Kunde vor einigen Jahren ein Autohaus im Schnitt sieben bis acht Mal, bevor er einen Neuwagen kaufte, kommt er heute bereits bestens informiert zum Händler und weiß genau, was er wann will. „Ein Händler muss diesen Kunden nicht mehr informieren, sondern das Auto physisch erlebbar machen“, sagt auch von Platen.

Einfacher gesagt als getan, wie auch der ADAC-Test zeigt. Gleich 33 der 50 Händler verzichteten darauf, das konkrete Auto vorzuführen. Das Problem: Von vielen Modellen gibt es inzwischen unzählige Varianten. In von Platens Fall wären das derzeit 20 verschiedene Ableger des Porsche 911 – weitere kommen noch auf den Markt.

Selbst beim VW Golf gibt es eine kaum zu überblickende Vielfalt an Bauweisen: Benziner, Diesel, Erdgas, Plug-in-Hybrid, Elektroantrieb – und das noch oft als Dreitürer, Fünftürer oder Kombi, teils noch mit Handschaltung oder Automatikgetriebe. Wer beim Händler eine Probefahrt machen will, muss viel Glück haben, um auch genau die gewünschte Kombination testen zu können.

Was Sie bei der Probefahrt beachten sollten

Eine Vielfalt, die viele (kleinere) Handelsbetriebe nicht mehr abdecken können. Umso wichtiger wird die Phase, in der sich ein Käufer über seinen potenziellen Neuwagen und entsprechende Angebote informiert. „Das darf kein einseitiger Prozess ein“, formuliert Porsche-Mann von Platen seinen Anspruch. „Wir können ihm schon bei der Informationssuche die bestmögliche Ansprache und Auswahl bieten. Denn was er will, hängt davon ab, ob er gerade im Büro sitzt, unterwegs ist oder Zuhause auf dem Sofa.“

"Flächenbrand" im Autovertrieb

Bleibt der Kostenvorteil der meisten Online-Angebote. „Nach unserer Rechnung können damit die Fahrzeugkosten um bis zu 10 Prozent reduziert werden“, kalkuliert Dudenhöffer. Ein Kompakt-SUV für 30.000 Euro könnte mit um 3000 Euro geringeren Vertriebskosten verkauft werden – ein Betrag, den man an den Kunden weitergeben kann. „Eine stattliche Zahl, die dazu geeignet ist, in den nächsten Jahren im Automobilvertrieb eine Art Flächenbrand auslösen.“

Bei den etablierten Herstellern stößt das aber bislang noch auf wenig Gegenliebe. Bereits vor dem Peugeot-Desaster gab es einige kleinere Feldversuche. So hat beispielsweise Volvo ein Sondermodell des XC90 exklusiv über das Internet verkauft, Mercedes bietet eine kleine Auswahl vorkonfigurierter Modelle auch online an und Fiat stellt in Italien ausgewählte Modelle bei Amazon aus. Vor der Ausweitung des Angebots schreckt die Branche aber noch zurück. Zu groß ist die Sorge, die niedergelassenen Händler zu vergrätzen und das klassische Vertriebs- und Werkstattnetz zu beschädigen.

Die Checkliste für den Rundgang

Für Newcomer kann aber genau hier eine Chance liegen. Wenn die chinesische Marke Lynk&Co 2018 in Deutschland startet, wird sie keinen einzigen Vertragshändler haben. Der Vertrieb wird komplett über das Internet laufen – mit den erwähnten Kostenvorteilen. Zur Wartung dürfen die Autos dann in Volvo-Werkstätten: Beide Marken gehören zum chinesischen Geely-Konzern.

Dann wird sich zeigen, ob der Online-Vertrieb in der Autowelt einen Flächenbrand auslösen kann oder nicht. Klar ist: Dank Internet und Online-Vertrieb werden Wettbewerb und Preisdruck wohl auch künftig weiter wachsen. „Die Händlernetze der Autobauer kommen damit unter zusätzlichen Druck“, prognostiziert Dudenhöffer. „Gewinner bleibt der Kunde.“

Künftig kann der sich vielleicht auch wieder einen Neuwagen leisten. Bis dahin bleiben junge Gebrauchte wohl die preiswerteste Alternative.

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