„Bei ihrem persönlichen Lobbyeinsatz in Kalifornien ist Angela Merkel als oberste Schutzpatin des VW-Systems aufgetreten“, wettert nun die Grünen-Vorsitzende Simone Peter gegenüber der WirtschaftsWoche. Peter glaubt, dass die Kanzlerin dem Standort Deutschland geschadet hat. „Merkel und VW wollten Umweltstandards drücken statt sie als Ansporn zur Innovation zu nutzen. Nun werden die gefragtesten Elektroautos in Kalifornien gebaut und nicht Wolfsburg.“
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace verlangt nun Zurückhaltung von der Kanzlerin. „Angela Merkel schadet mit ihrer Lobbyarbeit für die deutschen Autobauer der Bundesrepublik insgesamt. Die Kanzlerin darf nicht als VW-Cheflobbyistin die Bedürfnisse einiger weniger Aktionäre befriedigen“, sagte Greenpeace-Verkehrsexperte Daniel Moser der WirtschaftsWoche. Es sei nicht das erste Mal, dass Merkel für die Autobauer Partei ergreift. „Als die CO2-Reduktionen in Brüssel festgelegt wurden, hat Merkel ebenfalls zugunsten der Industrie interveniert. Diese unkritische Industriepolitik muss aufhören.“
Der Naturschutzbund NABU fordert eine andere Industriepolitik aus Berlin. „Die Intervention von Bundeskanzlerin Merkel in Kalifornien gegen strenge Stickoxidgrenzwerte zeigt, dass die Bundesregierung viel zu oft als verlängerter Arm der Autoindustrie agiert und dabei Industrieinteressen über die Gesundheit der Bürger stellt“, sagte NABU-Verkehrsexperte Dietmar Oeliger der WirtschaftsWoche. Angela Merkel habe sich mitschuldig gemacht an der gesamten Diesel-Misere, denn bis heute setze die Bundesregierung eine Verordnung Brüssels aus dem Jahr 2007 nicht um. Danach müssten Sanktionen gegen jene Autohersteller verhängt werden, die bei der Typgenehmigung neuer Fahrzeuge betrügen. „Merkel und die Bundesregierung halten weiterhin ihre schützende Hand über der Autoindustrie. Auf der Strecke bleiben die Bürger und der Umweltschutz.“
Autozulieferer wies auf den Betrug hin
Frühe Kenntnisse über Probleme der Autobauer, Grenzwerte einzuhalten, gab es nach Recherchen der WirtschaftsWoche auch in Brüssel. Mehr noch: Die EU-Kommission wusste seit 2011, dass Autohersteller in der EU mittels illegaler Manipulationen an der Motorsteuerung bei Abgasmessungen betrügen. Das geht aus Unterlagen hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegen.
Ein Automobilzulieferer hat den damaligen Industriekommissar Antonio Tajani auf den Betrug hingewiesen, wie die WirtschaftsWoche aus Kommissionskreisen erfuhr. Auf Anfrage äußerte sich die mittlerweile für Industriepolitik zuständige Kommissarin Elzbieta Bienkowska zu dem konkreten Sachverhalt nicht.
Die Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, verlangt von der EU-Kommissarin nun eine umfassende Aufklärung: „Offenbar wusste die Behörde bereits seit 2011, dass europäische Autohersteller Software einsetzen, um die Abgas-Tests zu manipulieren und EU-Gesetze zu umgehen, blieb jedoch untätig.“ Wenn die EU-Kommission tatsächlich Hinweise auf handfesten Betrug ignoriert habe, sei das „ein schwerer Schaden für das Ansehen der ganzen Behörde“. Bienkowska habe seit Beginn des Skandals ein schwaches Bild abgeliefert. Sie wirke, so Harms, „inkompetent und nicht handlungsbereit“. Zu allem Überfluss habe sie „scheinbar vor dem Europäischen Parlament wissentlich falsche Angaben gemacht.“ Vor dem EU-Parlament hatte Bienkowska erklärt, die EU-Kommission habe nichts von den Betrugsfällen gewusst.
„Da wir uns offenbar nicht auf den Aufklärungswillen der EU-Kommission verlassen können, fordern wir einen Untersuchungsausschuss im Europäischen Parlament, um zu klären, ob die EU-Kommission und die nationalen Behörden ihre Pflichten erfüllt und ihre Kontrollaufgaben ordentlich wahrgenommen haben“, sagt Harms. „Daran bestehen starke Zweifel.“