„Der Kunde hat immer Recht.“ Dieser Satz stammt von Harry Gordon Selfridge, dem Gründer der gleichnamigen britischen Kaufhauskette, und hat sich ein gutes Jahrhundert als Faustformel im Kundenumgang gehalten. VW-Chef Matthias Müller ließ in einem Interview mit der "Frankfurter Sonntagszeitung" durchblicken, dass er von dieser Plattitüde offenbar wenig hält. Die Quittung für diese Haltung wurde ihm umgehend über die sozialen Medien zugestellt.
VW-Zukunftspakt: Was auf die Werks-Standorte zukommt
Bis 2020 sollen am Stammsitz rund 1000 Arbeitsplätze in Zukunftsfeldern entstehen. Der nächste Golf 8 für die USA soll in Wolfsburg gefertigt werden, außerdem ein SUV für die spanische Tochter Seat. In anderen Bereichen läuft die Fertigung bis 2022 aus - unter anderem beim Lenkstangenrohr und der Räderfertigung.
Das größte Teilewerk des Konzerns soll im VW-Konzern das Leitwerk für den Elektro-Antriebsstrang werden - samt Entwicklungsaufgaben. Zudem sollen in Nordhessen auch mehr Ersatzteile gefertigt werden.
Das Motorenwerk in Salzgitter gilt als einer der Verlierer aufkommender E-Antriebe. Der Standort soll daher die Federführung bei der Entwicklung von Batteriezelltechnologien erhalten und - soweit wirtschaftlich tragbar - auch die Serienfertigung der Zellen. Die Produktion von Hauptkomponenten für E-Motoren soll sich Salzgitter mit Kassel teilen.
Ab 2019 soll Emden ein viertes Modell bekommen, um die Auslastung des Werkes an der Küste zu sichern. Im Zuge der Abgasaffäre hatte VW im März angekündigt, die Verträge von 2150 Leiharbeitern nicht zu verlängern.
Die Gießerei und der Bereich Wärmetauscher standen auf dem Prüfstand, bleiben aber erhalten und sollen auch Komponenten für die E-Antriebe der Zukunft liefern. Zudem wird in der Gießerei der 3D-Druck von Teilen angesiedelt. In beiden Bereichen fallen jedoch Stellen weg.
Das Werk bekommt die Entwicklung für Batteriesysteme in den Produktionsbaukästen des Konzerns sowie die Montage von einigen Batterien. Zudem soll die Produktion von Lenkungen ausgebaut werden. Die Kunststofffertigung wird dagegen bis 2021 eingestellt, auch Fahrwerke werden wohl Arbeit verlieren.
Neue Golf-Modelle sollen auch weiter in Zwickau gebaut werden, zudem soll das Werk ein Elektromodell erhalten. Dennoch wird die Zahl der Beschäftigten sinken.
In dem Interview nahm der 63-Jährige zu dem Vorwurf Stellung, die deutsche Autoindustrie habe die Elektromobilität verschlafen. Müller sprach in dem Interview von einem „paradoxen Phänomen“, das er noch nicht ganz verstanden habe: „Am Angebot mangelt es nicht, sondern an der Nachfrage: Auf der einen Seite denken und handeln viele Deutsche im Alltag grün, wenn es aber um E-Mobilität geht, haben viele Verbraucher spitze Fingern.“ Was viele Leser so interpretierten: Nicht VW, sondern der Kunde ist doch daran schuld, dass der Konzern so wenig E-Autos verkauft.
In den sozialen Medien kamen diese Aussagen wenig überraschend nicht gut an. Die Grünen-Politikerin Renate Künast reagierte umgehend und schrieb auf Twitter: „Echt frech. Keine bezahlbaren E-Autos, keine Ladestationen, aber Nicht-Käufer kritisieren.“ Und der Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Jochen Flasbarth, twitterte: „Schummelsoftware statt Zukunftsinvestitionen und dann Verbraucherbeschimpfung. Dreistigkeit von VW-Chef Müller verschlägt einem die Sprache.“
Auch außerhalb der Politik stießen Müllers Aussagen auf Unverständnis. „Kunden-Bashing ist keine gute Idee“, twitterte Michael B., der zudem feststellte: „Müller wird langsam zur Belastung für den Konzern.“ Denn wie Tina A. bei Facebook zu Recht fragte: „Seit wann gewinnt man als Unternehmen in der Krise mit Kunden-Bashing Kunden zurück?“ Marco M. fragte deshalb: „Kunden kritisieren? Noch grün hinter den Ohren? Auf der letzten Bank der Manager-Schule gepennt?“ Wie das VW-Management von Menschen im Netz gesehen wird, fasste der Tweet von Lorenz M. zusammen: „1) Kunden betrügen 2) Mitarbeiter entlassen 3) Kunden beleidigen 4) Boni kassieren.“
Was die Nutzer besonders wütend macht
Viele weitere Nutzer schimpften und legten den Finger schonungslos in die Wunden, die bei VW beim Entwicklungsstand der E-Autos offenliegen – zum Beispiel die hohen Preise: So kostet bei VW der Kleinstwagen „e-up“ als E-Auto knapp 27.000 Euro. „Wie sollen mehr E-Autos verkauft werden, wenn es sich kein Otto-Normalbürger mehr mit Arbeit leisten kann?“, fragt Ute A. auf Facebook. Daniel L. empfahl Müller deshalb den Blick auf die Konkurrenz: „Toyota/Lexus und auch Nissan bieten seit Jahren bezahlbare Hybridantriebe und Plug-In-Fahrzeuge für den Verbraucher an.“
Auch die geringe Reichweite der E-Autos von VW sorgte für Spott. So stellte Hans P. auf Facebook fest: „Was soll ich mit einem E-Golf, der im Sommer ca. 160 Kilometer und im Winter ca. 100 Kilometer schafft? […] Zum Brötchen holen brauche ich kein Auto.“ Jürgen M. riet: „Herr Müller sollte dementsprechend seine Ingenieure in die Pflicht nehmen und die Produkte nicht am Markt vorbei produzieren lassen.“
Auch zu der Ungleichbehandlung der europäischen und der amerikanischen Kunden im Abgasskandal äußerte sich Müller im Interview. Man könne die Situationen „nicht über einen Kamm scheren“, sagte Müller. „Auf der einen Seite kritisieren viele die amerikanische Gesetzgebung in anderen Zusammenhängen, siehe TTIP. Wenn es aber darum geht, selbst Vorteile daraus zu ziehen, scheint das amerikanische Recht auf einmal der richtige Weg zu sein.“
Die Stiftung für Klimaschutz nannte das auf Twitter einen „kläglichen Versuch“, die Bevorzugung der US-Kunden zu begründen. Vereinzelt riefen Facebook-Nutzer deshalb sogar zu einem VW-Boykott auf.
Vielfach machten sich die User aber auch Sorgen darum, wie nachhaltig Müllers Interviewaussagen VW schaden wird. Frank E. schrieb schon auf Facebook: „Der Anfang vom Ende bei VW... perfekt von Herrn Müller initiiert. Adieu!“