Der Abgasskandal macht sich in der Zulassungsstatistik bemerkbar: Seit Monaten sinkt der Marktanteil der Diesel bei Neuwagen. Im April 2017 lag der Anteil laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) noch bei 41,3 Prozent. Das sind 5,7 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Immer neue Berichte über mögliche Abgas-Manipulationen, Differenzen zwischen Abgaswerten auf dem Prüfstand und im realen Verkehr sowie die Debatte über Fahrverbote für ältere Diesel-Modelle haben für Verunsicherung gesorgt.
Im Zentrum der Kritik am Dieselmotor steht der Ausstoß von gesundheitsschädigendem Stickoxid (NOx). Stickoxide können unter anderem den Atemwegen und dem Herz-Kreislauf-System schaden.
Autobauer halten am Dieselmotor fest
Für Aufsehen sorgte zuletzt Ende April das Umweltbundesamt: Neue Daten zeigten, dass auch moderne Diesel-Autos den EU-Grenzwert auf der Straße um ein Vielfaches überschreiten. Trotzdem: Die Autobauer hängen am Diesel. „Aus unserer Sicht ist der moderne Diesel Teil der Lösung, nicht des Problems“, sagte VW-Chef Matthias Müller der „Automobilwoche“. Auch BMW-Chef Harald Krüger warnte kürzlich vor einer Verteufelung des Dieselmotors. Ohne Dieselautos seien die Klimaziele der EU nicht erreichbar. Und weiter: „Eine vernünftige Debatte lässt sich nur auf der Basis von Fakten führen.“
Doch einige Fakten sprechen gegen Krüger. Ende April zeigten Untersuchungen des Umweltbundesamtes, dass es gar nicht mal die alten Modelle trifft. Auch neue Dieselfahrzeuge sind Stinker.
Normzyklen in der Übersicht
Der Neue Europäische Fahrzyklus (New European Driving Cycle) stammt im Kern aus den 1970er Jahren. In einem knapp 20-minütigen Prüfstandslauf werden Verbrauch und Abgase gemessen. Das Fahrprofil gilt allerdings als überholt, zudem gibt es viel Spielraum für unrealistische Optimierungen, etwa Leichtlauföle, zu hoher Reifendruck, eine abgeklemmte Batterie (um das Nachladen zu verhindern) oder spezielle Sturz- und Spureinstellungen der Räder, die nicht mit dem Serienzustand übereinstimmen.
Die Worldwide harmonized Light Vehicles Test Procedure (WLTP) soll realitätsnähere Angaben als der NEFZ liefern. Zum einen werden Durchschnitts- und Höchstgeschwindigkeit auf dem Prüfstand erhöht, die Standzeiten verkürzt, der Prüfstandslauf an sich verlängert. Zum anderen werden Sonderausstattungen beim Fahrzeuggewicht und Strombedarf berücksichtigt. Die Klimaanlage bleibt jedoch abgeschaltet. Experten rechnen mit bis zu 25 Prozent höheren Werten als im NEFZ.
Bereits vor dem Abgasskandal hat die EU-Kommission beschlossen, Emissionen mit mobilen Messgeräten nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch auf der Straße zu messen. Die Real Driving Emissions (RDE) werden ab September 2017 erhoben – allerdings eher als Kontrolle der Prüfstandwerte. Diese gelten übrigens nicht für den RDE: Zur Einführung dürfen die Autos den Grenzwert um 110 Prozent überschreiten (Faktor 2,1), ab Januar 2020 noch um 50 Prozent.
Demnach lagen die 24 getesteten Euro-5-Diesel um ein Vielfaches über den Grenzwerten für die Emission von Stickoxidausstoß pro Kilometer. 180 Milligramm durften es sein, im Mittel waren es 907 Milligramm. Auch die neueren Euro-6-Diesel lagen mit mehr als 500 Milligramm weit über den vorgeschriebenen Grenzwerten von 80 Milligramm je Kilometer.
Jetzt hat die Behörde die Abgaswerte nach Fahrzeugmodellen aufgeschlüsselt und die Informationen veröffentlicht. Zwölf Typen waren im Test besonders auffällig, darunter Fabrikate von Mercedes, Fiat Chrysler, Renault und Peugeot. Alle zwölf Dreckschleudern finden Sie hier.
Jeweils nur ein Wagen eines Typs getestet
Allerdings, so heißt es beim Umweltbundesamt, habe man jeweils nur einen Wagen eines Typs getestet: einmal auf dem Prüfstand und einmal auf der Straße. "Wir haben jeweils nur ein Einzelfahrzeug getestet. Das reicht uns, um einen Durchschnitt für die Flotte zu bilden", sagt Behördensprecher Martin Ittershagen auf Anfrage von WirtschaftsWoche Online. "Die Messung ist aber nicht darauf ausgelegt, repräsentative Aussagen zu diesem, einem Modell zu machen. Es kann natürlich sein, dass wir ein Montags-Auto erwischt haben und der Fahrzeugtyp sonst sauberer ist."
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Grundsätzlich ist man im Bundesumweltamt und anderen Behörden überzeugt, dass Diesel keine umweltschädlichen Abgasschleudern sein müssen. Die Technik sei ja vorhanden - und werde auch genutzt. "Die Werte zeigen auch, dass gerade bei den Euro-6-Fahrzeugen sehr saubere Fahrzeuge dabei sind, die schon heute die künftigen RDE-Grenzwerte einhalten", so Ittershagen. Nur gelte das eben nicht für alle Modelle - und auch nicht für alle Modelle eines Herstellers. "Es gibt Licht und Schatten: Einzelne Hersteller hatten sowohl Modelle im Test, die richtig sauber waren, andere ihrer Fahrzeuge zeigten in unserem Test zu hohe Werte."
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam zuvor schon die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in einem Test: Selbst bei niedrigen Temperaturen, bei denen der NOx-Ausstoß tendenziell höher ist, unterschritten ein auf der Straße getesteter Audi A5 und eine Mercedes E-Klasse mit moderner Abgasnachbehandlung die Grenzwerte.
Mit Material von dpa