Peter Hochholdinger hatte in seiner 23-jährigen Karriere als Auto-Produktionsexperte „noch nie einen leichten Job“. Schlaflose Nächte durchlebte er bei Audi in Ingolstadt, wo der Ingenieur die Fertigung des A4, A5 und Q5 verantwortete, mit einer Jahresproduktion von knapp 400.000 Fahrzeugen. Im Frühsommer 2016 wechselte der Audi-Veteran als Produktionschef zu Tesla Motors nach Kalifornien. Um nun das zu durchleben, was sein neuer Chef Elon Musk selber als „Hölle“ bezeichnet.
In Teslas Fabrik am Rande des Silicon Valley organisiert der 55-Jährige seit Frühjahr die Produktion des Hoffnungsträgers Model 3, der mit Hilfe von rot lackierten Robotern des Augsburger Spezialisten Kuka die erste Elektrolimousine für den Massenmarkt weitgehend automatisiert montieren soll. Ende Juli übergab Musk stolz die ersten dreißig Model 3 an verdiente Mitarbeiter, kündigte vollmundig an, bis Ende September 1500 Stück zu produzieren, um dann im Monat Dezember schon 5000 Wagen die Woche zu fertigen.
Zulieferer, die das Tesla Werk ein paar Wochen nach der Zeremonie besuchten, staunten über solche Aussagen. Denn die Fertigung des Tesla 3, die im Gegensatz zu den Modellen S und X auf einer eigenen Linie läuft, glich damals eher einer „Manufaktur“ mit viel Handarbeit.
Nun ist klar – tatsächlich hat Tesla von seinem Hoffnungsträger, für den über eine halbe Million Vorbestellungen inklusive einer halben Milliarde Dollar Anzahlung vorliegen, von Juli bis Ende September gerade mal klägliche 260 Exemplare hergestellt, weniger als 20 Prozent der Zielvorgabe. Und damit den Begriff Firmenwagen neu definiert, denn alle ausgelieferten Fahrzeuge gingen an Mitarbeiter oder Musk nahestehende Personen.
Musks Aura strahlt inzwischen stärker als die von Steve Jobs
Bei jedem anderen Unternehmen würde solch eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit die Führungsriege erschüttern und die Aktionäre erregen. Doch Musks Aura strahlt inzwischen stärker als die seines Vorbilds Steve Jobs. Am Tag nach der Offenbarung ging die Tesla-Aktie nur kurz auf Talfahrt, um dann kräftig ins Plus zu drehen. „Jede Tesla-Schwäche ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, um die Aktie zu kaufen“, tönt Trip Chowdhry, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Global Equities Research aus San Francisco. Er glaubt den Beteuerungen von Tesla, dass es „keine fundamentalen Probleme mit der Model-3-Produktion oder -Lieferkette gibt.“ Mehr noch: „Tesla baut eine neue Industrie“.
Doch nun mehren sich die kritischen Stimmen an der Wall Street, denen der Musk-Kult unheimlich wird und sich sorgen, dass sich der Workaholic mit seinen vielen Projekten – wie der Besiedlung des Alls oder dem Bau von Untergrund-Tunneln – verzettelt.
Goldman-Sachs-Analyst David Tamberrino glaubt dem Model-3-Hype nicht mehr. Er erwartet, dass die Tesla-Aktie bis zum Frühjahr um vierzig Prozent fällt, weil die Margen aus dem reinen Verkauf von Autos niemals den knapp 60 Milliarden Dollar Börsenwert des Stars aus dem Silicon Valley rechtfertigen. General Motors, immerhin größter US-Fahrzeughersteller, liegt derzeit nur drei Milliarden Dollar darüber.
Die Tesla-Chronik
Zwei Teams um den US-Ingenieur Martin Eberhard und den Milliardär Elon Musk entwerfen die Vision eines Elektrofahrzeugs, das mit Akkus angetrieben wird. Auf der Basis des Prototyps T-Zero. Neben Musk stecken auch die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page und der eBay-Gründer Jeff Skoll Geld in das Projekt.
Drei Jahre arbeitet Tesla am ersten Modell, im Juli 2006 stellt das Unternehmen den Roadster vor. Der zweisitzige Sportwagen auf der Basis des britischen Leichtgewicht-Roadster Lotus Elise verfügt über einen 215 kW (292 PS) starken Elektromotor, der seine Energie aus 6.831 Lithium-Ionen-Notebook-Akkus bezieht.
Im August 2007 tritt der damalige CEO Martin Eberhard zurück, im Dezember 2007 verlässt er das Unternehmen komplett. Am Ende landet der Streit der Gründer fast vor Gericht – bis eine außergerichtliche Einigung erzielt werden kann.
Musks finanzielle Mittel alleine reichen zum Wachstum nicht mehr aus. Mit Daimler und Toyota steigen zwei große Autokonzerne bei Tesla ein. Trotzdem schreibt das Unternehmen weiterhin Millionenverluste.
Lange war der Bau einer eigenen Limousine unter dem Codenamen „WhiteStar“ geplant. Auf der IAA in Frankfurt feiert das Model S, eine 5-sitzige Limousine die Premiere. Anfangs übernimmt Lotus die Fertigung. Ab 2011 wird das Modell in einer ehemaligen Toyota-Fabrik in Freemont gebaut. Pro Jahr werden zunächst 10.000 Modelle gefertigt.
Tesla erhält vom US-Energieministerium einen Kredit über 450 Millionen Dollar. Das Geld investiert das Unternehmen in den Aufbau einer eigenen Fertigung.
Musk wagt den Börsengang. Mit einem Ausgabepreis von 17 Dollar geht der Elektrohersteller in den Handel – und macht den Gründer wieder reich. Über Nacht erreicht erreichen die Anteile von Musk einen Wert von 650 Millionen Dollar, obwohl das Unternehmen bis zu diesem Zeitpunkt noch nie Gewinne gemacht hat.
Tesla veröffentlicht Pläne einen eigenen SUV an den Start zu bringen. Das Model X soll im Sommer 2015 erstmals ausgeliefert werden und die Modellpalette von Tesla erweitern. Am Ende verzögern sich die Pläne, die Produktion des Model X läuft erst im Herbst an – und das nur schleppend.
Endlich schreibt Tesla schwarze Zahlen. Auch den Millionenkredit des Staats zahlt das Unternehmen neun Jahre früher als es nötig gewesen wäre. Mit der Ausgabe neuer Aktien und Anleihen nimmt das Unternehmen rund eine Milliarde Dollar ein. Der Aktienkurs des Unternehmens beläuft sich mittlerweile auf 147 Dollar. Damit ist das Unternehmen an der Börse mehr wert als Fiat.
Im Mai haben die Bauarbeiten in Reno, Nevada, für die weltgrößte Batteriefabrik begonnen. Hier will Tesla nicht nur die Akkus für seine Elektroautos und auch sogenannte "Powerwalls" für den Hausgebrauch montieren, sondern auch die Batteriezellen selbst aus Rohstoffen herstellen. Das Investitionsvolumen beträgt fünf Milliarden Dollar, als Partner ist Panasonic mit im Boot.
Tesla gibt Pläne bekannt, mit dem Model 3 ein kompaktes Auto für den Massenmarkt auf den Markt bringen zu wollen. Der Wagen, der rudimentär erstmals im März 2016 gezeigt wurde, soll rund 35.000 Dollar kosten und soll über eine Reichweite von 320 Kilometern (200 Meilen) verfügen.
Nach der Vor-Premiere des Model 3 im März steht zur Jahresmitte ein weiterer Meilenstein an: In der Gigafactory werden die ersten Batteriezellen gefertigt. Diese sind zwar vorerst für die PowerWall-Heimakkus gedacht, bringen das Unternehmen aber einen Schritt näher an die Massenfertigung des Model 3.
Ende Juni 2017 übergibt Tesla die ersten 30 Model 3 an ihre Besitzer übergeben - allesamt sind Tesla-Beschäftigte. Die ersten 30 von mehr als einer halben Million Vorbestellungen, die Tesla erst einmal lange abarbeiten muss.
Tesla erreicht am 1. Juli das Produktionsziel für seinen Hoffnungsträger Model 3. In den sieben letzten Tagen des zweiten Quartals seien 5031 Fahrzeuge hergestellt worden, teilt der Konzern. Vom Erfolg der Serienfertigung beim Model 3 hängt ab, ob sich Tesla mit seinen 40.000 Beschäftigten vom unrentablen Nischenplayer zum profitablen Hersteller wandeln kann.
„Tesla könnte das größte börsennotierte Unternehmen der Geschichte sein, dass weder positiven Cash Flow noch einen jährlichen Profit hervorgebracht hat“, warnt Toni Sacconaghi von der Investmentbank Sanford C. Bernstein, einer der angesehensten Technologie-Analysten der USA. Seit Gründung hat Tesla laut seinem Berechnungen fast zehn Milliarden Dollar verbrannt.