Tesla ist wertvoller als GM und Ford
Es ist eine Zäsur auf dem sonst so traditionellen US-Automarkt: Über Jahrzehnte prägten die "Big Three" – General Motors, Ford und Chrysler – mit ihren unzähligen Automarken das Straßenbild der USA. Doch der wertvollste US-Autobauer ist jetzt ein anderer: Tesla, das kleine Start-up aus Kalifornien.
Tesla kam nach Börsenschluss in New York am Montag auf eine Marktkapitalisierung von 50,887 Milliarden Dollar. Der Elektroautobauer überholte damit den Konkurrenten General Motors, der zwar viel mehr Autos produziert, aber nur einen Börsenwert von 50,886 Milliarden Dollar erreichte – im Tagesverlauf war der Vorsprung etwas größer. Der Rekordschlussstand von 312,39 Dollar reichte aber aus, um hauchdünn vor GM zu landen.
Börsianer verwiesen auf einen positiven Analystenkommentar von Piper Jaffray. Anleger könnten es sich nicht erlauben die Aktie zu ignorieren, hieß es. "Tesla erzeugt mit Optimismus, Freiheit, Trotz und einer Menge anderer Emotionen, die aus unserer Sicht andere Firmen nicht replizieren können", schrieb Piper-Jaffray-Analyst Alexander Potter. Potter hatte am Montag die Aktie hochgestuft – nachdem er sieben Monate lang einen Tesla gefahren war und sich mit dem Management getroffen hatte. "Wenn Tesla aufholt, denken wir, dass Teslas Konkurrenten noch verzweifelter erscheinen."
Der Analystenkommentar und der dadurch um drei Prozent getriebene Kurs haben Tesla kurzfristig geholfen, General Motors zu überholen. Diese Zäsur auf eine Momentaufnahme zu verkürzen, wäre aber auch vermessen: Die Tesla-Aktie hatte bereits im Verlauf der vergangenen Wochen kräftig zugelegt. Anleger setzen darauf, dass Konzernchef Elon Musk die Weichen für eine Revolution im Automobil- und Energiesektor mitstellt.
Für Tesla gelten andere Börsen-Maßstäbe
Die Schlüsselwörter hierbei sind "darauf setzen": Es ist die Wette auf eine unternehmerische Substanz, die Tesla-Grüner Elon Musk zwar ständig verspricht, aber noch nicht vorweisen kann. Ein Verweis auf die Gewinnschätzungen gibt zwar ein grobes Bild, hilft im Fall Tesla nur bedingt weiter: GM erwartet mehr als neun Milliarden Dollar in diesem Jahr zu verdienen, bei Ford geben die Analysten einen erwarteten Profit von 6,3 Milliarden Dollar an – bei Tesla stehen in der Prognose 950 Millionen Dollar Verlust.
Warum die Gewinnerwartung nicht weiter hilft? Weil am Kapitalmarkt für die bekannten disruptiven Start-ups andere Maßstäbe gelten. "Der Markt kümmert sich mehr um den potenziellen neuen Marktwert der anderen Bereiche, die zu Tesla gehören, als über echte Gewinne und Cashflow", sagt David Whiston, Analyst bei Mornigstar. "Gerade gibt es nichts, was Teslas Momentum verlangsamen könnte."
Technische Hintergründe zu Akkus
Eine Batterie hat die Aufgabe, beim Aufladen möglichst viele Elektronen aufzunehmen und diese mit möglichst wenigen Verlusten zu speichern. Beim Entladen gibt sie die Elektronen dann wieder ab, um mit diesem Strom zum Beispiel einen Elektromotor oder ein Handy zu betreiben.
Im Akku übernehmen die sogenannten Lithium-Ionen diese Speicheraufgabe: Diesen Atomen fehlt ein Elektron. Daher sind sie elektrisch positiv geladen. Beim Aufladen strömen negativ geladene Elektronen in den Akku und sammeln sich in einem dichten Geflecht aus dem leitfähigen Kohlenstoff Graphit. Dorthin wandern dann auch die positiv geladenen Lithium-Ionen. Jedes von ihnen bindet ein Elektron – man könnte auch sagen, dass jedes Ion ein Elektron festhält, um die Ladungsneutralität zu gewährleisten. Beim Entladen des Akkus verlassen die Elektronen das Graphit nach und nach wieder. Damit wandern auch die positiv geladenen Lithium-Ionen aus dem Graphit-Netzwerk heraus. Später kann der Ladezyklus dann von neuem beginnen.
Je mehr Lithium-Ionen in einen Akku hineinpassen, umso mehr Elektronen und damit Energie können auf gleichem Raum gespeichert werden. Daher arbeitet Bosch schon länger unter anderem daran, den Graphit-Anteil zu reduzieren oder ganz auf das Graphit zu verzichten. Dies würde die Energiedichte des Akkus deutlich steigern. Das scheint jetzt dem Start-up Seeo, das Bosch gekauft hat, gelungen zu sein.
Die anderen Bereiche, das sind etwa die Solaranlagen von SolarCity, die in Form von Solar-Dachziegeln die eigene Sonnenstromanlage auf dem Hausdach revolutionieren sollen. Oder der Batterie-Bereich mit dem Heim-Akku "PowerWall", in dem der selbst erzeugt Solarstrom zwischengespeichert wird – um ihn später im Haus zu verwenden oder seinen Tesla damit zu laden. Und natürlich die größte Wette von allen, die weltgrößte Batteriefabrik "Gigafactory".
Jene Fabrik, die Tesla gerade zusammen mit Panasonic in der Wüste Nevadas hochzieht, ist der Schlüssel zu Musks Masterplan, mit der der Durchbruch der Elektromobilität auf dem Massenmarkt überhaupt gelingen kann. Günstige Akkus aus der eigenen Fabrik sind die Grundlage für den Businessplan bei dem kommenden Volumenmodell Model 3: Müsste Tesla Akkus zukaufen, ließe sich kaum der kolportierte Einstiegspreis von 35.000 Dollar halten – oder Tesla würde mit jedem verkauften Auto Verlust machen.
Die ersten Versuche in der bereits im Teilbetrieb befindlichen Fabrik scheinen für Tesla vielversprechend zu sein. Auf Instagram kursiert seit Februar ein Video, das ein Nutzer angeblich am Tesla-Store in Santa Monica, Kalifornien aufgenommen hat. In dem Werbevideo, in dem die Gigafactory vorgestellt wird, heißt es, dass man die Kosten der Batterien um 35 Prozent senken werde. Bislang war immer von „mehr als 30 Prozent“ die Rede.
Ein Auto ist komplexer als ein iPhone
Für die neuen Batteriezellen vom Typ 2170, die Tesla in der Gigafactory für das Model 3 fertigt, ergäben sich so essentielle Kosteneinsparungen. Noch im vergangenen Frühjahr gab Tesla an, dass die Batteriekosten bereits unter 190 Dollar pro Kilowattstunde (kWh) lägen. Legt man diese Zahl zugrunde, könnten die Kosten für die neuen Batteriezellen bei nur noch 125 Dollar/kWh liegen – ein 55 kWh großes Batteriepack würde damit unter 7000 Dollar kosten. Über die genauen Kosten für die Batterien schweigen die Autobauer meistens – bei einem Preis von 190 Dollar/kWh kommt selbst die kleinste Batterie-Variante in einem Model S auf über 11.000 Dollar.
Offen ist aber, ob Tesla diese Kostenvorteile auch in der Batterie-Massenproduktion halten kann – laut Batterie-Experten sind die im Kleinen erzielten Ergebnisse oft nicht beliebig skalierbar, es können also jederzeit neue Probleme – und Kosten – auftreten. Auch die Fertigung des Model 3, die hochautomatisiert ablaufen soll, ist noch nicht angelaufen – auch hier lauern teure Risiken.
Die Tesla-Chronik
Zwei Teams um den US-Ingenieur Martin Eberhard und den Milliardär Elon Musk entwerfen die Vision eines Elektrofahrzeugs, das mit Akkus angetrieben wird. Auf der Basis des Prototyps T-Zero. Neben Musk stecken auch die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page und der eBay-Gründer Jeff Skoll Geld in das Projekt.
Drei Jahre arbeitet Tesla am ersten Modell, im Juli 2006 stellt das Unternehmen den Roadster vor. Der zweisitzige Sportwagen auf der Basis des britischen Leichtgewicht-Roadster Lotus Elise verfügt über einen 215 kW (292 PS) starken Elektromotor, der seine Energie aus 6.831 Lithium-Ionen-Notebook-Akkus bezieht.
Im August 2007 tritt der damalige CEO Martin Eberhard zurück, im Dezember 2007 verlässt er das Unternehmen komplett. Am Ende landet der Streit der Gründer fast vor Gericht – bis eine außergerichtliche Einigung erzielt werden kann.
Musks finanzielle Mittel alleine reichen zum Wachstum nicht mehr aus. Mit Daimler und Toyota steigen zwei große Autokonzerne bei Tesla ein. Trotzdem schreibt das Unternehmen weiterhin Millionenverluste.
Lange war der Bau einer eigenen Limousine unter dem Codenamen „WhiteStar“ geplant. Auf der IAA in Frankfurt feiert das Model S, eine 5-sitzige Limousine die Premiere. Anfangs übernimmt Lotus die Fertigung. Ab 2011 wird das Modell in einer ehemaligen Toyota-Fabrik in Freemont gebaut. Pro Jahr werden zunächst 10.000 Modelle gefertigt.
Tesla erhält vom US-Energieministerium einen Kredit über 450 Millionen Dollar. Das Geld investiert das Unternehmen in den Aufbau einer eigenen Fertigung.
Musk wagt den Börsengang. Mit einem Ausgabepreis von 17 Dollar geht der Elektrohersteller in den Handel – und macht den Gründer wieder reich. Über Nacht erreicht erreichen die Anteile von Musk einen Wert von 650 Millionen Dollar, obwohl das Unternehmen bis zu diesem Zeitpunkt noch nie Gewinne gemacht hat.
Tesla veröffentlicht Pläne einen eigenen SUV an den Start zu bringen. Das Model X soll im Sommer 2015 erstmals ausgeliefert werden und die Modellpalette von Tesla erweitern. Am Ende verzögern sich die Pläne, die Produktion des Model X läuft erst im Herbst an – und das nur schleppend.
Endlich schreibt Tesla schwarze Zahlen. Auch den Millionenkredit des Staats zahlt das Unternehmen neun Jahre früher als es nötig gewesen wäre. Mit der Ausgabe neuer Aktien und Anleihen nimmt das Unternehmen rund eine Milliarde Dollar ein. Der Aktienkurs des Unternehmens beläuft sich mittlerweile auf 147 Dollar. Damit ist das Unternehmen an der Börse mehr wert als Fiat.
Im Mai haben die Bauarbeiten in Reno, Nevada, für die weltgrößte Batteriefabrik begonnen. Hier will Tesla nicht nur die Akkus für seine Elektroautos und auch sogenannte "Powerwalls" für den Hausgebrauch montieren, sondern auch die Batteriezellen selbst aus Rohstoffen herstellen. Das Investitionsvolumen beträgt fünf Milliarden Dollar, als Partner ist Panasonic mit im Boot.
Tesla gibt Pläne bekannt, mit dem Model 3 ein kompaktes Auto für den Massenmarkt auf den Markt bringen zu wollen. Der Wagen, der rudimentär erstmals im März 2016 gezeigt wurde, soll rund 35.000 Dollar kosten und soll über eine Reichweite von 320 Kilometern (200 Meilen) verfügen.
Nach der Vor-Premiere des Model 3 im März steht zur Jahresmitte ein weiterer Meilenstein an: In der Gigafactory werden die ersten Batteriezellen gefertigt. Diese sind zwar vorerst für die PowerWall-Heimakkus gedacht, bringen das Unternehmen aber einen Schritt näher an die Massenfertigung des Model 3.
Ende Juni 2017 übergibt Tesla die ersten 30 Model 3 an ihre Besitzer übergeben - allesamt sind Tesla-Beschäftigte. Die ersten 30 von mehr als einer halben Million Vorbestellungen, die Tesla erst einmal lange abarbeiten muss.
Tesla erreicht am 1. Juli das Produktionsziel für seinen Hoffnungsträger Model 3. In den sieben letzten Tagen des zweiten Quartals seien 5031 Fahrzeuge hergestellt worden, teilt der Konzern. Vom Erfolg der Serienfertigung beim Model 3 hängt ab, ob sich Tesla mit seinen 40.000 Beschäftigten vom unrentablen Nischenplayer zum profitablen Hersteller wandeln kann.
Ein weiteres Risiko für den Erfolg des Model 3 kommt ausgerechnet von General Motors: Mit dem Chevrolet Bolt hat GM bereits jetzt ein Elektroauto im Programm, dass bei Preis und Reichweite auf den angekündigten Niveau des Model 3 liegt. Für Piper-Jaffray-Analyst Potter ist das aber kein Grund, seine Bewertung zu senken. "Die Produkte von Tesla haben einen fesselnden Einfluss auf die Verbraucher und die Aktionäre. Dieser Vorteil wird schwer zu replizieren sein", schrieb er in seiner aktuellen Analyse. "Auch wenn der Produktionsstart des Modells 3 schlecht läuft, denken wir, dass Kunden (und vor allem die Aktionäre) sich mit einem Urteil zurückhalten werden."
Trotz der von Analysten wie Potter ausgestellten Vorschuss-Lorbeeren darf Tesla den Produktionsanlauf des Model 3 keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen. Es ist das erste Mal, dass Tesla derart große Stückzahlen produzieren will. Da sind Probleme vorprogrammiert, selbst bei etablierten Autobauern mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Autoproduktion.
Tesla streicht das Einstiegsmodell
Gerade der Hardware-Teil des Geschäfts wird an der Wall Street oft nicht ausreichend bedacht. Tesla wird eher wie eine Technologie-Aktie behandelt – die Investoren setzen auf eine Fähigkeit, einen Markt für Elektroautos und Energiespeicherung zu dominieren, wie es Facebook, Uber und Apple in ihren Bereichen machen. Bei Geschäftsmodell und -entwicklung mag Tesla auch diesen Firmen ähneln, doch es gibt einen großen Unterschied: die Hardwarekosten.
Wenn Facebook ein Problem mit einer neuen Funktion hat, schieben sie ein Software-Update hinterher. Bei Apple wird das schon etwas komplizierter, aber iPhones können von fast jedem Händler verkauft und in vielen Läden repariert werden. Doch um Autos zu verkaufen und zu warten – ja, auch ein Tesla muss irgendwann in die Werkstatt – braucht es ein verzweigtes Servicenetz. Zumindest, wenn man irgendwann mehr als eine Million Autos im Jahr verkaufen will. Und die Produktion eines Elektroautos ist zwar simpler als die eines mit Verbrennungsmotor, ungleich komplexer als eine Smartphone-Fertigung bleibt sie dennoch.
Dieser Spagat zwischen Tech- und Autofirma erklärt auch die gespaltenen Analysteneinschätzungen zu Tesla. "Ist es fair? Nein, es ist nicht fair", sagte auch die US-Branchenberaterin Maryann Keller der Agentur "Bloomberg". "Auch wenn Tesla irgendwann einen Gewinn einfährt, müssen sie schließlich genug verdienen, um diese Bewertung zu rechtfertigen."
Kurzfristig interessiert das Tesla und seine begeisterten Anleger aber kaum. Gemessen an der Marktkapitalisierung sind die Kalifornier jetzt das sechstgrößte Auto-Unternehmen der Welt – nach Toyota, Daimler, Volkswagen, BMW und Honda. Morningstar-Analyst Whiston geht davon aus, dass Tesla bald schon Honda überholt – die Japaner kommen derzeit auf rund 52 Milliarden Dollar, der Vorsprung ist minimal.
Bis zum Marktwert von Toyota, immerhin 172 Milliarden Dollar, ist es selbst für Tesla noch ein langer Weg. Angesichts des Tesla-Hypes an der Wall Street könnte man sich aber an den Toyota-Slogan erinnert fühlen: "Nichts ist unmöglich."