Über Thompsons Vorgehen können die Manager in Wolfsburg derzeit nur spekulieren. „Wir wissen nicht, was uns erwartet“, sagt einer. Konzerninsider rechnen damit, dass er darauf drängen wird, die Motorentwicklung organisatorisch von der Abgasmessung abzukoppeln. Die fehlende Trennung habe den Betrügereien schließlich Tür und Tor geöffnet. Künftig werde eine unabhängige Abteilung über die Einhaltung von Grenzwerten wachen, meint ein VW-Manager, der Thompson zuarbeiten soll.
Die Mitarbeiter in der Forschung und Entwicklung bereiten sich innerlich bereits auf kritische Verhöre vor. „Thompson wird interessieren, warum die Manipulationen nicht früher auffielen“, sagt ein Insider.
In Wolfsburg geht die Angst um, und sie kann durchaus lähmend wirken. Denn viele Fragen sind offen. Was, wenn man zum Gespräch beim Monitor antreten muss? Wird einem das Unternehmen zur Seite stehen? Sollte man gleich den eigenen Anwalt mitbringen?
Dass diese Fragen berechtigt sind, zeigt der Fall der Commerzbank. US-Richter Lawsky zwang die Bank dazu, fünf Mitarbeiter zu entlassen, die in die verbotenen Geschäfte involviert waren. Einer davon war Lars Christiansen, der in Hamburg den Zahlungsverkehr für einen iranischen Kunden abwickelte. „Ich habe mich nie eines Vergehens strafbar gemacht“, sagt er. Die Geschäfte mit dem Iran wickelte Christiansen im Auftrag seines Arbeitgebers ab. Trotzdem erhielt er im März 2015 seine Kündigung – weil die Commerzbank im Vergleich mit den US-Behörden eingeknickt war.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Nach deutschem Recht war die Kündigung wohl unzulässig. Einen Prozess vor dem Arbeitsgericht hat Christiansen jedenfalls gewonnen, die Anwälte der Bank räumten sogar ein, dass es „erheblichen Druck aus den USA“ gegeben habe. Die Commerzbank hat trotzdem Revision eingelegt – weil der US-Vergleich sie dazu zwingt. Ende Juni wird der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht erneut verhandelt.
Clash der Kulturen
Arbeitsrecht, Tarifrecht, Datenschutz – bei den exterritorialen Aktionen der Amerikaner prallen Rechtssysteme aufeinander. Regelmäßig kommt es etwa zu Konflikten über Betriebsvereinbarungen: „In den USA haben Betriebsräte eine viel geringere Bedeutung“, sagt ein Anwalt, der in die Arbeit von Monitoren eingebunden war. Zudem kollidieren die Aufklärungsbemühungen regelmäßig mit deutschen Geheimhaltungsvorschriften. So habe der frühere FBI-Chef Louis Freeh, der als Monitor bei Daimler fungierte, den „Datenschutz nicht sonderlich ernst genommen“.
Dabei sieht selbst Freeh die US-Machtdemonstration mittlerweile kritisch. Das Pendel sei „zu weit ausgeschlagen“, sagte er kürzlich dem „Handelsblatt“.
Zaghaft formiert sich selbst bei VW Widerstand. „Nur weil ein Herr Thompson eine Abteilung verändern oder verlagern will, muss das noch lange nicht heißen, dass das rechtlich auch machbar ist“, sagt ein Manager. Und Betriebsratschef Osterloh lässt seinen Einfluss spielen. Er hat bereits verhindert, dass der Konzern Freeh als Berater installiert. Nun will er penibel darüber wachen, dass Thompson nicht gegen deutsche Mitarbeiterrechte verstößt.