Dabei ist es gerade die einzigartige Verflechtung von mittelständischen Unternehmen aus Maschinenbau und Zuliefererindustrie und großen Premium-Herstellern, die den Autostandort Deutschland zum weltweit führenden macht. Die räumliche Nähe von Hersteller und Zulieferer, die enge Kooperation bei Forschung und Entwicklung, das perfektionierte Zusammenspiel von Familienunternehmen und Großkonzernen – das gibt es nur in Deutschland. „Daraus schöpft die deutsche Autoindustrie ihre enorme Innovationskraft“, sagt Bratzel.
So entstehen Fahrsicherheitssysteme wie in Daimlers S-Klasse, Leichtbau-Techniken, wie Audi sie perfektioniert hat oder hochentwickelte Benzin- und Dieselmotoren, die so sauber verbrennen wie nie zuvor. Was da weltweit für Aufsehen sorgt, stammt aus deutschen Technikzentren. Bratzel: „Forschung und Entwicklung der deutschen Hersteller findet zu über 90 Prozent noch in Deutschland statt. Allerdings erleben wir jetzt schon, dass einzelne Forschungsthemen ins Ausland verlagert werden.“
In Kalifornien und Nevada etwa befinden sich die Testzentren für pilotiertes Fahren – Audi ist bereits dort. Elektromodelle wie der Daimler-Denza oder der BMW Zinoro entstehen mit den jeweiligen Joint-Venture-Partnern für deren Heimatmärkte. Der Trend, Fahrzeuge vor Ort für den jeweiligen Markt weiterzuentwickeln nimmt zu. „In Zukunft“, spinnt Bratzel den Gedanken weiter, „wird die Gefahr größer, dass Autos immer weniger in Deutschland entwickelt werden.“
Forschung, Entwicklung, Zulieferer und Ausrüster – sämtliche Bereich der automobilen Wertschöpfung wandern den Herstellern in die neuen Wachstumsmärkte hinterher. Sie haben kaum eine Wahl, wollen sie vom Nachfrageboom in Asien oder Amerika profitieren.
So sicher sich der Ausbau von Kapazitäten im Ausland weitergehen wird, so klar ist auch: Ohne die Internationalisierungsstrategie von VW, Audi, BMW und Daimler hätte die in Deutschland ansässige Automobilindustrie dieselbe Talfahrt erlebt wie die Kollegen in Frankreich oder Italien. Volumenhersteller wie Peugeot oder Renault lassen sich zwar nicht eins zu eins mit den deutschen Premium-Autobauern vergleichen. Die Premium-Kundschaft ist krisenfester, die Länder Südeuropas hat die Krise besonders schwer getroffen.
Doch das allein erklärt nicht, warum Deutschland in der Absatzkrise mit einem blauen Auge davon gekommen ist. Nur dank ihrer massiven Expansion haben die deutschen Hersteller die Absatzeinbrüche in Europa kompensiert. Aktuell gehen 77 Prozent der in Deutschland produzierten Autos ins Ausland. 14 Prozent sind für die USA bestimmt, 9,5 Prozent für China.
Auch in den nächsten Jahren werden die konsumfreudigen Amerikaner, Chinesen, Brasilianer oder Indonesier die Bänder in Deutschland am Laufen halten. Noch sind Getriebe, Motoren und weitere Zulieferer-Komponenten aus Deutschland im Ausland gefragt. Doch der Trend geht – das zeigt BWM mit seinen Gedankenspielen in Mexiko - zur lokalen Produktion kompletter Fahrzeuge.