Verlagerung Was wird aus dem Autostandort Deutschland?

Audi und BMW bauen riesige Fabriken - in China und Mexiko. Kann sich Deutschland als Standort für Produktion, Forschung und Entwicklung langfristig behaupten?

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Kann sich Deutschland als Produktions- und Forschungsstandort auf lange Sicht behaupten? Quelle: dpa

In 40 Jahren bei Audi hat Klaus-Peter Körner so etwas noch nicht erlebt. Mitten im mexikanischen Nirgendwo ziehen die Ingolstädter binnen weniger Monate ein neues Werk hoch. Kosten: 900 Millionen Euro.

Noch sind nur die Gerippe aus Stahl zu sehen, doch schon 2016 werden hier pro Jahr 150.000 Stück des neuen Audi Q5 vom Band rollen. Das bedeutet Arbeit für 20.000 Menschen. „Gigantisch, unglaublich“, schwärmt Körner, der die neue Produktion in Mexiko leiten wird.

Bald schon könnten die Bayern einen Nachbarn bekommen. BMW ist dem Vernehmen nach ebenfalls auf der Suche nach einen passenden Fleckchen für ein neues Werk in Übersee – vorzugsweise Mexiko.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Der nordamerikanische Markt liegt vor der Tür, die Lust der Amerikaner auf Neuwagen ist nach Jahren der Krise wieder voll entflammt und die Wechselkursrisiken werden bei der Produktion vor Ort minimiert.

Logisch, dass BMW bei den gigantischen Absatzchancen und der erfolgreichen Erweiterung seines Werks in Spartanburg in South Carolina über eine weitere Fabrik nachdenkt. Hier sollen der Einser, Dreier und Mini vom Band laufen. Die Kapazität in Nordamerika stiege damit von 300.000 auf 600.000 Autos.

Das sind die innovativsten Autostandorte der Welt
BMW drückt beim Ausbau seines weltweiten Produktionsnetzwerks aufs Tempo. Laut einem Bericht des "Handelsblatt " prüft der Konzern intensiv den Bau eines zweiten großen Werks in Übersee, der Favorit soll Mexiko sein. Gebaut werden sollen dort die Kompakten der Einser- und Dreier-Reihe sowie der Mini. Der neue Standort würde BMW mindestens eine Milliarde Dollar kosten, berichtet das Blatt weiter. Mit einem Ausbau in Startanburg und dem angedachten neuen Werk wolle BMW sein Produktionsvolumen in Amerika auf mehr als 600.000 Autos pro Jahr verdoppeln.Ein Blick auf die innovativsten Auto-Standorte der Welt: Quelle: AP
Russland"Wie wettbewerbsfähig sind Ihrer Meinung nach folgende Automobilstandorte hinsichtlich ihrer Innovationskraft?", lautete eine der Fragen, die die Berater von Ernst & Young den Managern von 300 Unternehmen aus der europäischen Automobilbranche stellten. Im Falle Russlands antworteten sieben Prozent mit "sehr wettbewerbsfähig", 24 Prozent sagten "wettbewerbsfähig". Quelle: dpa-tmn
FrankreichFrankreich gehört nach wie vor zu den bedeutendsten Automobilstandorte der Welt. Allerdings hat das Land sehr unter der Absatzkrise auf dem europäischen Automarkt gelitten. Das zeigt sich in den Bewertungen der Europäischen Automanager: In den Bereichen Innovationskraft, Produktqualität und Produktivität verlor Frankreich als Standort zwischen sieben und 21 Prozentpunkten. 34 Prozent der Befragten halten Frankreich in puncto Innovation für wettbewerbsfähig beziehungsweise sehr wettbewerbsfähig. Das reicht für Platz neun. Quelle: AP
Schweden43 Prozent der Manager aus der Automobilbranche halten Schweden als Automobilstandort für wettbewerbsfähig bis sehr wettbewerbsfähig, was die Innovationskraft anbelangt. Besser schneiden die skandinavischen Autobauer bei der Qualität ihrer Produkte ab: 2013 landet Schweden auf dem dritten Platz des Produktqualitäts-Rankings. Quelle: dpa
IndienIn Indien haben derzeit 14 Automobilhersteller ihren Hauptsitz, darunter Ashok Leyland, Bajaj Auto oder Tata Motors. Tata Motors ist der größte Automobilhersteller Indiens. Was die Wettbewerbsfähigkeit des Landes in puncto Produktionskosten angeht, belegt Indien sogar den zweiten Platz. Nur bei der Innovation sind die befragten Manager skeptischer. Da reicht es nur für Platz sieben. Quelle: obs
BrasilienBrasilien ist der viertgrößte Autoproduzent der Welt. Doch nur zehn Prozent der Automobilhersteller halten den Standort für "sehr wettbewerbsfähig", 39 Prozent schätzen das Land immerhin als wettbewerbsfähig ein, was die Innovationsfähigkeit anbelangt. Quelle: dpa
USA56 Prozent der Automanager sind der Meinung, dass die Vereinigten Staaten als Automobilstandort 2013 in Sachen Produktqualität wettbewerbsfähig sind. 13 Prozent schätzen den Standort als "sehr wettbewerbsfähig" ein. Im Vergleich zu 2011 entspricht das einem Zuwachs von sieben Prozent. Damals hielten etwas weniger als die Hälfte der Automanager die USA für einen wettbewerbsfähigen Standort in der Kategorie Innovationskraft. Quelle: AP

Tolle Nachrichten für die mexikanische Bevölkerung, die sich über weitere mehrere tausend Arbeitsplätze freuen darf. Doch wann immer von neuen Werken in Mexiko oder China die Rede ist, fragen sich Werksangestellte in Dingolfing, München oder Leipzig: Was wandert wohl noch alles ins Ausland?

Zunächst ist der Bau einer Fabrik im Ausland ein Grund zur Freude – auch und gerade für die deutschen Angestellten. Der Konzern wächst und sucht dafür gute Leute. Wie Audi-Mann Klaus-Peter Körner in Mexiko, so brauchen die Hersteller weltweit Experten. Noch sind es meist in Deutschland ausgebildete Ingenieure und Manager, die die Produktion im Ausland einrichten und dafür sorgen, dass Personal nach deutschem Qualitätsverständnis angelernt und ausgebildet wird.

Eine Chance

Die Internationalisierung ist also auch für deutsche Arbeitskräfte eine Chance - egal ob bei den Herstellern selbst oder ihren mittelständischen Zulieferern. Schon rund ein Drittel der Betriebe mit weniger als 500 Mitarbeitern ist im Ausland aktiv, weiß Stefan Bratzel, Leiter des CAM Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. „Die würden sich am liebsten klonen“. Das Fachpersonal zwischen deutschem Stammwerk und neuen Standorten zerreiße sich regelrecht, um am Wachstum in Übersee teil zu haben.

Doch in einigen Jahren, wenn die Mitarbeiter vor Ort eingelernt sind und die Produktion läuft, wird sich auch das ändern. Bratzel ist sicher: „Langfristig werden in Deutschland wohl vor allem die höherqualifizierten Jobs angesiedelt bleiben, die niedrigqualifizierten werden immer mehr ins Ausland verlagert.“

Nicht von heute auf morgen, aber schleichend werden Jobs in der Automobilproduktion verschwinden – vor allem für Zulieferer und Ausrüster wird es schwierig. „Das Risiko, dass der Mittelstand in Deutschland an Bedeutung verliert, ist real. Und es wird sich nicht vollständig verhindern lassen“.

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