Volkswagen Das schrumpfende Reich des Weltkonzerns

VW war auf dem besten Weg zum größten Autobauer der Welt. Dann schrumpften die Wolfsburger zum globalen Krisenkonzern. Erkundungen über Dieselgate und die Folgen in den Ländern des VW-Reichs.

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VW: Der globale Krisenkonzern war auf dem besten Weg zum größten Autobauer der Welt Quelle: Bloomberg

Endlich mal wieder ein angenehmer Termin für Matthias Müller. Es ist die letzte Woche im Mai, als der VW-Vorstandschef nach Berlin kommt, um die Expansion seines Unternehmens in ein weiteres Land zu verkünden. An der Seite von Shahar Waiser erklärt Müller, dass der größte deutsche Autokonzern mit 300 Millionen Euro bei der israelischen Fahrdienst-App Gett einsteigt, einem Konkurrenten des US-Chauffeurservice Uber. „Unser Kernprodukt ist künftig nicht mehr nur das Auto“, freut sich Müller. „Unser Kernprodukt, unser Versprechen an die Menschen, ist Mobilität.“ Dann hält er einen Tabletcomputer hoch, auf dem die App zu sehen ist, und freut sich, dass der vergleichsweise kleine Zuwachs im großen VW-Konzern allgemein als Zeichen von Zukunftszugewandtheit gedeutet wird.

Jubel über eine neue App statt über neue Absatzrekorde – was haben sich die Zeiten geändert im größten deutschen Industriekonzern. Seit acht Monaten wird VW nun schon vom Dieselgate-Skandal durchgerüttelt.

Bevor die US-Umweltbehörde EPA den Betrug am 18. September 2015 publik machte, hatten die Wolfsburger himmelhohe Ambitionen: Martin Winterkorn, damals Vorstandschef, war angetreten, um Toyota als weltgrößten Autohersteller zu überholen. Und tatsächlich schien das Wolfsburger Imperium auf einem guten Globalisierungsweg. Der Konzern zählt mehr als 100 Fabriken für seine zwölf Marken, ist in 19 Ländern Europas und acht Staaten Amerikas, Asiens und Afrikas vertreten. Nur noch knapp jedes vierte Auto rollt in Deutschland vom Band. Zum Vergleich: BMW und Daimler fertigen bis zu 70 Prozent in der Heimat.

Doch Martin Winterkorn und sein ostentativer Ehrgeiz sind Geschichte. Der neue CEO heißt Matthias Müller, und er ist gekommen, um Scherben aufzukehren. Der Börsenwert des Konzerns ist seit September um rund 20 Milliarden Euro gesunken. In den USA drohen Strafen bis 90 Milliarden Dollar. Man spricht in Wolfsburg nicht mehr davon, die Welt zu erobern. Es geht jetzt darum, das Unternehmen zu retten.

Entsprechend ist in der Diktion von Müller von einem „Übergangsjahr“ die Rede, „in dem wir den Konzern grundlegend neu ausrichten“. Übergang, das heißt in Wolfsburg: schrumpfen. Dezimieren. Abnehmen. Bei den Ambitionen. Bei den Verdiensten. Und bei den Marktanteilen. Denn Müller und seine Manager kämpfen mit zwei großen Problemen zugleich. In den westlichen Märkten hat VW Reputation eingebüßt und Kunden verloren. Und wo der Imageschaden nur kleine Kratzer hinterlassen hat, in China oder Russland, bremsen eine abflauende Konjunktur und strukturelle Probleme den Verkauf. Was also bleibt von den weltweiten Ambitionen des wichtigsten deutschen Industriekonzerns?



Autos zum Fremdschämen

Es ist nicht lange her, da war Tom Bassett begeistert von der deutschen Ingenieurkunst. Der silberne Golf TDI, den die Deutschen seiner Frau Carol Spindel und ihm im Juni 2015 in Bartlett, Illinois, auf den Hof gestellt hatten, hielt mehr als erwartet. Unterwegs in den Urlaub nach Neuengland kam „Das WeltAuto“, wie es VW gerne nennt, pro Gallone Diesel 82 Kilometer weit – weiter als der Händler versprochen hatte! „Es ist stark, was die deutschen Ingenieure hinbekommen haben“, dachte Bassett.

Wenige Monate später ist die Begeisterung gründlich verflogen. Das Professorenpaar, VW-Fahrer seit der Käfer-Ära und dem Konzern in Nibelungentreue verbunden, mochte zunächst nicht glauben, was Medien im September behaupteten: Volkswagen soll seine Dieselfahrzeuge manipuliert haben? VW? Ihre Marke? Ihr „WeltAuto“? Auf einmal war da nur noch wenig übrig vom Stolz auf die deutsche Ingenieurkunst. Stattdessen stiegen die Bassetts nur noch mit leichtem Widerwillen in ihren Golf, fuhren zu ihrem Händler und wollten wissen: Was ist dran an den Vorwürfen? Ist unser Sparmobil tatsächlich eine Dreckschleuder?

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