Seit dem Sturz in die Abgaskrise sind die fetten Jahre bei Volkswagen vorbei - zum Rekordverlust 2015, Milliarden-Rückstellungen und einer extrem teuren Lösung in den USA könnte nun aber noch ein zusätzlicher Kostenfaktor kommen. Über ein Bußgeldverfahren will die Staatsanwaltschaft Braunschweig Erträge aus dem jahrelangen Absatz von Dieselwagen mit falschen Abgaswerten eintreiben und den Konzern so zu weiteren Zahlungen zwingen.
Worum geht es bei dem neuen Ansatz der Ermittler?
Wenn VW wichtige Umweltdaten wie den Schadstoffausstoß nicht korrekt angab und Kunden täuschte, könnten die Gewinne der als „clean diesel“ beworbenen Autos illegal erwirtschaftet worden sein - so die Argumentation. Solche Einkünfte wollen die Ermittler nun zurückholen, plus möglicher Strafen obendrauf. „Wir haben ein Bußgeldverfahren eingeleitet“, sagte der Braunschweiger Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ), dem NDR und dem WDR. Die Begründung: Hätte VW mehr Geld in einwandfreie Abgastechnik ohne Tricksereien investiert, wären die Kosten höher und der Gewinn aus dem Absatz der weltweit elf Millionen betroffenen Dieselwagen geringer ausgefallen.
Welches rechtliche Vehikel soll für die Abschöpfung genutzt werden?
Das deutsche Ordnungswidrigkeiten-Gesetz formuliert in Paragraf 17: „Die Geldbuße soll den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen. Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht aus, so kann es überschritten werden.“ Ziehe sagte der Deutschen Presse-Agentur zum entsprechenden Bußgeldverfahren: „Wir haben dies eingeleitet gegen VW als Unternehmen“ - anders als bei den parallelen Betrugsermittlungen und dem „normalen strafrechtlichen Prinzip“ gehe es nicht um das Verschulden einzelner Personen. VW sei bereits rechtliches Gehör gewährt worden.
Welche Modelle unter den Diesel-Vergleich fallen
Baujahre 2013-2015
Baujahre 2010-2015
Baujahre 2009-2015
Baujahre 2012-2015
Baujahre 2010-2013 und 2015
Wie hoch könnten die zusätzlichen Kosten für das Unternehmen sein?
Das ist bisher schwer abzuschätzen. Entscheidend dürfte sein, ob sich vorsätzliche Straftaten nachweisen lassen. Selbst dann reiche der üblicherweise geltende Maximalsatz von bis zu zehn Millionen Euro aber womöglich nicht aus, meinte Ziehe - denn maßgeblich sei, dass die Buße den erzielten Gewinn übersteigen solle. Es drehe sich bei den Forderungen zudem ausdrücklich um die weltweiten Gewinne aus den Dieselverkäufen - nicht etwa nur um die in Deutschland vertriebenen Modelle. Die „SZ“ nannte eine denkbare Summe von „einigen Hundert Millionen Euro“, die auf VW zusätzlich zukommen könnte. Ein Sprecher des Konzerns sagte, das Unternehmen könne sich zu dem Verfahren derzeit nicht äußern. Unterlagen hierzu lägen noch nicht vor.
Wie VW im ersten Quartal abgeschnitten hat
Im Auftaktquartal 2016 hat Volkswagen 2,577 Millionen Fahrzeuge abgesetzt – zum ersten Quartal 2015 ein Rückgang von 1,2 Prozent (2,607 Millionen Fahrzeuge).
Zum Stichtag 31. März 2016 haben 613.075 Menschen für VW gearbeitet. Gegenüber dem Jahr 2015 sind das 0,5 Prozent mehr – damals waren es 610.076 Menschen.
In Deutschland sinkt jedoch die Zahl der VW-Mitarbeiter, zuletzt um 800 auf rund 277.900 Stellen. Der Zuwachs kommt aus dem Ausland, wo VW um fast 4.000 Stellen auf 335.200 Jobs zulegte.
Beim Umsatz musste VW im Vergleich zum Vorjahresquartal ein Minus von 3,4 Prozent hinnehmen. Die Umsatzerlöse sanken von 52,735 Milliarden Euro auf aktuell 50,964 Milliarden Euro.
Das operative Ergebnis (Ebit) stieg um 3,4 Prozent auf 3,44 Milliarden Euro – zum Jahresauftakt 2015 waren es noch 3,328 Milliarden Euro. Die operative Rendite stieg von 6,3 auf 6,8 Prozent.
Das Ergebnis nach Steuern ging deutlich zurück – von 2,932 Milliarden Euro im Q1 2015 auf aktuell 2,365 Milliarden Euro. Das entspricht einem Rückgang von 19,3 Prozent.
Die Marke Volkswagen Pkw verzeichnete in den ersten drei Monaten gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Volumen- und Umsatzrückgang. Der Umsatz von VW-Pkw sank von 26,3 Milliarden Euro auf 25,1 Milliarden Euro, der Absatz fiel von knapp 1,12 Millionen auf 1,07 Millionen Fahrzeuge. Infolge dessen ging das Operative Ergebnis vor Sondereinflüssen auf 73 (514) Millionen Euro zurück, die operative Marge erreichte im ersten Quartal 0,3 Prozent.
Mit 1,3 Milliarden Euro erreichte Audi annähernd wieder das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen des Vorjahres. Bei einem nahezu stabilen Umsatz sank die operative Marge leicht von 9,7 auf 9,0 Prozent.
Bei Skoda stieg das operative Ergebnis aufgrund positiver Mixeffekte und geringerer Materialkosten um gut 30 Prozent auf 315 (242) Millionen Euro. Die operative Marge legte bei deutlich gestiegenem Umsatz auf 9,3 (7,6) Prozent zu.
Seat verbesserte sein Operatives Ergebnis aufgrund von Kostenoptimierungen auf 54 (33) Millionen Euro. Dies entspricht einer Steigerung der Operativen Rendite auf 2,6 (1,5) Prozent.
Gemessen am operativen Ergebnis ist Bentley im ersten Quartal in die roten Zahlen gerutscht. Statt einem Gewinn von 49 Millionen Euro im Vorjahresquartal steht 2016 ein Minus von 54 Millionen Euro zu Buche. Volkswagen begründet das mit gesunkenen Auslieferungen.
Porsche blieb auch zum Auftakt des laufenden Geschäftsjahres in der Erfolgsspur. Das Operative Ergebnis stieg weiter auf 895 (765) Millionen Euro und damit deutlich überproportional zum Umsatz, der aufgrund eines signifikant höheren Absatzes spürbar zulegte. Die operative Marge kletterte auf 16,6 (15,1) Prozent.
Das operative Ergebnis von Volkswagen Nutzfahrzeuge sank volumenbedingt auf 142 (165) Millionen Euro, die operative Marge ging auf 5,2 (6,1) Prozent zurück. Scania verbuchte einen leichten Anstieg des operativen Ergebnisses auf 244 (237) Millionen Euro und eine stabile operative Marge von 9,6 Prozent. Trotz des anhaltend schwierigen wirtschaftlichen Umfelds in Südamerika verbesserte MAN Nutzfahrzeuge das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen unter anderem aufgrund des höheren Absatzes in Europa auf 65 (minus 13) Millionen Euro. Bei MAN Power Engineering belief sich das operative Ergebnis auf 48 (52) Millionen Euro.
Die Volkswagen Finanzdienstleistungen konnten ihr operatives Ergebnis deutlich auf 492 (403) Millionen Euro steigern. Insbesondere Volumeneffekte wirkten sich positiv aus.
Hat ein Bußgeldverfahren in der Diesel-Affäre Aussicht auf Erfolg?
Das gewählte Konstrukt über eine Rechtsnorm, mit der sonst zum Beispiel kleinere Verkehrsdelikte geahndet werden, mutet als Mittel in der schweren Krise des größten deutschen Konzerns eher skurril an. Die Staatsanwaltschaft betont jedoch: Das Verfahren laufe Hand in Hand mit den strafrechtlichen Untersuchungen. Es seien zwar getrennte Fälle. Aber wenn auf der einen Seite neue Erkenntnisse hinzukommen, könnten diese die andere Seite beeinflussen. Die Unschuldsvermutung gelte zunächst, unrechtmäßiges Verhalten müsse nachgewiesen werden.
Matthias Müller über...
"VW hat die Lage im Griff und wird die Krise aus eigener Kraft bewältigen."
"Werden es nicht zulassen, dass uns diese Krise lähmt. Im Gegenteil: Wir nutzen sie als Katalysator für den Wandel, den Volkswagen braucht."
"Ein Unternehmen unserer Größe kann nicht mit den Strukturen von gestern gesteuert werden. Schon gar nicht in unserem Umfeld, das sich so schnell ändert."
"Unsere wichtigste Währung sind nicht Stückzahlen oder operative Kennzahlen, sondern Vertrauen in Unternehmen und Produkte."
"Wir haben keinerlei Veranlassung von unserer im Oktober angepassten Jahresprognose abzurücken."
"Wir werden alles streichen und verschieben, was jetzt nicht zwingend notwendig ist. Wir werden uns aber sicher nicht kaputt sparen."
"Überlegungen, einzelne Konzernteile zu verkaufen, stellen wir derzeit nicht an. Zu keiner Sekunde."
"Natürlich ist das Image des Diesels beschädigt."
"Just do it."
Was für finanzielle Folgen hat der Diesel-Skandal bislang für VW?
Der größte Batzen sind die bis zu 14,7 Milliarden Dollar, die VW voraussichtlich in den USA hinblättern muss - den Großteil davon für Entschädigungen von Kunden, Rückkäufe und Reparaturen. Hierzu liegt der Entwurf eines Vergleichs mit Klägern und Behörden vor. Auch insgesamt 44 US-Bundesstaaten wie Kalifornien, wo der Abgasbetrug mit aufgedeckt worden war, erhalten hohe Beträge - in der Summe 603 Millionen Dollar, um Verbraucherschutzklagen abzuräumen. „Wir sehen in diesen Vereinbarungen einen wichtigen Schritt nach vorn“, sagte VW-Chef Matthias Müller Ende Juni. Aber auch andernorts muss sich der Konzern mit Klagen enttäuschter VW-Fahrer auseinandersetzen. In Deutschland will etwa der Anwalt Christopher Rother laut der Branchenzeitung „Automobilwoche“ „mindestens fünf Prozent der hier betroffenen VW-Kunden“ vertreten. Ein großes finanzielles Risiko sind zudem Klagen von Anlegern wegen möglicher Marktmanipulation - VW informierte die Finanzwelt aus deren Sicht zu spät über die Folgen der Diesel-Manipulationen.
Welche Ermittlungen laufen sonst noch?
Dem Vorwurf der Marktmanipulation wird ebenfalls in Braunschweig nachgegangen, unter anderem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn und den amtierenden VW-Markenchef Herbert Diess. Daneben laufen Verfahren gegen 26 mutmaßlich Beteiligte, gegen 17 davon wegen Software-Manipulationen, etwa wegen des Verdachts des Betruges. Gegen sechs wird im Zusammenhang mit falschen CO2- und Verbrauchsangaben ermittelt, unter anderem wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung und gegen einen Mitarbeiter, der zu einer Datenlöschung aufgerufen haben soll. Dazu kommen Klagen von Anlegern, die Kursverluste erstattet haben wollen. VW ist überzeugt, alle Regeln zur Information der Kapitalmärkte eingehalten zu haben.