Volkswagen Neuer Tiefpunkt in der NS-Debatte um Volkswagen

Audi hat im Umgang mit der eigenen NS-Geschichte kläglich versagt. Jetzt sorgt die Konzernmutter Volkswagen für den nächsten Skandal: Nicht die Verantwortlichen für das Versagen in Ingolstadt müssen den gehen, sondern der VW-Chefhistoriker, der die Missstände thematisierte.  

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Audi-Logo Quelle: dpa

Manfred Grieger, VW-Chefhistoriker und international geschätzter Experte für NS-Zwangsarbeit, verlässt den Autobauer zum Ende des Monats – im Streit. Und was für einer. Es geht dabei nicht um Budgetfragen oder menschliche Unverträglichkeiten, sondern um nicht weniger als die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit in Deutschlands größtem Konzern.

Die VW-Tochter Audi hat sich jahrzehntelang weggeduckt vor der Tatsache, dass das Vorläuferunternehmen Auto Union einer der größten Nutzer von Zwangs- und Sklavenarbeiter im „Dritten Reich“ war. Sieben Konzentrationslager für Auto-Union-Sklavenarbeiter richtete die SS speziell für Auto Union ein, Tausende dieser Häftlingen starben bei ihrer Ausbeutung. So tödlich war Zwangsarbeit in nur wenigen anderen Unternehmen der NS-Zeit. Das Auto-Union-Management fand die KZ-Arbeiter jedoch ganz prima und verlangte bis kurz vor Kriegsende nach immer mehr Arbeitern.

Der Name "Auto Union" wurde viel zu lange nur mit Erfolgen verknüpft

Audi pflegt und vermarktet den Markennamen Auto Union bis heute, wenn es um die schönen Rennwagen aus der gleichnamigen Autoschmiede geht. Doch von dem dunklen Kapitel wollte Audi nichts wissen – bis die WirtschaftsWoche vor sechs Jahren den Autobauer mit der Nase darauf stieß. Für die Recherchen der WirtschaftsWoche gab es einen aktuellen Anlass: Der damalige Aufsichtsratschef des VW-Konzerns, Ferdinand Piech, und der damalige Vorstandschef Martin Winterkorn wollten das Unternehmen in „Auto Union“ umbenennen, um den Konzern (eine „Union“ von heute 12 Marken) von der Automarke Volkswagen abzugrenzen und natürlich auch, weil Auto Union eine aus ihrer Sicht so großartige Vergangenheit hat. Nach den Enthüllungen der WirtschaftsWoche hatte sich dieses fragwürdige Unterfangen erledigt und Audi begann eine Untersuchung seiner Nazi-Vergangenheit.

Wie die Auto Union Hitlers Geburtstag feierte
Hitler-AutoUnion-Buch
Oldtimer der Auto Union Quelle: dpa
Logo der Auto Union an einem Oldtimer Quelle: dpa
Oldtimer der Auto Union Quelle: dpa
Cover
Hitler-AutoUnion-Buch
Hitler-AutoUnion-Buch

Doch wer dachte, Audi sei nun auf dem besten Weg, sein NS-Kapitel ebenso gründlich und unabhängig aufzuarbeiten, wie das Volkswagen in Wolfsburg unter den Historikern Hans Mommsen und Manfred Grieger getan hatte, wurde eines Besseren belehrt. Die Studie zur Audi-Geschichte schrieb im Wesentlichen ein Audi-Historiker, der nicht nur befangen, sondern mit der Aufgabe auch fachlich überfordert war. Seine Studie blendet Fakten aus, relativiert geschehenes Unrecht, strotzt vor wissenschaftlichen Fehlern. Grieger und andere Historiker konnten nicht anders, als diese Studie in ihren Rezensionen zu verreißen.

Audi Ignoriert seine Geschichte

Audi hat erst seine Vergangenheit und die Verstrickung von Managern, die nach dem Krieg Audi in Ingolstadt gründeten, verdrängt und ignoriert. Wegen des öffentlichen Drucks gab der Autobauer schließlich eine Studie in Auftrag, die sich im Nachhinein als geschichtsklitternd herausstellte. Die nach den Enthüllungen versprochene Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg lief so zäh, dass sich der Leiter der Gedenkstätte öffentlich über Audi empörte und dem Autobauer vorwarf, seine Gedenkstätte als moralisches Feigenblatt zu missbrauchen.

Audi sucht keinen Kontakt zu Opfern

Was aber vielleicht am schlimmsten ist: Audi befand es nicht für nötig, Überlebende der Auto-Union-Konzentrationslager, die die WirtschaftsWoche und die Gedenkstätte Flossenbürg seit 2010 ausfindig machten, zu kontaktieren. Die Überlebenden des NS-Terrors wollen kein Geld – ein freundliches Wort würde ihnen reichen. Einer von Ihnen, Bohumil Kos aus Tschechien, hat vergeblich gewartet. Er ist inzwischen verstorben. Audi sei es „nicht gelungen“ die Überlebenden zu erreichen, ließ ein Sprecher die WirtschaftsWoche kürzlich wissen.

Unser Tipp: Warten Sie einfach noch ein paar Jahre, dann wird es in der Tat nicht mehr gelingen.

Audi hat im Umgang mit seiner NS-Vergangenheit so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann und das rund 70 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft und nach Jahrzehnten der teils vorbildlichen Aufarbeitung bei vielen deutschen Unternehmen, nicht zuletzt bei VW in Wolfsburg. Unfassbar.

Hätte Manfred Grieger von dort aus all die Fehler in Ingolstadt verhindern können? Wohl kaum, denn die Marken im VW-Konzern haben große Freiheiten, vor allem bei Markenführung und Kommunikation. Grieger schwieg aber nicht zu dem Trauerspiel, das ist ihm hoch anzurechnen. Nun hat sich der Konzern im firmeninternen Historikerstreit positioniert: Nicht die müssen gehen, die das Versagen in Ingolstadt zu verantworten haben, sondern der, der das Versagen thematisierte. Wissenschaftler und Unternehmenshistoriker in ganz Deutschland sind empört.

Die skandalöse Entscheidung in Wolfsburg ist ein neuer Tiefpunkt in der NS-Debatte um Volkswagen. Der Schlusspunkt ist sie sicher nicht.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%