Volkswagen schafft eigenen Zulieferer Fünf Faktoren für den Erfolg der VW-Komponentenwerke

Volkswagen muss sich nach dem Abgasskandal neu erfinden. Dazu gehören Pläne, die VW-Komponentenwerke als eigenen Zulieferer zu bündeln. Auch andere Autobauer haben das schon getan – mit großen Risiken.

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VW will seine Komponentenwerke bündeln Quelle: dpa

Mehr Elektroautos, mehr digitale Dienste, die Transformation vom reinen Autobauer zum Mobilitätsanbieter – und das alles mit weniger Geld. Das sind, stark verkürzt, die Eckpunkte der Strategie 2025, die VW-Chef Matthias Müller im Juni vorgestellt hat.

Eine Passage aus seiner Rede, die er wenige Tage später bei der Hauptversammlung fast wortgleich wiederholte, ist jedoch seltener aufgegriffen worden, obwohl sie einen radikalen Kurswechsel bedeutet: Die Komponentenwerke des Konzerns sollen strategisch neu ausgerichtet und gebündelt werden. Das bedeutet nicht weniger, als dass Volkswagen sich seinen eigenen Zulieferer schafft.

Bislang waren die Werke, in denen 67.000 Mitarbeiter an 26 Standorten nicht Autos, sondern Bauteile fertigen, an die jeweiligen Marken angebunden oder sogar eigenständig unterwegs. Absprachen und Synergien waren die Ausnahme, oft wurde parallel gearbeitet – von einer gemeinsamen Bilanzführung einmal abgesehen.

Die Komponentenwerke in Deutschland

Von der Neuaufstellung der Werke verspricht sich Müller mehr Transparenz und Wettbewerb. „Wir sind davon überzeugt: Wir haben in der Komponente noch viel ungenutztes Potenzial, und dieses Potenzial wollen wir heben!“

Wie groß dieses Potenzial ist und in welchen Bereichen der Konzern Luft nach oben sieht, hat Müller noch nicht verkündet. Selbst über grundlegende Entscheidungen – etwa ob auch an Dritte geliefert werden soll – und den Zeitplan der Zusammenlegung will VW frühestens im Herbst sprechen.

Wo VW überall zur Kasse gebeten wird
Italien will bis zu fünf Millionen EuroVW muss in Italien wegen des Abgasskandals um Dieselfahrzeuge bis zu fünf Millionen Euro Strafe zahlen. Es gehe um Verkäufe von Autos auf dem italienischen Markt ab 2009, bei denen die Zulassung durch Softwaremanipulationen erreicht worden war, teilte die italienische Wettbewerbsbehörde mit. Es habe einen schweren Verstoß gegen die professionelle Sorgfalt gegeben und Kunden hätten mit den realen Daten womöglich eine andere Kaufentscheidung getroffen. Laut früheren Meldungen sind in Italien knapp 650.000 Volkswagen von dem Skandal betroffen. Quelle: dpa
Bayern will bis zu 700.000 Euro Quelle: dpa
Entschädigungen für Aktionäre und Anleger: 1 bis 8 Milliarden Euro Quelle: dpa
Kundenentschädigungen von bis zu 10 Milliarden Euro Quelle: dpa
Rückrufe und Entschädigungen in Europa und dem Rest der Welt: bis zu 4,5 Milliarden Euro Quelle: dpa
Rückrufe und Nachrüstung in Europa Quelle: dpa
Mögliche Wertminderung von VW-Fahrzeugen: 0,5 Milliarden EuroIst ein VW-Diesel-Fahrzeug nach der Umrüstung noch genauso viel wert wie vorher und erzielt es als Gebrauchtwagen denselben Preis wie vor dem Skandal? Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt, doch das Risiko, dass die VW-Fahrzeuge im Wert fallen, ist gegeben. Die VW-Tochter Financial Services, die für 1,2 Millionen Leasing-Fahrzeuge zuständig ist, hat vorsorglich die Rücklagen für mögliche Wertverluste nach oben korrigiert. Quelle: dpa

Gemessen an der Mitarbeiterzahl könnte es ein hauseigener VW-Zulieferer gleich mit etablierten Branchengrößen wie etwa Mahle aufnehmen. Doch welche Auswirkungen hat es auf den bereits hart umkämpften Zulieferer-Markt, wenn mit den gebündelten VW-Komponenten ein neuer Konkurrent mitspielt?

1. Können die Komponentenwerke zu wettbewerbsfähigen Konditionen produzieren?

Ob noch Platz für einen weiteren Groß-Zulieferer ist, hängt nicht zuletzt vom weltweiten Absatz ab. Und da hakt es: „Das Wachstum der globalen Auto-Nachfrage geht mit großer Wahrscheinlichkeit zurück“, prognostiziert Thomas Gronemeier. „Wir hatten fünf, sechs gute Jahre, der Trend wird sich aber umkehren“, glaubt der Commerzbank-Analyst und Co-Autor der Studie „Branchenbericht Autozulieferer“. „Wir reden von keinem Weltuntergangs-Szenario, da die Industrie sich auf einem sehr hohen Ertragsniveau befindet. Aber der Wettbewerb wird ab 2017 noch intensiver und damit der Kostendruck.“

Die Komponentenwerke in Europa

Dazu kommt: VW will nicht nur bei den eigenen Komponentenwerken „Potenziale heben“, sondern auch im Einkauf. Den externen Zulieferern droht also eine weitere Sparrunde, sie müssen noch knapper kalkulieren und günstiger produzieren.

Hier fangen die unangenehmen Fragen für VW an: Können die Komponentenwerke, wenn sie eigenständig auf dem Markt aktiv sind, im Preiskampf bestehen? Da der Beschluss laut Müller im Einvernehmen mit der Arbeitnehmerseite getroffen wurde, ist eine Bezahlung der Angestellten nach VW-Haustarif wahrscheinlich. Damit wären die Personalkosten vergleichsweise hoch – und die Margen eher gering.

Wettbewerber bleiben gelassen

Die Wettbewerber sehen der möglichen neuen Konkurrenz gelassen entgegen. „Als Karosserie-Spezialist hatten wir schon immer die Inhouse-Fertigung der Autobauer zur Konkurrenz“, sagt Arndt Kirchhoff, Chef der gleichnamigen Zulieferer-Gruppe. „Deshalb könnte es für uns sogar von Vorteil sein, wenn wir in einem fairen Wettbewerb mit den VW-Komponentenwerken konkurrieren könnten.“ Der Verdacht: Bislang wurden die eigenen Werke zum Teil bevorzugt, um die Auslastung zu erhöhen – auch wenn der externe Zulieferer günstiger war. Künftig könnte das beste Angebot zum Zug kommen – vorausgesetzt, der Wettbewerb läuft wirklich offen ab.

2. Werden die Komponentenwerke ein wettbewerbsfähiges Portfolio haben oder bleibt der Fokus auf der klassischen Teile-Produktion?

Bislang ist die VW-Komponentenfertigung, die Müller als „weithin unterschätzte Stärke des Volkswagen-Konzerns“ bezeichnete, ein Querschnitt des klassischen Automobilbaus: Presswerke für den Karosseriebau, Instrumententafeln für den Innenraum oder ganze Getriebe und Motoren werden entworfen, hergestellt und zusammengebaut. Was fehlt sind aber die Bauteile, die aktuell die Branche prägen: Batterien, Elektromotoren, Fahrassistenten.

Sinnbildlich dafür steht das Werk in Braunschweig: Dort werden Vorderachsen (1,7 Millionen Exemplare in 2015), Hinterachsen (3,8 Millionen Stück), Lenkungen (2 Millionen Einheiten) oder Stoßdämpfer für verschiedenste Konzernmarken hergestellt. Parallel werden noch Maschinen, Fertigungsanlagen, Werkzeuge und Formen gebaut. Alles Teile, für die auch spezialisierte Hersteller im Markt aktiv sind, die mit VW zusammenarbeiten, aber zugleich auch konkurrieren.

Der Haken an der Sache: Zulieferer, deren Produkte eher vom Produktionsprozess als durch Innovationen getrieben sind, sind leichter zu ersetzen – und werden sich laut der Commerzbank-Studie eher unterdurchschnittlich entwickeln. Hohe Margen stecken in innovationsstarken Bereichen wie der Digitalisierung und Vernetzung. Doch ob Volkswagen das an den eigenen Zulieferer auslagert oder doch bei VW-Pkw behält, ist unklar.

Wie VW im ersten Halbjahr abgeschnitten hat

Sicher ist: „Komponenten wie Karosserien, Fahrwerk und Achsen bleiben auch in Zukunft wichtig“, sagt Commerzbank-Experte Gronemeier. „Auch künftige Elektroautos benötigen solche Bauteile. Aber dort wo kein Wachstum mehr verzeichnet werden kann, wird die Marge tendenziell sinken.“

3. Erhalten die Komponentenwerke eine eigene Entwicklungsabteilung?

Der Preisdruck ist hoch, wer sich aber am Markt halten und anspruchsvolle Kunden wie VW zufriedenstellen will, muss auch Innovationen bieten. „Früher haben wir – zugespitzt formuliert – nur das gebaut, was auf der Konstruktionszeichnung war“, sagt Karosseriebauer Kirchhoff. „Heute sind wir alle auch Entwicklungsdienstleister für unseren Fachbereich.“ Nur zu produzieren sei heute zu wenig. „Innovation ist die Kernkompetenz der deutschen Industrie. Nur so können wir im Wettbewerb mit asiatischen oder anderen Unternehmen bestehen – das gilt für Autobauer, wie Zulieferer.“

Der Entwicklung – seien es Innovationen im klassischen Autobereich wie etwa Leichtbau oder die Megatrends Elektrifizierung und vernetztes sowie autonomes Fahren – wird also eine bedeutende Rolle zukommen. „Mittel- und langfristig hilft es natürlich, die großen Branchentrends zu antizipieren und durch eigene Entwicklungen, Zukäufe oder Kooperationen auf die sich anbahnenden Veränderungen zu reagieren“, sagt Gronemeier.

Aus genau diesem Grund hat etwa ZF Friedrichshafen den US-Konkurrenten TRW übernommen. Am Bodensee herrschte zwar eine ausgewiesene Hardware-Kompetenz, das Elektro-Know-how der Amerikaner musste aber für mehrere Milliarden zugekauft werden. Auch der weltgrößte Autozulieferer Bosch sowie der aufstrebende französische Konkurrent Valeo haben in den vergangenen Monaten kräftig eingekauft – wegen des Know-hows, nicht des Umsatzes.

Die Idee der Ausgliederung ist nicht neu

Ein Schritt, der auch in Wolfsburg drohen könnte. Die Betonung liegt aber auf „könnte“, denn das künftige Portfolio ist nur eine von vielen Baustellen bei der geplanten Ausgliederung. Auch wenn Volkswagen sonst die meisten Probleme alleine lösen kann, lohnt sich dieses Mal ein Blick auf die Konkurrenz.

4. Welche Gesellschaftsform wird gewählt – eine konzerneigene GmbH oder kommt sogar ein (teilweiser) Börsengang?

Müllers Idee, die Bauteil-Fertigung zu einer eigenständigen Geschäftseinheit zusammenzufassen, ist in der Branche alles andere als neu. Anerkannte Zulieferer wie Delphi, Visteon oder Denso stammen allesamt von großen Autobauern ab – nämlich von General Motors, Ford und Toyota. Auch Faurecia war früher Teil von Peugeot.

Die profitabelsten Autobauer im ersten Halbjahr
Volkswagen Quelle: dpa
Hyundai Quelle: REUTERS
Daimler Quelle: dpa
General Motors Quelle: dpa
Toyota Quelle: REUTERS
BMW Quelle: dpa

Doch der Weg zu den heutigen Unternehmen, deren Teile auch zuhauf in deutschen Autos stecken, war nicht leicht. Delphi und Visteon sind bereits durch eine Chapter-11-Insolvenz gegangen – und das nicht nur wegen des damals darbenden US-Automarkts. Als Sammelsurium verschiedener Teilefertigungen waren sie im freien Markt nicht wettbewerbs- und damit überlebensfähig. Bei Delphi kam noch das ursprünglich hohe GM-Lohnniveau hinzu – ein Mahnmal für VW. Stellenstreichungen und Verkäufe von ganzen Sparten waren die Folge.

Heute haben beide Firmen ihren Weg gefunden: Visteon fokussiert sich auf die Elektronik, Delphi hat zwar noch eine Karosserie-Sparte, das Hauptgeschäft liegt aber bei Infotainment, Hybrid- und Elektrotechnik und künftig auch Brennstoffzellen.

Hyundai hat das anders gemacht: Die Koreaner haben ihre Komponentenwerke in einem eigenen Zulieferer gebündelt, der unter dem Namen Mobis firmiert. Die Firma agiert wie ein Zulieferer, ist aber noch Teil des Konzerns.

In der Praxis sieht das dann so aus: Wo auch immer Hyundai oder Kia ein neues Werk bauen, entsteht meist in direkter Nachbarschaft, teils an das Gelände angebunden, eine Mobis-Fabrik. Dort laufen dann Karosserie- und Interieurteile vom Band und direkt weiter in die Autofabrik.

5. Werden die Komponentenwerke überhaupt für Dritte produzieren oder nur bei internen Ausschreibungen gegen die etablierten Zulieferer um Aufträge buhlen?

Obwohl Mobis zu Hyundai-Kia gehört, ist die Produktion nicht exklusiv: In Toledo im US-Bundesstaat Ohio fertigen die Koreaner erfolgreich Bauteile für Jeep, die in den Wrangler eingebaut werden.

Ob das auch für Volkswagen infrage kommt, müssen die Manager noch entscheiden. Bei Karosserie-Bauteilen, Achsen und Lenkungen wäre das auf dem Papier gut möglich – der Konzern könnte für seine Fahrzeuge hier Eigenständigkeiten erhalten und zugleich für extern fertigen.

Wie es für Volkswagen weitergeht
Volkswagen in den USA Quelle: dpa
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Kann Richter Breyer VW noch in Bedrängnis bringen? Quelle: dpa
Volkswagen in San Francisco Federal Court Quelle: dpa
Volkswagen in den USA Quelle: dpa
Volkswagen Quelle: dpa
Wäre der US-Vergleich der Schlussstrich für VW im Abgas-Skandal? Quelle: dpa

Auch bei den beliebten Doppelkupplungsgetrieben ist eine Lieferung an Dritte denkbar. ZF zeigt mit seiner Acht-Gang-Automatik, dass ein und dasselbe Bauteil in den unterschiedlichsten Autos zum Einsatz kommen kann (etwa bei BMW, Jaguar, Jeep oder Maserati) und trotzdem zur jeweiligen Charakteristik passt – ob der Gangwechsel sportlich-straff oder komfortabel-weich erfolgt, liegt nur an der Software. Deshalb wird hier allein der Wille entscheiden, ob VW womöglich einen direkten Konkurrenten beliefert.

Egal für welche Form der Ausgliederung sich VW entscheidet, es gibt für beides erfolgreiche Beispiele – auch wenn es sicher kein Selbstläufer wird. Gerade die Insolvenzen der US-Zulieferer zeigen, wie wichtig Portfolio und Lohnniveau sind. Das hat auch Wolfsburg erkannt, die Verhandlungen zwischen Unternehmen und Betriebsrat laufen schon.

Ein wichtiger Knackpunkt dürfte die Neuausrichtung der Werke sein: Vor allem das Motorenwerk in Salzgitter, die Komponentenfertigung in Braunschweig und potenziell auch das Getriebewerk in Kassel müssen Einschnitte fürchten – ein Elektroauto braucht viele der klassischen Antriebs-Bauteile nicht mehr. Dort müssen dann andere Produkte gefertigt werden – was auch andere Anforderungen an das Personal nach sich ziehen kann. „Braunschweig und Salzgitter können beide von der E-Mobilität profitieren“, sagte bereits VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh. „Der Vorstand wird hierfür sicherlich auch Beiträge der Standorte erwarten.“ Worin diese Beiträge liegen könnten, ließ Osterloh offen. Wer dabei an weitere Kostensenkungen denkt, dürfte nicht ganz falsch liegen.



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