Volkswagen Vertuschungsvorwurf ist Gift für VWs Selbstbewusstsein

Ein Mitarbeiter soll versucht haben, belastende Dieselgate-Daten zu vernichten. Egal ob Einzeltat oder große Vertuschungsaktion: Der Plan von VW-Chef Müller, dem Konzern ein neues Selbstbewusstsein zu verpassen, bekommt einen Dämpfer.

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Matthias Müller, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG Quelle: dpa

Jeder, der ein außergewöhnliches Maß krimineller Energie bei Volkswagen vermutet, kann sich jetzt bestätigt fühlen: Der Konzern hat nicht nur millionenfach bei Abgaswerten betrogen, sondern soll offenbar auch in einem bislang nicht bekannten Ausmaß versucht haben, die Affäre zu vertuschen.

Wie der Rechercheverbund aus „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR berichtet, soll ein Jurist im August 2015, als sich die Hinweise auf die manipulierten Abgaswerte in den USA verdichteten, Kollegen mehr oder weniger direkt angewiesen haben, potenziell belastende Daten zu löschen oder beiseite zu schaffen. Inzwischen ist der Jurist beurlaubt, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchter Strafvereitelung und Urkunden-Unterdrückung.

Die Aufregung ist verständlicherweise groß, auch wenn der Mitarbeiter die Vorwürfe bestreitet. War Volkswagen gerade dabei, das angekratzte Image und die verlorene Glaubwürdigkeit zu verbessern, erhalten jetzt die Kritiker abermals Rückenwind: Schnell ist wieder von einer schlechten Firmenkultur die Rede, dass „die da oben“ nur um des Gewinns (und der persönlichen Boni) willen alles unter den Tisch kehren wollten.

Doch halten wir uns an die Fakten und urteilen nicht voreilig. Die Staatsanwälte ermitteln noch – in diesem Fall gegen den Juristen, nicht das Unternehmen, wohlgemerkt. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, droht dem Mitarbeiter eine Haftstrafe. Pikant für Volkswagen werden folgende Fragen sein: Hat er auf direkte Anweisung von oben gehandelt? In vorauseilendem Gehorsam? Oder einfach aus persönlichen Motiven?

Die Vergangenheit holt Müller ein

Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, sollte man auch keinen aus dem aktuellen oder früheren Management an den Pranger stellen.

Für VW-Chef Matthias Müller kommt die Enthüllung dennoch zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Am 21. Juni steht ein weiterer Gerichtstermin bei US-Richter Charles Breyer an, am Folgetag treffen sich die Aktionäre in Hannover zur Hauptversammlung. Beide Male wollte der Konzern mit einem neuen alten Selbstbewusstsein auftreten.

Eine Einigung mit den US-Behörden und auch eine harmonische Hauptversammlung hätten vor allem eines gezeigt: Seht her, wir schauen wieder nach vorne. Stattdessen holt Müller nun erneut die Vergangenheit ein.

Dabei hatte sich in den vergangenen Wochen das Auftreten von Müller und seinen Mannen gerade wieder geändert. Müller selbst ist in seiner polternden Art immer für einen markanten Spruch gut. Spätestens seit dem missratenen Radio-Interview in Detroit Anfang Januar gab sich Müllers Umfeld ungewohnt defensiv, auch Müller hielt sich zurück.

Unsicherheiten kann VW nicht gebrauchen

Diesen verbalen Keuschheitsgürtel hat er inzwischen wieder abgelegt. In Gesprächen gab er sich zuletzt angriffslustiger. Der Wandel, den Müller zweifelsohne eingeleitet hat, sollte so verdeutlicht werden. Als Volkswagen etwa in der vergangenen Woche den Einstieg beim Fahrtenvermittler Gett bekanntgab, schwang vor allem eine Botschaft mit: Was die anderen Autobauer da bislang gemacht haben, war ja ganz nett – aber jetzt kommen wir und starten durch.



Ob die Rückkehr zu dem alten Selbstbewusstsein – Kritiker nennen es Selbstherrlichkeit – überhaupt angebracht ist, zu früh kam, oder auch jemals ernsthaft weg war, darüber lässt sich jetzt herrlich streiten.

Alles Unsicherheiten und Diskussionen, die VW ungelegen kommen. Das Letzte, was Müller jetzt brauchen kann – abgesehen von einem neuen Skandal vielleicht – ist ein öffentlicher Dämpfer vor den wichtigen Terminen der kommenden Wochen.

Das wäre kein gutes Signal für die anstehenden Privatklagen von VW-Fahrern in den USA. Und die können noch richtig teuer werden.

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