Volkswagen VW verabschiedet sich von der PS-Protzerei

VW hat sich zu lange an schweren SUVs und der PS-Protzerei festgehalten – und droht deshalb die CO2-Ziele der EU zu verfehlen. VW-Markenchef Diess steuert gegen und bringt den Vertrieb der Elektroautos auf Vordermann.

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Im Golf-Strom: In der Dresdner VW-Manufaktur wird statt des Phaeton, des Lieblingsautos von Ex-VW-Patriarch Piëch, jetzt der Elektro-Golf gebaut. Quelle: dpa

Liebevoll streicht der Verkäufer in dem Kölner Autohaus über den weißen Lack des Tiguan. So einen sportlichen Geländewagen, einen SUV, hätte er auch gerne, schwärmt er. Satte 220 PS Leistung! „Damit sind Sie der König der Landstraße“, meint er und rückt seine Brille zurecht.

Einen kleinen Makel der Renommierkarosse will er bei aller Begeisterung aber nicht verschweigen. Mit bis zu 9,7 Liter Sprit, die VW angibt, komme der Tiguan „im echten Leben nicht hin“. 13 Liter in der Stadt, auf der Autobahn bei Vollgas könnten es auch schon mal 18 Liter sein.

Schwere SUVs, PS-Protzerei, Spritverbrauch im zweistelligen Bereich – an der Basis zeigt sich, wie viel VW noch von der von Konzernchef Matthias Müller feierlich proklamierten grünen Zukunft trennt. Dem Dieselskandal zum Trotz steckt der Konzern noch in der alten Autowelt fest, in der sparsame Elektroautos kaum mehr als Spinnerei verwirrter Ökoaktivisten sind. Ökonomisch spielt die neue Technik bis heute praktisch keine Rolle. Stattdessen bedient VW hemmungslos die unverändert hohe Nachfrage nach Motorleistung.

Schon bald dürfte sich das ändern, notgedrungen. Der Konzern kann es sich nicht leisten, die weltweiten Klimaschutz-Vorgaben zu ignorieren – bei Verstößen werden Milliarden fällig. Müller muss das Steuer schnell herumreißen, um nicht mehr nur Autos mit maximalem Profitpotenzial, sondern auch sparsame Varianten an den Kunden zu bringen. Erste Schritte dazu laufen. So berichten Insider, dass der Vertrieb der Marke VW zum Vorteil der E-Autos umgebaut wurde.

Zeitenwende in Wolfsburg

Der Zeitpunkt ist günstig. Denn just als der Kölner VW-Händler versucht, den weißen Tiguan loszuwerden, findet im Konzern eine Zeitenwende statt. Am Montag vergangener Woche um 16.14 Uhr geht die Eilmeldung über die Ticker: „Piëch besiegelt Verkauf eines Großteils seines VW-Anteils.“ Damit endet die Ära eines der letzten Patriarchen alter Schule. Zwei Wochen vor seinem 80. Geburtstag überlässt Ferdinand Piëch den Konzern den restlichen Anteilseignern des Familienclans. Er ist der Architekt des Zwölf-Marken-Reichs, Jahrzehnte hat er dafür gelebt und gestritten. Einen Generationswechsel hat Piëch aber nicht angestoßen, sein Bruder Hans Michel übernimmt vorerst das Gros seiner Anteile. Klar aber ist, dass der Konzern möglichst schnell die grüne Kehrtwende vollführen muss. Sonst wird es für Volkswagen vor allem in Europa schon bald eng.

Ab 2021 darf die verkaufte Neuwagenflotte eines Herstellers laut EU-Regeln im Schnitt nur noch maximal 95 Gramm Kohlendioxid (CO2)pro Kilometer ausstoßen. Nach Berechnungen der Beratung PA Consulting wird VW diese Marke deutlich reißen, jährliche Strafzahlungen von rund einer Milliarde Euro wären die Folge. Auch BMW könnte mit rund 350 Millionen Euro dabei sein, nur Daimler würde dank des starken Absatzes der kleinen A-Klasse und sparsamer Hybridmodelle ohne Strafe davonkommen.

Elektroautos im Kostenvergleich

Zu lange hatten sich die Hersteller darauf verlassen, dass sie die Grenzwerte passieren würden. Tatsächlich sanken die Emissionen ihrer Flotten beständig – zumindest auf Basis der in Zulassungstests gemessenen Abgaswerte. „So viel Klimaschutz wie nötig, nicht so viel wie möglich“, lautete die Devise in Wolfsburg, sagt ein VW-Manager.

Doch nun läuft der Trend auf einmal gegen sie. Schuld daran ist vor allem die hohe Nachfrage nach Geländewagen. Eine hohe, über gewöhnlichen Autofahrern schwebende Sitzposition und Geräumigkeit locken Kunden, statusbewusste Eltern lieben es, ihre Kinder damit vor der Privatschule abzusetzen. Der Anteil der SUVs an den deutschen Neuwagen hat sich in den vergangenen zehn Jahren auf 21 Prozent verdreifacht. Für die Autobauer ist das ein zweischneidiger Erfolg. Denn die Wagen bringen viel Geld ein, verbrauchen aber auch enorm viel Sprit. Im Schnitt stößt ein Geländewagen 20 Prozent mehr Kohlendioxid aus als ein vergleichbares Mittelklassemodell.

Elektro-Offensive kommt zu spät

Auch deshalb ist der reale Spritverbrauch auf deutschen Straßen seit 2008 um fünf Prozent gestiegen. Um den Verbrauch der gesamten Flotte unter Kontrolle zu halten, müssen die Hersteller rechnerisch für jeden SUV einen Kleinwagen absetzen.

Die alte VW-Führung um Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn und Ferdinand Piëch an der Spitze des Aufsichtsrats hat das offenbar anders gesehen. Vor ihrem Abgang haben beide noch ein regelrechtes Feuerwerk neuer SUV-Modelle angestoßen. Heute gibt es bei der Marke VW zwei SUV-Modelle, 2020 werden es 19 sein. Erst danach ist die erste große Welle von Elektroautos auf der neuen E-Plattform namens MEB (Modularer Elektrobaukasten) vorgesehen. „Doch um Strafzahlungen zu vermeiden, kommt diese Elektro-Offensive zu spät“, sagt ein Berater des Konzerns.

Mehr Reichweite, aber nicht genug
VW E-Golf Quelle: Volkswagen
VW E-Golf Quelle: Volkswagen
VW E-Golf Quelle: Volkswagen
VW E-Golf Quelle: Volkswagen
VW E-Golf Quelle: Volkswagen
VW E-Golf Quelle: Volkswagen
VW E-Golf Quelle: Volkswagen

Bei den anderen Herstellern ist es ähnlich: In Deutschland liegt der Anteil der E-Autos aktuell bei 0,6 Prozent – trotz staatlicher Prämie. Seit Frühjahr 2016 wurden nur 8600 Elektroautos gefördert.

„Niemand hat damit gerechnet, dass es so schlecht laufen würde“, sagt ein Projektverantwortlicher eines großen Autokonzerns. Nun aber verdirbt die schleppende Nachfrage die Statistik. Der CO2-Ausstoß von Elektroautos wird von der EU mit null angesetzt, E-Autos können den Flottendurchschnitt so gehörig nach unten drücken – wenn sie denn irgendwann jemand haben will.

Dieselskandal belastet zusätzlich

Zu den mauen E-Auto-Verkäufen und dem SUV-Problem gesellte sich zu allem Überfluss 2015 der Dieselskandal. Er kann die CO2-Bilanzen der Autobauer gleich doppelt belasten.

Weil seither weniger Diesel und mehr Benziner gekauft werden, steigt der CO2-Flottenausstoß. Denn: Obwohl der Abstand zunehmend schrumpft, sind Diesel etwas klimafreundlicher als herkömmliche Benziner. Der Anteil der Diesel am Gesamtabsatz sank von 50 Prozent im Herbst 2015 auf 43 Prozent im Februar 2017. „Der Diesel wird viel schneller verschwinden, als wir es uns vorstellen können“, sagt EU-Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska.

Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen warnt vor allem vor einem schnellen Rückzug der Firmenkunden vom Diesel. Unternehmen kaufen gut 37 Prozent aller Diesel in Deutschland. Sollten sie sich wegen drohender Fahrverbote in Innenstädten, Angst vor Wertverlust und aus Imagegründen vom Diesel abwenden, könnte das den Diesel und damit den Flottenverbrauch der Autobauer noch schneller „in größere Bedrängnis bringen“, so Dudenhöffer. Die Folge: Zusätzliche CO2-Strafzahlungen „in dreistelliger Millionenhöhe“.

Die zweite neue Baustelle, die durch den Skandal für die Hersteller entstanden ist, sind die Zulassungsverfahren für neue Autos. Durch die Betrügereien von VW schauen die Behörden nun genauer hin, Gesetzgeber verschärfen die Zulassungsregeln – so geschehen zuletzt in der vergangenen Woche, als das EU-Parlament für härtere Regularien stimmte. Für die Autohersteller wird es immer schwieriger, mithilfe von Schummelsoftware oder Ausnahmeregelungen geltendes Recht zu umgehen. Stattdessen müssen sie durch wirklich geringe Emissionen überzeugen.

Diess baut den Vertrieb um

„Aus all den CO2-Problemen braut sich gerade der perfekte Sturm zusammen“, warnt ein Berater der Autokonzerne. „Das 95-Gramm-Ziel für 2021 wird zur Zitterpartie für Unternehmen wie Volkswagen.“

Ob VW Strafzahlungen noch abwenden kann, ist ungewiss – viele im Management trauen sich keine Prognose zu. Die Konzern-führung um VW-Chef Matthias Müller und VW-Markenchef Herbert Diess sei aber „wild entschlossen, diese imageschädlichen Strafzahlungen“ zu vermeiden, sagen mehrere Wolfsburger Manager, „koste es, was es wolle“. Im Management sei bereits das Subventionieren von E-Autos mit Hunderten Millionen Euro diskutiert worden. Motto: Lieber Geld in die eigene Absatzförderung stecken, als es der EU hinterherwerfen.

Wie Autoriesen auf Elektrowagen setzen
Unter Strom Quelle: dpa
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Toyota – der skeptische Weltmarktriese Quelle: AP
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Eine mindestens ebenso wirksame, aber deutlich günstigere Maßnahme ist schon umgesetzt. Nachdem Vertriebsvorstand Christian Klingler, ein Piëch-Intimus, kurz nach Bekanntwerden von Dieselgate den Konzern verließ, nutzte VW-Markenchef Diess die Gelegenheit, den Vertrieb der Kernmarke neu zu organisieren, wie ein Insider berichtet. Statt es bei einem riesigen Vertriebsteam unter einem Vertriebsvorstand zu belassen, wurden den vier großen VW-Einheiten G1 (Kleinwagen), G2 (Kompaktwagen), G3 (Mittelklassewagen) und G4 (Elektroautos) jeweils eigene Vertriebsteams zugeordnet. Sie unterstehen nun nicht mehr dem obersten Vertriebschef, sondern dem Chef des jeweiligen Bereichs.

„Vor allem für das Elektroautoteam birgt das enorme Chancen“, sagt der Insider. Die Vertriebler hätten zuvor meist wenig übrig gehabt für E-Fahrzeuge, denn sie wussten nicht, wie sie den Absatz der neuen Autos seriös planen sollten. Der skeptischen Haltung und mangelnden Risikobereitschaft des Vertriebs sei manches innovative E-Auto-Projekt zum Opfer gefallen. Nun sei die Situation eine völlig andere: „Die Vertriebler sind Teil des Elektroteams und müssen mit diesem Team erfolgreich sein. Sie berichten an den G4-Bereichschef Christian Senger, und der lässt sich nicht so leicht mit billigen Begründungen abspeisen.“

So drängend die Probleme für VW auch erscheinen – nicht jeder im Management ist traurig über die Entwicklung. „Dieselgate hat uns letztlich die neue Struktur im E-Auto-Vertrieb gebracht“, sagt ein Manager, „und auch die moderne Elektroplattform MEB.“ Ohne Dieselgate „wäre daraus vielleicht nie etwas geworden“.

Nun jedoch schickt sich VW an, bis 2025 der weltweit führende E-Auto-Anbieter zu werden. Dem Vernehmen nach können die Konzernvorstände bei der CO2-Vermeidung bald mit gutem Beispiel vorangehen: Die Garagenplätze der Vorstände wurden in diesen Tagen mit Ladekabeln ausgestattet. Konzernchef Müller kann seinen unlängst georderten, elektrifizierten Passat dort laden und emissionsfrei nach Hause steuern.

Dem E-Auto-Skeptiker Piëch bleibt diese neue Ökoautowelt erspart. Er kann nach seinem vollständigen Rückzug aus dem Konzern in Österreich bleiben und seinen Bugatti über kurvige Bergstraßen steuern. „Ich dachte immer“, sagt Piëch, „1200 PS kann man auf der Landstraße nicht ausnutzen – man kann!“

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