Volkswagen plant nach dem Abgasskandal in den USA einen radikalen Neuanfang: "Wir gehen derzeit davon aus, dass wir in den USA keine neuen Dieselfahrzeuge mehr anbieten", sagte VW-Markenchef Herbert Diess dem "Handelsblatt". Grund seien die gesetzlichen Rahmenbedingungen. In den USA sind die Grenzwerte bei den durch "Dieselgate" auch hierzulande stärker ins Bewusstsein gerückten Stickoxiden schärfer als in Europa. VW hatte diese Hürde zu umgehen versucht und musste vor gut einem Jahr auf Druck der US-Umweltbehörden zugeben, die Abgaswerte mit einer speziellen Software manipuliert zu haben.
VW-Zukunftspakt: Was auf die Werks-Standorte zukommt
Bis 2020 sollen am Stammsitz rund 1000 Arbeitsplätze in Zukunftsfeldern entstehen. Der nächste Golf 8 für die USA soll in Wolfsburg gefertigt werden, außerdem ein SUV für die spanische Tochter Seat. In anderen Bereichen läuft die Fertigung bis 2022 aus - unter anderem beim Lenkstangenrohr und der Räderfertigung.
Das größte Teilewerk des Konzerns soll im VW-Konzern das Leitwerk für den Elektro-Antriebsstrang werden - samt Entwicklungsaufgaben. Zudem sollen in Nordhessen auch mehr Ersatzteile gefertigt werden.
Das Motorenwerk in Salzgitter gilt als einer der Verlierer aufkommender E-Antriebe. Der Standort soll daher die Federführung bei der Entwicklung von Batteriezelltechnologien erhalten und - soweit wirtschaftlich tragbar - auch die Serienfertigung der Zellen. Die Produktion von Hauptkomponenten für E-Motoren soll sich Salzgitter mit Kassel teilen.
Ab 2019 soll Emden ein viertes Modell bekommen, um die Auslastung des Werkes an der Küste zu sichern. Im Zuge der Abgasaffäre hatte VW im März angekündigt, die Verträge von 2150 Leiharbeitern nicht zu verlängern.
Die Gießerei und der Bereich Wärmetauscher standen auf dem Prüfstand, bleiben aber erhalten und sollen auch Komponenten für die E-Antriebe der Zukunft liefern. Zudem wird in der Gießerei der 3D-Druck von Teilen angesiedelt. In beiden Bereichen fallen jedoch Stellen weg.
Das Werk bekommt die Entwicklung für Batteriesysteme in den Produktionsbaukästen des Konzerns sowie die Montage von einigen Batterien. Zudem soll die Produktion von Lenkungen ausgebaut werden. Die Kunststofffertigung wird dagegen bis 2021 eingestellt, auch Fahrwerke werden wohl Arbeit verlieren.
Neue Golf-Modelle sollen auch weiter in Zwickau gebaut werden, zudem soll das Werk ein Elektromodell erhalten. Dennoch wird die Zahl der Beschäftigten sinken.
Die Entschädigung der Kunden und Händler sowie Wiedergutmachungen für die Umweltbelastung kosten die Wolfsburger in den USA bis zu 16,2 Milliarden Dollar. Weitere Kosten dürften durch eine Geldbuße auf den Konzern zukommen, über die Volkswagen derzeit mit dem US-Justizministerium verhandelt.
Der Skandal hat dem Ruf des deutschen Autobauers in Amerika massiv geschadet, die Verkaufszahlen sind seither auf Talfahrt. Dazu trug auch bei, dass VW den Verkauf von Dieselautos, die zeitweise ein Viertel zum US-Absatz beitrugen, im vergangenen Herbst einstellen musste. Um auf dem nach China zweitgrößten Pkw-Markt nicht vollends ins Abseits zu geraten, macht VW nun reinen Tisch und nimmt Dieselmotoren offenbar ganz aus dem Programm.
Unter dem früheren Konzernchef Martin Winterkorn hatte Volkswagen versucht, in den USA mit dem Selbstzünder aus der Nische herauszukommen und sich hohe Zuwächse versprochen. Da die Umweltvorgaben jedoch nicht eingehalten wurden, verfiel man auf den Trick mit der Motorsteuerung. An der Aufklärung der Hintergründe und Verantwortlichen arbeitet seit circa einem Jahr eine von Volkswagen beauftragte US-Anwaltskanzlei.
Künftig wollen die Niedersachsen in den USA mit großen SUV und Limousinen punkten. Den Anfang macht der Geländewagen "Atlas", den VW jüngst auf der Automesse in Los Angeles präsentierte. Später sollen Elektroautos auf den Markt kommen, ab 2021 lokal produziert. In den kommenden Jahren werde Volkswagen dort erheblich in die Elektro-Infrastruktur investieren.
Ein Neustart in den USA ist - neben der Sanierung des Geschäfts in Südamerika und Einsparungen in Europa - wichtig, um die Milliarden freizuschaufeln, die VW für den Schwenk in die Elektromobilität benötigt. "Volkswagen muss sich in Nordamerika von einem Nischenanbieter zu einem relevanten und profitablen Volumenhersteller entwickeln." Ab 2020 wolle man in Nordamerika zumindest wieder schwarze Zahlen schreiben, "und das dauerhaft", kündigte Diess in Wolfsburg an. "Die USA sind nicht nur ein sehr großer, sondern vor allem auch ein sehr gewinnträchtiger Automarkt." Nirgendwo sonst werde im Autogeschäft mehr Geld verdient. "Wir wollen nicht nur in Europa und China profitabel sein, sondern haben uns vorgenommen, bis 2020 in allen großen Märkten positive Ergebnisse zu erwirtschaften." Bis VW in den USA den Anschluss an die Platzhirsche wie General Motors, Ford oder Toyota hat, dürften allerdings wohl zehn Jahre vergehen.